Pils oder Craft? Bei der Bierwahl ist der Grat zwischen Konformismus und Distinktion mitunter schmal, weiß Sven Regener, Sänger von Element Of Crime und Autor der bierseligen “Herr Lehmann”-Trilogie. Ein Dramolett zu Ehren von 500 Jahren Reinheitsgebot.
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Als Hamburg-Heiner anrief, stand ich gerade im Supermarkt vor dem Regal mit den Craft-Bieren und fragte mich, ob die Aussage von Benjamin von Stuckrad-Barre im „Musikexpress“ über Craft-Biere („Das ist das Schlimmste!“) jetzt positiv oder negativ umzusetzen sei, ob es also wirklich schlauer sei, ein Jever Fun zu trinken oder eines von diesen Dingern mit den gemalten Etiketten, insofern kam mir der Anruf von HH gerade recht.
HH: Sven, wo bist du gerade?
Sven: Vor dem Regal mit den Craft-Bieren.
HH: Das ist das Schlimmste. Sagt Stuckrad-Barre.
Sven: Ich weiß. Aber was heißt das praktisch? Ich meine, Alkohol an sich ist ja auch schlimm, Bier sowieso, ist dann also das schlimmste Bier das beste Bier?
HH: Jetzt stell dich nicht dumm, hier geht es nicht um die Wirkung des Alkohols, mit so was würde Stuckrad-Barre sich nie abgeben, hier geht es um das kulturelle Zeichensystem und den popkulturellen Kontext und den ganzen Irrsinn. Also dass die Leute aus Gier nach Distinktionsgewinn nach Craft-Biere greifen und wie erbärmlich das ist, weil das irgendwie nach Manufaktum müffelt und sie innerlich nicht gefestigt genug sind, sich mit einem Bitburger oder irgendeinem anderen Globalisierungsschlabber zufriedenzugeben. Ist das denn so schwer zu begreifen?
Sven: Das würde also bedeuten, dass man mit Craft-Biere der Konformist ist, der mit den Wölfen heult und mit den Schafen blökt, während der Holsten-Trinker oder Beck’s-Vertilger den wahren Distinktionsgewinn erzielt, indem er sich dem Trend zur Individualisierung und kulturbeflissenen Bedeutungsaufladung entzieht.
HH: In etwa. Gerade der Holsten-Trinker. Wer heute Holsten trinkt, vor allem in Hamburg und vor allem nach dem trendigen Relaunch von Astra, ist die coolste Sau vom Schanzenviertel. Wie damals bei dem Bandfoto von Tocotronic, auf dem, zu einer Zeit, in der alle immer und überhaupt nur für St. Pauli waren, der Schlagzeuger ein HSV-Shirt trug.
Sven: Ich finde aber, Holsten-Trinken ist ein hoher Preis für Coolness. So ziemlich der höchste, den man zahlen kann.
HH: Ja, und man muss sofort bezahlen. In zwei Wochen kann es schon wieder zu spät sein.
Sven: Gut an Craft-Biere ist, dass es da viele Sorten mit Bügelverschluss gibt. Da sind dann noch diese altmodischen Gummidichtungen drauf, die kann man abmachen und dazu benutzen, die Aufhängung der E-Gitarren an ihren Gurten zu sichern.
HH: Bügelverschluss? Das ist keine Entschuldigung! Da kannst du auch Flensburger nehmen, frag Stuckrad!
Sven: Ja, früher. Aber heute sind die Dichtungen bei Flensburger aus Kunststoff und mit dem Porzellanpfropfen verklebt, da ist die gute alte Zeit vorbei.
HH: Da muss man sich dann entscheiden: Will man cool sein, oder will man die Gitarre vorm Runterfallen schützen. Beides geht nicht!
Sven: Man könnte Holsten trinken und auf der Bühne das Rockgehampel weglassen.
HH (zufrieden): Das wäre dann doppelt cool!