Was zieht ein Amerikaner, der Deutschland erobern will, für seinen Besuch in Berlin an? Richtig, einen Trachtenjanker. Mit einem Edelweiß-Aufnäher auf der Brust. Ob er seine deutschen Konkurrenten damit provozieren will? Greg Koch, ein Mann wie ein Baum, das struppige Bart- und Haupthaar kaum zu bändigen, schaut unschuldig wie ein Lamm. Iwo! Die rustikale Jacke habe ihm ein befreundeter Braumeister aus dem Fränkischen geschenkt, sagt er, und sie passe ihm doch wie auf den Leib geschneidert, oder? Mehr sei nicht dabei. Wer’s glaubt.
Koch hat sein Geld früher im weitesten Sinn im Showgeschäft verdient, in Los Angeles, der Hauptstadt der ganz großen Auftritte. Er war Musikproduzent, hat Übungsräume an Heavy-Metal-Bands aus der zweiten und dritten Reihe vermietet, bevor er mit dem Bierbrauen anfing. Er sagt zwar, er sei schüchtern, ein introvertierter Typ. Aber Musik mag er vor allem, wenn sie laut ist.
In diesen Kreisen weiß man, dass es im Leben auf das Timing ankommt, erst recht bei einer geschickt inszenierten Rebellion. 2016 ist das Jahr, in dem die deutschen Brauereien das Reinheitsgebot feiern, das vor 500 Jahren hier erlassen wurde, im selbsternannten Mutterland des Biers mit seinen mehr als 1300 Brauereien. Und ausgerechnet jetzt kommt Greg Koch, der Kalifornier, pfeift auf das schöne Reinheitsgebot und baut in Berlin noch eine. Er ist, so gesehen, nicht das Lamm, sondern der Wolf. Im Trachtenjanker.
Nur elf Kilometer vom Brandenburger Tor entfernt
Drüben in Amerika kennen ihn in der Branche alle. „Craft Beer“ heißen die beiden Zauberworte, an denen sich avantgardistisch orientierte Biertrinker in Amerika schon seit den Neunzigern berauschen, zu Deutsch eigentlich schlicht: „Handwerksbier“. Dahinter steckt das Verlangen nach größerer geschmacklicher Vielfalt, eine Gegenbewegung zum massentauglichen Industriebier der großen Brauereikonzerne. Koch erinnert sich mit Grausen an den Bölkstoff seiner Jugend, damals in Ohio, zu dem es keine Alternative gab. „Diese gelbe Flüssigkeit hat mir fünf wertvolle Jahre meines Lebens gestohlen“, sagt er – nur halb im Spaß, denn Geschmack ist für ihn zu einem ernsten Thema geworden. Erst mit 23 Jahren, als er längst zum Studieren nach Kalifornien gezogen war, wo die Zukunft offenbar schon damals zu Hause war, habe er zum ersten Mal ein richtiges Bier getrunken, von einer kleinen örtlichen Brauerei gebraut.
Noch einmal zehn Jahre später, als er sich in seiner Freizeit schon die große weite Welt des Bierbrauens erschlossen hatte, nahm Koch die Sache dann zusammen mit einem Kompagnon selbst in die Hand. „Stone Brewing“ heißt ihr Unternehmen, im Kern eine Brauerei samt Restaurant in San Diego, das heute zu den zehn größten „Craft Beer“-Produzenten der Vereinigten Staaten gehört. Und das sich jetzt, sozusagen als Speerspitze einer neuen Bewegung, nach Deutschland wagt.
Greg Koch ist zur Baustellenbesichtigung gekommen. Ende Mai soll die Brauerei in Berlin eröffnet werden, als allererster Produktionsstandort im Ausland überhaupt. Treffsicher investieren die Kalifornier in Industriecharme, haben eine fußballfeldgroße Halle auf dem Gelände eines früheren Gaswerks in Alt-Mariendorf angemietet, Baujahr 1901. Ob die Lage im Süden der Stadt, einen strammen Fußmarsch von der Endstation der U6 entfernt, nicht etwas sehr weit weg vom Schuss ist? Bei gutem Wetter fahre er die Strecke von seiner Wohnung am Prenzlauer Berg mit dem Fahrrad, erwidert Greg Koch. „Und vom Brandenburger Tor sind es nur elf Kilometer.“ Für amerikanische Verhältnisse ein Steinwurf, für viele Berliner eine kleine Weltreise.
„Was gibt es Besseres als ein Bier vor dem Mittagessen?“
Egal, hier wird jetzt nicht gekleckert, sondern geklotzt: Geschätzt 22 Millionen Euro kostet der Umbau. Wie zu Hause in San Diego wird es ein Restaurant mit Biergarten geben, auf der Speisekarte stehen multikulturelle Leckereien: Wildlachs mit Aprikosen-Ingwer-Chutney, geröstetes Hähnchen mit Mandeln, Biobratwurst mit Olivensalz. Es ist Platz für bis zu 600 Gäste, die auch drinnen zwischen echten Baumstämmen sitzen werden. So machen das die Innenausstatter heutzutage. „Das wird ein echtes Fantasyland für Biertrinker“, schwärmt Greg Koch schon einmal.
Noch aber dröhnen die Bohrmaschinen, draußen haben die Gartenbauer gut zu tun, und quer durch die Halle zieht sich ein metertiefer Graben für Leitungsrohre. Im Giebelfenster prangt indes schon das Wahrzeichen von Stone Brewing, der Kopf eines Fabelwesens, das die Frommen an die Wasserspeier gotischer Kathedralen erinnert und alle anderen, Kochs Vorgeschichte im Gedächtnis, an die Plattencover von düster geschminkten Hardrock-Bands. „Es soll uns vor Chemie, Pasteurisierung und billigen Zutaten bewahren“, erklärt Greg Koch selbst den tieferen Sinn des Logos.
Dann sperrt er die Tür zu einem Seitenflügel auf. Während drüben gerade die großen Edelstahltanks der künftigen Brauerei montiert werden, die auf einen Ausstoß von 15 000 Hektoliter im Jahr ausgelegt ist und damit den gesamten europäischen Markt abdecken soll, hat hier schon eine Versuchsanlage in deutlich kleinerem Maßstab den Betrieb aufgenommen. Der diensthabende Brauer, in Australien geboren, in Bamberg ausgebildet, begrüßt Koch mit Handschlag, reicht ihm ein leeres Glas. Es folgt ein fast schon feierlicher Moment: Das erste in Berlin gebraute Bier ist fertig, eine Punktlandung zur Chefvisite. Koch schiebt sich die Brille mit den getönten Scheiben in die Haare, greift zum Zapfhahn, lässt das naturtrübe Bier ins Glas laufen, nimmt einen Schluck, der Schaum glitzert in seinem Bart. „Wunderbar“, lobt er. „Was gibt es Besseres als ein Bier vor dem Mittagessen?“
Huldigung an die Bitterkeit
Aber was, bitte schön, ist so anders an diesem Bier? Wer nichts hält von dem Trend zum Craft Beer, der verweist auf den immer noch marginalen Marktanteil. Gerade einmal ein Prozent vom deutschen Biermarkt macht es aus, heißt es dann säuerlich; die großen deutschen Hersteller wie Bitburger und Krombacher könnten das locker in einer Wochenendschicht miterledigen.
Aber während sich die Platzhirsche jahrzehntelang vor allem über den Preiskampf im Supermarkt und die Fernsehwerbung in der Fußballhalbzeitpause definiert haben, ist den aufmüpfigen Zwergen das Kunststück gelungen, sich von ihren Kunden gut bezahlen zu lassen – und von ihnen auch noch geliebt zu werden. Das hat ihnen auch bei gestandenen deutschen Brauereibesitzern Respekt eingebracht, manche sehen in ihnen nun sogar schon die Rettung aus der Billigfalle. Die Endpreise für Stone Brewing in Deutschland verrät Greg Koch zwar noch nicht. Aber in Kalifornien kostet ein frisch gezapftes Glas in der Bar umgerechnet acht Euro.
Dafür gibt es in den meisten Fällen mehr Alkohol, mehr Stammwürze und ein deutlich intensiveres Hopfenaroma als bei den üblichen deutschen Varianten. Auf 8,5 Prozent Alkohol kommt das Aushängeschild namens „Stone Ruination“, dessen Berliner Variante Greg Koch gerade verkostet hat. Sechsmal so hoch wie für ein gewöhnliches Pils sei der Hopfen für diese Sorte dosiert; irgendwo unter dieser Huldigung an die Bitterkeit der Bierpflanze schlechthin verbergen sich dann auch noch zarte geschmackliche Anflüge von Kiefer und Zitrusfrüchten. „Wir drehen die Lautstärke auf“, sagt Greg Koch zum Prinzip seiner Rezepte.
“Es bleibt doch immer Rock ’n’ Roll.“
Vergleiche mit seinem früheren Berufsleben liegen ihm offenkundig, er schiebt den nächsten gleich hinterher, ein Friedensangebot für das Publikum in Deutschland: „Gut gemachtes deutsches Bier ist wie klassische Musik, voll feiner Nuancen. Unser Bier ist eher wie Rockmusik. Beides kann Kunst sein. Hauptsache, wir müssen uns nicht mit der öden Fahrstuhlmusik der Industriebier-Konzerne begnügen.“
Je mehr Erfolg die Craft-Beer-Produzenten haben, desto kleiner wird allerdings auch die so gern beschworene Kluft zwischen Handwerk und Industrie. „Wir sind jetzt mitten im Ende vom Anfang dieses Trends“, beschreibt ein Branchenkenner aus Amerika die Situation. Zum einen haben sich manche Konzerne schon kleinere Hersteller einverleibt, um sich von ihnen die Rezepturen und das öffentlichkeitswirksame Rebellentum abzuschauen. Zum anderen sind die Großen unter den Kleinen, natürlich auch Stone Brewing, inzwischen selbst keine Garagenprojekte mehr. Die Zeiten, in denen Greg Koch seinen Vater anpumpte, um die Firma über Wasser zu halten, sind längst vorbei. Die bevorstehende Expansion nach Europa spricht für sich, die Unternehmenskennzahlen künden von properem Mittelstand. Ist das überhaupt noch Handwerksbier, wie es das Etikett verspricht? Koch antwortet, inzwischen wenig überraschend, noch einmal mit einem Vergleich aus der Musikbranche: „Eine gute Band kann nicht nur in kleinen Clubs auftreten, sondern auch Stadionkonzerte spielen. Es bleibt doch immer Rock ’n’ Roll.“
Und wie stadiontauglich ist das deutsche Reinheitsgebot mit seiner Dreifaltigkeit aus Hopfen, Gerstenmalz und Wasser? Die Bier-Manager hierzulande tragen es in diesem Jahr wie eine Monstranz vor sich her. Dass es nach Auskunft der Bier-Historiker ursprünglich eine schnöde Maßnahme zur Erhöhung des Steueraufkommens war, davon wird im Jubeljahr nicht viel gesprochen. Der Schmucktitel „Ältestes Lebensmittelgesetz der Welt“ zieht da schon deutlich mehr.
Eine ordentliche Rebellion
Wenn Greg Koch über das Reinheitsgebot spricht, klingt er deutlich weniger sentimental. Er hat zwar einen deutschen Braumeister für die Dependance in Berlin eingestellt, als Chef für den australischen Brauer an der Versuchsanlage und einen weiteren, aus England stammenden Kollegen. Aber an dieser Linie endet die Bereitschaft zur Diplomatie: Die festgelegte Beschränkung der Inhaltsstoffe sei gerade kein Qualitätsversprechen, argumentiert Greg Koch. Sie habe es den großen deutschen Brauereien lediglich ermöglicht, ohne Rücksicht auf die Wünsche ihrer Kunden sehr günstiges Bier herzustellen. Etwas anderes durfte es ja nicht geben.
Trotzdem sollen auch die vier ersten Sorten, die Stone Brewing in Berlin brauen wird, nun allesamt dem Reinheitsgebot entsprechen. Die Experimente mit Schokolade, Ingwer und Karamell bleiben vorerst auf San Diego beschränkt. Die Bezeichnung „Bier“ werde er trotzdem auf keine der Dosen drucken lassen, in die der Sud aus Berlin vor dem Weiterverkauf abgefüllt werden soll. „Wir haben in zwanzig Jahren rund dreihundert verschiedene Sorten gebraut“, überschlägt Greg Koch. „Keine einzige davon haben wir einfach nur Bier genannt. Das wäre, als ob man einen Chardonnay oder Merlot in der Hand hätte und auf dem Etikett einfach nur ,Wein’ stünde.“ Da ist er deutlich kreativer: Arrogant Bastard Ale, heißt eine seiner Sorten. So wie es sich für eine ordentliche Rebellion gehört.