Ich musste zum Savignyplatz, um ein paar Flaschen Wein zu besorgen. Der Savignyplatz ist einer meiner Berliner Sehnsuchtsorte, von denen ich kaum Schlechtes zu berichten weiß.
Ich hätte schon immer gerne hier gewohnt. Dummerweise war mir das zunächst nicht wirklich klar, und mittlerweile kann ich es mir nicht mehr leisten. Dabei flaniert es sich hier ausgesprochen gut, denn es gibt ungeheuer viel zu sehen – und darum auch zu erzählen. Spontan fallen mir ein: Die Paris Bar, das Stilwerk, Eisenwaren Adolph, Viniculture, das Schwarze Café, das winkende Mädchen, Habitare, der Bücherbogen, dieses eine zypriotische Restaurant und der Koreaner, deren Namen ich vergessen habe und endlos mehr. Ich könnte ein Hotelzimmer am Platze beziehen und mehrere Wochen von dort schreiben. Diesmal bin ich allerdings kaum aus dem Bahnhof herausgetreten, als ich schon über meine erste Geschichte gestolpert bin. Es ist mal wieder eine von denen, die ich längst nicht mehr präsent hatte, die mir aber eingefallen ist, als ich vor einem Restaurant stand, das direkt gegenüber dem Bahnhofseingang liegt: Dem 12 Apostel.
Als ich vor 20 Jahren nach Berlin gezogen bin, war einer der größten Unterschiede zu meiner Heimatstadt Köln, dass es hier keine Sperrstunde gab. Prinzipiell haben also die Gaststätten rund um die Uhr geöffnet haben können. Wahnsinn! Unvorstellbar! Weltstadt! „In Berlin kann man nachts um vier ein Steak essen gehen!“, war einer der beliebteren Sätze, um die Daheimgebliebenen zu beeindrucken. Ich bin noch nie nachts um vier ein Steak essen gegangen. Wohl aber eine Pizza und Pasta. Und zwar mehrfach. Und zwar im 12 Apostel. Die hatten nämlich rund um die Uhr geöffnet und rund um die Uhr Küchenbetrieb, so dass wir gerne mitten in der Nacht angetütert und hungrig dort eingekehrt und niemals rausgekehrt worden sind. Das Einzige, was gelegentlich passierte, war dass ein zackig-höflicher Kellner uns gebeten hat, wahlweise in den vorderen oder hinteren Teil des Restaurants umzuziehen, weil man den jeweils anderen Teil putzen wolle.
Die Küche war recht offen, so dass es im gesamten Restaurant immer sehr gut gerochen hat. Irgendwann morgens, vielleicht so gegen halb fünf, mischte sich unter den Standardgeruch der Duft von frisch gebackenen Croissants und dergleichen, denn man reichte dort auch Frühstück. Noch heute schaudert es mich, wenn ich an das Gefühl denke, das mich in diesen Momenten übermannt hatte. Trunken, gutgelaunt, übermüdet und plötzlich: Bäckereigeruch. Da soll mal einer die Fassung bewahren!
Es gab noch ein weiteres 12 Apostel in Friedrichshain, das aber mittlerweile verschwunden ist. Von dort habe ich auch eine Geschichte zu erzählen. Sie ist ein wenig rührend und ich hebe sie mir auf, denn erst muss ich hier fertig werden.
Als ich mir die heutigen die Öffnungszeiten anschaue, stutze ich. Das Restaurant hat Montag bis Samstag ab 11.00 und Sonntags ab 09.00 Uhr geöffnet. Es steht dort zwar nicht, wann geschlossen wird, so dass ich zwar den Verdacht habe, es geht so lange, bis der letzte Gast gegangen ist, aber auch nicht mehr rund um die Uhr. Das macht mich ein wenig wehmütig. Um der alten Zeiten Willen. Die sind allerdings auch schon reichlich lange her. Damals war das Schwarze Café noch räudig. Aber auch das ist auch eine andere Geschichte, von der ich nicht sicher bin, ob ich sie jemals öffentlich erzählen werde. Dafür aber ganz bestimmt die von meinem Weinhändler in der Grolmannstraße, der eine ziemlich tolle Auswahl an Naturweinen feilbietet und mir eine Flasche verkauft hat, deren Inhalt bisher immer nur der Inhalt eines meiner Lieblingsscherze war. Ich hoffe, der Wein ist besser als mein Scherz (der ist nämlich ziemlich schlapp).
Lost Paradise
Ach der Savignyplatz – drum herum ist soo viel weg.
Zu viele konnten dem Tourismus und dem Profit daraus
nicht standhalten: Buchläden, das Aedes, das Lichthaus Arno.
Zu „Gaststätten die rund um die Uhr geöffnet haben können“
fällt mir schmerzlich die alte Ecke Uhland/S-Bahnbrücke ein.
Dort gab es ein olles Haus mit einer verrucht anmutenden
Billiard-Etage. In Wahrheit war es ein verdammt feiner Ort.
Wir kamen immer nachmittags. Denn dort gab es nämlich
viele Snooker-Tische und einer stand in einem kleinen
Durchgangszimmer. Meine Freundin und ich konnten da
(versteckt) wahre Glanzleistungen vollbringen.
Ging ein Stoß daneben, übten wir gemeinsam bis er saß.
Was haben wir gelacht! (All das geht halt nur in so einer Ecke)
„Wenn das Stephen Hendry gesehen hätte“ jubelten wir
nach unseren grandiosen Erfolgen.
Wir haben mit den freundlichen Kellnern den letzten
Abend vor der Schließung verbracht. Trostlos.
Heute steht da ein Hotel. Was sonst.
Snooker
Ach ja, Tisch 47…
Was hab ich da für ein Geld gelassen
Veränderung
Vieles hat sich dort verändert, auch der Geruch.
Daß mich der Artikel an einigs erinnert was ich dort seit 1970 erleben durfte freut mich sehr.
Inzwischen sind mir am Savignyplatz zu viele Lokalitäten und vielleicht auch zu viele Menschen die glauben es war dort schon immer so.
Wer erinnert sich noch an das SHELL, an ARNO Leuchten (als es noch von den Eltern geführt wurde), an die Trödler in den S-Bahnbögen, an die Frauen die an der großen Tür von Hs. Nr. 1 auf Kundschaft warteten?
Rechts und links davon entstandene Restaurants rücktem diesem Hauseingang immer näher sodaß auch diese Bühne verschwand.
Bdw. das schwarze Cafe hat keine Öffnungszeiten. Es ist Dienstags von 03h – 10h geschlossen. Schwarzwälderkirsch Torte steht nicht mehr auf der Karte.
A.F.
Könnte es sein
dass die Reduzierung der Lokalstunden der Alterung des Milieus geschuldet sind?
Ich mag den Savigny-Platz und seine Umgebung mit seiner Was-waren-das-für-tolle-Zeiten- damals-in-West-Berlin-Stimmung auch sehr: diese alten Institutionen wie den Zwiebelfisch, die Dicke Wirtin und den Buchhändlerkeller. Und es ist ja auch ein schönes Gefühl, sich mit 47 noch einmal als Jungspund fühlen zu dürfen, wenn man eine dieser Einrichtungen betritt. Um da zu wohnen wäre es mir dann doch ein bisschen zu ewig-westrig.