Wenn man mit einem Schiff auf dem mittleren Mekong unterwegs ist, dann befindet sich an den einen Ufer Thailand und am anderen Laos. Die Landschaft ist nicht besonders aufregend, weil die Wälder mittlerweile für Kokosölplantagen abgeholzt wurden. Die Dörfer am Fluss sind ziemlich abgelegen, aber voller fröhlicher Menschen. Früher einmal verlief hier der sogenannte Bambusvorhang: Auf der einen Seite bauten sich die Amerikaner Straßen und Flughäfen für den Vietnamkrieg, so dass man sich bis heute wundert, in welche hinterletzten thailändischen Dörfer diese gut ausgebaute Landstraße nun wieder führt, auf der anderen Seite herrschte in einem der meistbombardierten Länder der Welt eine Sonderform des Kommunismus, dessen Planwirtschaft nach drei Jahren an der Kooperationsunwilligkeit der Reisbauern scheiterte.
Heute ist alles anders. Die Schießanlagen sind abgebaut, es fallen keine Bomben mehr. Bauern mit Reisstrohhüten fahren von einem Flussufer zum anderen. Der Strom plätschert träge dahin. Und alle, auf beiden Seiten des Wassers, trinken Beerlao. Zwar wird auch in Thailand recht anständiges leichtes Sommerbier gebraut, aber hier, im Norden des Landes, hat sich ganz eindeutig die Braukunst der Demokratischen Volksrepublik Laos durchgesetzt. Auch unser thailändischer Guide mag das Land, nicht nur wegen des Bieres: Hierhin fährt er in den Urlaub, denn in Laos sehe es heute noch so aus wie in Thailand früher einmal.
Dann legt unser Schiff an und wir gehen ein bisschen am laotischen Flussufer spazieren. Auf dem Grasstreifen neben der Straße hat sich eine Fressmeile etabliert, es gibt Salate, in Woks voller Fett frittierte Fleischspießchen und natürlich Bier. Beerlao hat nahezu ein Monopol, überall stehen die gelben Kästen herum. Weil es sehr aufwendig ist, immer neue Flaschen in die Kühlschränke zu stellen und diese auch viel zu schnell wieder ausgehen, hat man ein recht pragmatisches System entwickelt: Man trinkt das in der laotischen Hitze schnell lauwarm werdende Bier mit Eiswürfeln. Die passen in einen Kühlcontainer und können je nach Bedarf ins Glas geschaufelt werden.
Da darf man als Bierconnoisseur nicht die Nase rümpfen, man muss die Gesamtsituation betrachten: Die Schwüle des einstigen Indochina, in dem Fremde noch immer pauschal als “Franzosen” bezeichnet werden (wir sind demnach “deutsche Franzosen”), die kleinen Gläser, die großen Biermengen pro Kopf und insgesamt die Logistik, die Transportsituation, die meist mit knatternden, bis obenhin beladenen Motorrollern bewältigt wird, nicht zuletzt die Geselligkeit und die Länge des Sonnenuntergangs.
Auch unsere einheimische Schiffsmannschaft sitzt jetzt da an einem der wackeligen Tische am Flussufer und schaut aufs mittlerweile pastellrosalila gefärbte Wasser. Sie reichen uns Fleischspießchen, sehr gut und scharf. Außerdem steht da Bier (mit Eiswürfeln) und eine große Schüssel mit Eiern. Die Eier sind angebrütet, man sieht schon die Umrisse dunkler Hühnerembyos im Eigelb.
“Tastes like chicken soup!” versichert man uns und hält uns die Schüssel hin. “Wanna try?”
Zwei Tage später werden wir Helden der Auslandsgastronomie in Thailand die frittierten Heuschrecken zum Bier relativ anstandslos verzehren – aber angebrütete Eier sind einfach zu viel. Wir lehnen dankend ab und gucken den Essern mit gerümpften Nasen über die Schultern. Die Schiffsbesatzung lacht sich eins.
Etwas später und etwas weiter unten am Ufer, dort, wo die jungen Mädchen sich versammeln und auf ihren Smartphones herumklicken, da leuchtet ein roter Stern. Oh, irgendetwas kommunistisches, denken wir. Aber es ist nur die lokale Kneipe, die mit einem Heineken-Emblem wirbt. Warum, das bleibt völlig ungeklärt, denn hier trinkt niemand Heineken, hier trinken alle Beerlao.
So auch die sehr fröhliche Schiffsbesatzung, die uns zu sich herwinkt. Schon wieder steht Essen auf dem Tisch, denn Bier ohne Essen, das ist in Asien eher ungewöhnlich. Und weil ständig alle Bier trinken, knabbern ständig alle irgendetwas. Der Gurkensalat sei sehr scharf, warnt man uns, aber uns soll’s recht sein, solange keine Tierembryos drin sind. Außerdem sollen wir nicht trinken, ohne miteinander anzustoßen. Das mache man nicht. Gründe zum ständigen Anstoßen gibt es aber reichlich, so dass niemand jemals Durst leiden muss.
Später erfahren wir mehr über Beerlao. Die Brauerei wurde im Jahr 1973 als französisch-laotische Koproduktion – die einstigen Kolonialherren zogen offiziell im Jahr 1954 ab – ins Leben gerufen und 1975 mit der Machtübernahme der kommunistischen Partei verstaatlicht. Der Braumeister heutiger Tage mit dem schönen, aber sehr komplizierten Namen Sitthixay Ketthavong ist noch nicht so lange an Bord. Er ging nämlich im Jahr 1989 in den gerade zerbröselnden Bruderstaat DDR, um dort Lebensmitteltechnik zu studieren. Außerdem studierte er das ostdeutsche Bier. Und zwar mit einer solchen Begeisterung, dass er sich schließlich im Jahr 2004 in Berlin zum Braumeister ausbilden ließ.
Beerlao wird mit einem dreißigprozentigen Anteil an weißem Reis gebraut, in Sachen Hopfen und Hefe dagegen gibt es keine Experimente, die werden aus Deutschland importiert. Das Ergebnis ist ein frisches, sprudeliges Bier, auf das nicht wenige schwören. Hin und wieder hört man, es sei das beste Bier Südostasiens. Dafür würden wir jetzt nicht unsere Hand ins Feuer legen, aber es ist in der Tat ein erstaunlich gutes Bier, das wir an diesem Flecken der Welt nicht erwartet hätten. Inzwischen ist die Brauerei auch nicht mehr komplett in staatlicher Hand, einige Anteile gehören zu Carlsberg – was den internationalen Vertrieb enorm vereinfacht.
Wie sehr Beerlao zu Laos gehört, das sehen wir am nächsten Tag. Wir spazieren durch ein laotisches Dorf, in dem es noch einige der traditionellen Bambushäuser gibt. Unten wohnen Huhn und Hund und meist auch der große Webstuhl, mit dem die bunten Borten gewebt werden, die jede laotische Frau von Welt an Rock und Bluse trägt, und oben lebt die Familie. Einige sind schon zu Wohlstand gekommen und haben sich Steinhäuser bauen können. Die laotischen Steinhäuser sind verkachelt wie hierzulande nur Badezimmer und sehr, sehr bunt. Je mehr Farben eine Familie an ihrem Haus unterbringen kann, desto besser. Vor allem aber türmt sich neben jedem Haus ein gelbes Gebirge auf. Wo bei uns der Carport steht, da steht in Laos das Beerlao – in durchaus ähnlichen Dimensionen. Kein Haus ohne Bierkastenstapel.
Wir laufen durch das Dorf, es ist Mittag und sehr, sehr warm. Wir bekommen Durst. Überall steht Beerlao. Wir wollen auch Beerlao. Dann kommen wir an einer Terrasse vorbei, auf der ein paar junge Mädchen herumsitzen und aus einem kleinen Radio kratzige Musik hören. Ob sie vielleicht Bier haben? fragen wir. Wir zahlen auch dafür! Die Mädchen verstehen uns.
Und so scharen wir uns um die Terrasse des Hauses in diesem kleinen laotischen Dorf, in der Hand bunte Plastiktassen mit Grinsegesichtern drauf, und bekommen, großäugig bewundert von den kleinen Geschwistern, von den älteren Töchtern beständig Bier nachgeschenkt. Noch eins und noch eins. Ab und zu machen sie mit ihren Handys ein Bild von den seltsamen Franzosen, die eines Tages wie aus dem Nichts auftauchten, die nach Bier fragten, nach Beerlao natürlich, und wie sie dann das Geschäft ihres Lebens machten.
(Falls Sie nun auch dringend Beerlao trinken wollen: Ab und zu hat man Glück und bekommt Beerlao in Deutschland. Ich für meinen Teil fand es im Chez Dang in Berlin-Neukölln vor – weitere Hinweise nehmen wir gern entgegen!)