Professor Ludwig Narziß, der jahrzehntelang die Brautechnologie an der Technischen Universität München prägte – in jungen Jahren hatte er als Brauerlehrling begonnen -, ist so etwas wie das idealisierte Gesicht des deutschen Biers: mit 90 Jahren erstaunlich jung geblieben, freundlich, bescheiden und präzise. Wahrscheinlich in allen deutschen Brauereien steht sein “Abriss der Bierbrauerei”, auch einen Wissenschaftspreis hat man nach ihm benannt.
Wir haben mit Ludwig Narziß über die Entwicklung des deutschen Biers in den letzten siebzig Jahren gesprochen.
F.A.Z.: Herr Professor Narziß, bei einer Bierverkostung in der Versuchsbrauerei Weihenstephan, die Sie mehrere Jahrzehnte geleitet haben, gab es vor einigen Tagen ein Bier zu trinken, das Ihren Namen trägt. Es war sehr stark gehopft, mit der traditionellen Aromasorte „Hersbrucker“. Was verbinden Sie mit diesem Bier und mit seinem Geschmack?
Prof. Ludwig Narziß: Ja, die Rezeptur war von mir. Das ist das Bier, das ich mag: Hopfenaroma und eine schöne Bittere (Fachbegriff für die Bitterkeit eines Bieres, d. Red.). Das war ein 13,5-prozentiges Pils-Bier, mit rund 5,4 Prozent Alkohol weitaus stärker als die normalen. Und es hat 37,5 Bittereinheiten. Das Bier bekommt vier Hopfengaben, schon während des Abläuterns die erste, die zweite bei halber Kochzeit, die dritte zehn Minuten vor Kochende und die letzte in den Whirlpool hinein. Es war aber schon ein bissel über seinen Zenit hinaus. Irgendwann wird es der Hefe nun mal zu bunt, wenn sie nichts mehr zu tun hat. Seinen absoluten Höhepunkt hatte es um Weihnachten, da war das Hopfenaroma genau richtig.
Erinnert Sie das Bier an alte Zeiten? Früher war das Bier ja bitterer.
Ja, es gab früher in Bayern eine Reihe von Exportbieren, die hatten ungefähr 12,8 Prozent Stammwürze, hatten aber auch 36 Bittereinheiten, mehr als die Pils-Biere heute. Das waren wunderbare, sehr elegante Biere. Bis in die fünfziger Jahre hinein gab es in Bayern ja noch kein Pils.
Bier war in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Grundnahrungsmittel in Bayern und wahrscheinlich auch in Deutschland insgesamt. Wie muss man sich in Ihrer Kindheit Bier im Alltag vorstellen? Es wurde ja auch während der Arbeitszeit getrunken – welcher Alkoholgehalt war da eigentlich im Spiel?
Handwerker, vor allem Maurer, hat das Bier den ganzen Tag über begleitet. Es gibt von Ludwig Thoma eine schöne Geschichte über den “alten Eckmaurer”, die das gut wiedergibt. Während meiner Brauer-Zeit gab es zur Brotzeit einfach eine Maß Bier, zum Mittagessen gab es auch eine, und das Bier hatte damals schon 5 Prozent Alkohol. Aber das hat man wieder weggearbeitet. Und abends gab es auch mindestens ein, zwei Halbe. Bier hat damals zur Ernährung beigetragen. Bis 1930 überwog in Bayern das dunkle Bier – und das passt eigentlich zu jeder Brotzeit. Nur langsam hat sich das Helle durchgesetzt. Vor dem Krieg hielten sich beide die Waage.
Hat man den Menschen das Bier angemerkt?
Nein, hat man nicht.
Worin sehen Sie die Hauptgründe für eine Veränderung des Trinkverhaltens?
Vor allem in der Alkoholgesetzgebung. Wenn Sie heute mit 0,3 Promille unterwegs sind und werden unschuldig in einen Unfall verwickelt, müssen Sie schon erhebliche Sanktionen in Kauf nehmen. 1975 hatten wir ein Maximum von 150 Litern Bier pro Kopf im Jahr und es dümpelte so dahin bis 1993. Da setzte dann der Abschwung ein. Heute kommt hinzu, dass ein Teil unserer Bevölkerung, viele Zuwanderer, kein Bier trinken. Und die Jugend ist heute wegen der Vielfalt an süßlichen Getränken auch nicht mehr so ohne weiteres fürs Bier zu begeistern. Vielen ist es zu bitter. Das ist auch ein Grund dafür, dass der Bitterstoffgehalt beim Hellen immer weiter zurückgegangen ist. Hinzu kommt noch das gestiegene Gesundheitsbewusstsein. Es wird ja immer wieder gesagt, dass Bier nicht gesund sei. Weil es Alkohol enthält, dürfen ja auch seine positiven Eigenschaften nicht belobt werden.
Wie hat sich der Biergeschmack in Bayern und in Deutschland insgesamt seit den vierziger Jahren verändert. Gab es verschiedene Etappen?
Im Grund müsste man mit den fünfziger Jahren beginnen, denn erst 1949 gab es wieder normalprozentiges Bier. Im Krieg, Winter 1939/40, haben wir nur noch 9,5 Prozent Stammwürze gehabt. Die ist laufend runtergegangen bis auf 3,5 Prozent zu Kriegsende. Nach dem Krieg hatten wir in Bayern zuerst 1,7 Prozent Stammwürze, das entsprach ungefähr 0,5 Prozent Alkohol, in Baden-Württemberg und in anderen Ländern nur 0,6 Prozent Stammwürze. Dort durfte auch Molke und so weiter verwendet werden, um überhaupt etwas Vergärbares zu haben. In Bayern wurde die Regelung 1948 aufgehoben, weil die Leute sagten: Ich gebe meine D-Mark nicht für dieses dünne Gesöff aus. Anschließend hat man uns 8 Prozent Stammwürze zugebilligt, 1949 hat man dann die Stammwürze freigegeben. Es wurden die alten Vorkriegsrezepte wieder verwendet und es wurden wirklich tolle Biere gemacht. In den fünfziger Jahren haben wir wieder Vorkriegsqualität erreicht. Es gab Helles, es gab Export und relativ viel Märzen, das war der Ausdruck für stärkeres Bier. Es gab immer noch kein Pils. Schnell kamen die Oktoberfestbiere und die Bockbiere zurück.
Zur Veränderung des Geschmacks: Die Brauereien sind irgendwann modernisiert worden, man hat dann nicht mehr so ganz auf die drei Monate Lagerzeit abgezielt, Mitte der Sechziger kamen Gärverfahren bei höheren Temperaturen auf, um das Bier in drei bis vier Wochen fertig zu stellen. Das ist nicht immer gut gegangen. Nur mit einer gut geführten Hefewirtschaft hat es tadellos geklappt.
Wie hat sich der Hopfengeschmack in dieser Zeit verändert?
Früher gab es nur Aromahopfen: Hallertauer, Spalter, Tettnanger, Hersbrucker, die alten Sorten. Von 1960 an kam die Bitter-Sorte Northern Brewer aus England beziehungsweise den Vereinigten Staaten zu uns, bei der hat man nur die halbe Hopfengabe benötigt. Der Hopfen hat aber nicht nur Bitterstoff und Öle, er hat auch Polyphenole, also Gerbstoffe, und er hat Eiweiße und Mineralstoffe. Das heißt, wenn ich die Hopfengabe erniedrige, habe ich auch weniger Vollmundigkeit. Das Phänomen war im Norden stärker ausgeprägt als in Bayern. Die Bayern haben weitgehend auf dem Aromahopfen beharrt. Ich habe mal eine Tabelle erstellt, die zeigt: 1985 hatten wir im Hellen noch 11,7 Prozent Stammwürze und 26 Bittereinheiten, im Pils 12,2 Prozent Stammwürze und 39 Bittereinheiten, im hellen Bock sogar noch 36 Bittereinheiten, das Dunkle hatte auch 25 bis 27 Bittereinheiten. Die sind heute alle niedriger. Das Dunkle liegt bei 20/21, Pils-Biere sind in Bayern nach wie vor relativ hoch angesiedelt bei 32-36, aber das Helle liegt nur noch zwischen 15 und 22, keinesfalls mehr höher.
Helle Biere sollten wieder bitterer werden?
Das würde aber auch bedeuten, dass man sich bei den anderen Bieren höher zu gehen traut. Vielleicht hilft das Craft-Bier dabei. Die neuen Biere enthalten ja viel gestopften Hopfen im Kaltbereich (in die Lagertanks wird zusätzlich Hopfen in erheblicher Menge gegeben, d. Red.) und so eine vermehrte Bittere.
Nochmal zurück zum Pils. Sie sagten, das kam erst in den Fünfzigern nach Bayern, dabei wurde es ja schon 1842 von einem Bayern in Pilsen erfunden.
Ja, in Südbayern gab es überhaupt kein Pils, in Nordbayern, daran war ich auch beteiligt als junger Betriebsberater, wurde es in den fünfziger Jahren langsam eingeführt. In Norddeutschland war das Pils schon vor dem Krieg verbreitet. Damals hieß das noch “Deutsches Pilsner”. Die Export-Biere hat man zunehmend weniger beachtet und beworben. Nur die Dortmunder haben sehr lange auf ihrem Export-Bier beharrt, das hat ihnen aber nicht gut getan. Dadurch sind die Sauerländer Brauereien groß geworden. Man muss sich das vorstellen: Das Ruhrgebiet war damals stark von Luftverschmutzung betroffen. 1957 war ich mal droben, da musste ich am Tag zweimal das Hemd wechseln. Und dann kamen aus dem Sauerland, aus der ungestörten Natur, plötzlich die Pils-Biere. Das war deren große Chance. Das Export-Bier wurde verdrängt. In Bayern wird im nördlichen Teil heutzutage ungefähr 50 Prozent Pils getrunken, in Südbayern deutlich weniger. Hier ist der Anteil des Weißbieres höher. Leider ist auch das Export-Bier stark abgefallen. In Norddeutschland gab es dann vor allem Flensburger, erst in den sechziger Jahren kam das Jever auf.
Warum ist das Pils so erfolgreich geworden, auch international?
Vielleicht hat man irgendwann als Bierkenner gegolten, wenn man Pils getrunken hat (lacht). Ins Ausland wurde zunächst mehr das Export geschickt. Wenn ich an Holland denke, Frankreich, die haben helle Exportbiere mit 25 Bittereinheiten bezogen. Die Münchner Brauereien waren in Frankreich und Belgien stark mit hellem und dunklem Bock vertreten. Nach Italien und in die Vereinigten Staaten wurde ein etwas stärkeres Export geliefert. Heute bekommen alle entweder aus Bayern Helles und Weizen oder Pils aus Norddeutschland.
Soll das deutsche Bier insgesamt wieder bitterer werden?
Es kommt auf das Bier an. Bei dem einen oder anderen Typ wäre es schon wünschenswert. Man müsste aber gleich mit Aromahopfen einsteigen.
Sie haben Standardwerke über das Bierbrauen geschrieben. Wie hat der von Ihnen begleitete technische Fortschritt das Bier und den Brauer verändert? Fühlen Sie sich als Zauberlehrling?
Nein. Ich habe vor allem Nachschlagewerke geschrieben, in denen es um die Grundlagen geht. Es gibt ganz viele Tabellen in meinen Büchern. Man kann aufgrund von Grafiken ersehen, wie man im Brauprozess was beeinflussen kann. Wir haben immer die Qualität in den Vordergrund gestellt. Aus meinen Büchern ist abzuleiten, wie man mit der modernsten Technik jede Geschmacks-Tönung eines Bieres darstellen kann. Der Brauer ist durch die moderne Technik mitnichten eingeschränkt. Es sei denn, er übernimmt sich mit seiner Brauerei derart, dass er sagt: Ich muss mit einem Sudwerk 12 bis 14 Sude am Tag machen. Dann kann man nicht mehr viel ausrichten. Wenn er sich aber zehn Prozent mehr Zeit gönnt, hat er ganz andere Operationsmöglichkeiten.
Muss ein Bier eigentlich immer gleich schmecken? Das ist ja so etwas wie das Mantra der deutschen Brauer.
Ja, das ist wichtig. Bier sollte eigentlich immer gleich schmecken. Nur bei den Spezialbieren kann man eine Ausnahme machen. Beim Wein kann ich ja alles Mögliche ausloben, aber beim Bier schaut man nicht jede einzelne Flasche an, um zu lesen, was draufsteht. Die Brauer wollen ihren Typ beibehalten.
Wie sehen sie die Rolle des Craft-Biers?
Ich als Bierbrauer sehe das als tolle Herausforderung. In den Vereinigten Staaten schmeckten von den siebziger Jahren an die Biere irgendwann alle gleich. Es gab ein Lager-Bier mit 30 bis 40 Prozent Rohfrucht (unvermälztes Getreide, d. Red.) und immer weniger Hopfengaben. Man hat sich gegenseitig überboten in der Reinheit der Biere, aber am Schluss haben sie nach rein nichts mehr geschmeckt. Dann kam noch das Light-Bier hinzu, das ganz hoch vergoren war, das war noch neutraler. Anfang der Neunziger kam nun das Craft Beer auf. Ich war mal 1994 in Denver, das war ein ganz buntes Völkchen. Aber die haben ganz tolle Produkte angeboten. Es hat dann aber noch eine Zeit gedauert, bis die Craft-Brauer sich auf dem Markt durchsetzen konnten. In Deutschland ist es allerdings so, dass wir eine Vielfalt schon aus den Brauereien selbst haben. Diese Biere kommen bloß nicht alle in den Markt, weil sie mit den Regalgebühren in den Supermärkten und all diesen Dingen nicht zurechtkommen. Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich im Supermarkt nach einem Pils aus München suche. Da gibt es nämlich sehr schöne Pils’. Sie finden sie aber nicht. Nicht einmal in Freising bekommen Sie überall ein Weihenstephaner Pils oder eines aus dem Gräflichen Hofbräuhaus. Der Handel hat die Zahl der Biere, die das Publikum täglich sieht, stark beschnitten. Und jetzt hält man uns vor, dass wir genau so langweilig sind wie die Amerikaner.
Aber es stimmt schon: Bei uns hat sich alles etwas eingefahren gehabt auf die gewohnten Biersorten. Jetzt kommen die Craft-Brauer mit ihrem gestopften Hopfen daher und bereichern das Angebot. Ich zum Beispiel bin kein Weizenbier-Trinker. Aber mit einem gestopften Hopfen drin – damit können Sie mich auch kriegen. Das ist einfach etwas Urtümliches. Die Craft-Brauer werfen ja oft in den Lagertank ein Kilo Hopfen pro Hektoliter herein. Was das kostet! Auch von den Verlusten her. Der Hopfen saugt ja eine Menge Bier ein, das bekommen Sie dann nicht mehr heraus. Aber da ist eine tolle Entwicklung im Gang. Die Craft-Brauer sind mutig. Die hauen auch mal einfach 10 Prozent helles Karamellmalz in ein Bier hinein. Das gibt eine völlig andere Note. Eine Besonderheit in Deutschland ist noch: Die Craft-Bewegung wird auch von den Großen getragen. Ableger von Radeberger und Bitburger machen oder verkaufen sehr attraktive Craft-Biere. Das verleiht der Bewegung zusätzliche Bedeutung. Die Kleinen aber machen die Vielfarbigkeit aus. Auch die machen zum Teil wunderbare Biere.
Sollen die kleinen deutschen Brauereien jetzt auch in dieses Segment gehen?
Das kommt sehr auf den einzelnen Unternehmer an. Wenn Sie aber mal das Kellerbier in Oberfranken betrachten. Da können Sie wirklich sagen: Mensch, da schmeckt fast jedes anders. Da sind zum Beispiel dunkle Biere dabei, aber mit einer fetzigen Hopfennote, die haben das schon immer so gemacht. Diese Biere hat bloß nie irgendein Mensch beachtet. Jetzt werden sie plötzlich auch höher geschätzt.
Wie wichtig ist das Reinheitsgebot für das deutsche Bier? National und international?
Für mich ist faszinierend, dass man mit den vier Rohstoffen Malz, Hopfen, Hefe, Wasser eigentlich alle erdenklichen Sorten produzieren kann. Ich brauche keine künstlichen Enzyme, ich bekomme meinen Bierschaum ohne Schaummittel hin. Der deutsche Verbraucher vertraut auf das Reinheitsgebot. International wird das Reinheitsgebots-Bier aus hundert Prozent Malz geschätzt, selbst in sehr heißen Ländern, wo man hohe Rohfruchtgehalte gewöhnt ist. Selbst im fernen Australien bekommen unsere Biere hohe, ja höchste Preise.
Was würde sich aus Ihrer Sicht durch eine Öffnung des in der deutschen Biergesetzgebung verankerten Reinheitsgebots ändern?
Eine Öffnung des Reinheitsgebots würde das Vertrauen der deutschen Biertrinker erschüttern; man müsste auf den Etiketten eindeutig kennzeichnen, ob nach dem Reinheitsgebot gebraut wurde oder nicht, aber wer liest die schon? Die Folge: allgemeine Unsicherheit. Hinter dem Reinheitsgebot steht einfach die Kunst, mit vier Rohstoffen, ohne Zusätze Bier von gleichbleibender Qualität zu erzeugen. Es werden die Enzyme das Malzes bei der Würzebereitung nur durch die physikalischen Methoden Temperatur, Zeit und eventuell Konzentration gesteuert, ähnlich die Enzyme der Hefe bei der Gärung. Außerhalb des Reinheitsgebotes darf man sich bei unzulänglichen Rohstoffen mit Enzymen mikrobieller Herkunft helfen. Irgendwann gewöhnt man sich daran, die Prozesse durch Zusätze zu vereinfachen. Ich sehe absolut keinen Vorteil.
Ist das Verbot von Zucker bei der Herstellung von untergärigem Bier sinnvoll – oder vergibt man sich dadurch geschmacklich etwas?
Durch Zucker, sagen wir mal beim Hellen, steigt der Alkoholgehalt. Das macht die Biere schnapsiger, aber auch leerer. Wenn Sie entsprechende Biere etwas zu lange lagern, bekommen Sie Probleme mit dem Schaum. Beim Dunklen erfolgt die Zuckerzugabe nach der Filtration. Es wird pasteurisiert, damit die Hefen, die durch den Filter gekommen sind, kein Unheil anrichten. Das Bier schmeckt natürlich entsprechend süß.
Warum verbietet das deutsche Biergesetz eigentlich untergäriges Weizenbier, das scheint mir eine Lücke zu sein?
Das kommt noch aus einer Zeit, da man befürchtete, dass der Bedarf an Weizenmalz für Bier bei Missernten zu einem Mangel an Weizen für Brot zur Ernährung der Bevölkerung führen könnte. Weizenmalz bietet bei untergärigen Bieren keinen Vorteil. Das Malz hat eine höhere Viskosität und ist damit schlechter zu verarbeiten und damit letztlich auch zu filtrieren. Weizenmalz schmeckt auch ziemlich neutral. Es eignet sich allerdings zusammen mit der entsprechenden obergärigen Hefe – wie bekannt – bestens für Weizenbiere. Hier kann ein typischer Charakter erzielt werden.
Wie wichtig ist die „Drinkability“, die Lust weiterzutrinken, fürs Bier? Ist ein reines Genuss-Biertrinken wünschenswert?
“Drinkability” ist sehr wichtig! Das ist die Entscheidung, ob ich ein Glas Bier überhaupt austrinke, ob ich mir ein zweites bestelle. Hier muss alles zusammenwirken: reiner, typischer Geruch und Geschmack, eine Harmonie aus Vollmundigkeit (Körper), Bittere und Ausgewogenheit. Das bekommt man nur mit guten Rohstoffen und einer hierauf abgestimmten Arbeitsweise hin.
Was ist vom alkoholfreien Bier noch zu erwarten? Noch schmeckt es ja nicht so richtig gut.
Es kommt darauf an, welches. Geschmacklich näher am Originalprodukt sind die alkoholfreien Weizenbiere. Das kommt daher, dass bei der Entalkoholisierung der 4-Vinyl-Guajakol, ein Phenol aus Gersten- und Weizenmalz, sehr viel weniger entfernt wird als zum Beispiel Aromastoffe wie höhere Alkohole und Ester. Vom Grundcharakter bleibt mehr übrig. Worauf ich schwöre, das steht auch in meinem „Abriss zur Bierbrauerei“ drin, dass man einen Verschnitt macht aus entalkoholisiertem Bier und sogenanntem gestopptem Bier. Dieses lässt man bis zu einem gewissen Alkoholgehalt vergären, anschließend kühlt man soweit ab, bis die Hefe nicht mehr arbeitet. Dann habe ich die Schlankheit des Ersteren mit der Vollmundigkeit des gestoppten Biers verbunden. Aber das ist eben teurer, denn ich brauche neben der Entalkoholisierungsanlage einen Tunnelpasteur.
Welche Leistung halten Sie am 23. April dieses Jahres, wenn das Reinheitsgebot 500 Jahre alt wird, für feiernswert?
Dass das Reinheitsgebot 500 Jahre überdauert hat, über ganz Deutschland ausgedehnt wurde, selbst nach zwei Kriegen im gesamten Deutschland wieder etabliert wurde und gut in der Bevölkerung verankert ist.
Wenn Sie heute junger Brauer wären – was würden Sie sich für sich und das Bier wünschen?
Dass es so bleibt wie bisher, mit dem erweiterten Feld der Craft-Biere.
Die Fragen stellte Uwe Ebbinghaus