Der World Beer Cup ist der angesehenste Brauerwettbewerb der Welt. Wir haben mit dem Juror Oliver Lemke aus Berlin kurz nach der Preisverleihung über das Abschneiden der deutschen Biere gesprochen.
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Oliver Lemke war einer der ersten deutschen Brauer, die die Craft-Beer-Idee nach Deutschland brachten. Bereits 1999 gründete er mit Lemke Berlin eine Kreativ-Brauerei in der Hauptstadt. Seit 2014 ist er einer der 250 Juroren beim – von der amerikanischen Brewers Association ausgetragenen – World Beer Cup. Der angesehene Wettbewerb, bei dem in 96 Bierstilen jeweils drei Medaillen verliehen werden, wird seit 1996 alle zwei Jahre in wechselnden Städten der Vereinigten Staaten ausgetragen und gilt als inoffizielle Weltmeisterschaft der Bierbrauer. Wir haben mit dem 49 Jahre alten Oliver Lemke, der an der TU Berlin Brauwesen studiert hat, am Tag nach der Preisverleihung in Philly, Philadelphia, am Telefon gesprochen.
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Herr Lemke, wie beurteilen Sie das Abschneiden der deutschen Biere beim diesjährigen World Beer Cup? Es gab 17 Medaillen für deutsche Brauer, 2014 waren es noch 28 gewesen.
Das Abschneiden war nicht so gut. Insgesamt 80 deutsche Brauereien haben Biere eingereicht. Da jeder mit vier Bieren teilnehmen darf, gehe ich davon aus, dass wir 320 deutsche Biere im Wettbewerb hatten. Wir haben 17 Medaillen in ausnahmslos deutschen Stilen geholt, davon fünf goldene. Das ergibt eine Quote von 5,3 Prozent bei den Medaillen. Das ist schlechter als der Durchschnitt unter den 58 Ländern, die mitgemacht haben. Der lag bei 5,8 Prozent. Schade. Aber es war auch in anderer Hinsicht ein besonderer Wettbewerb diesmal. Anders als in Denver 2014 haben die großen Stars der amerikanischen Craft-Szene kaum etwas gewonnen – Firestone Walker, Stone und wie sie alle heißen. Dafür waren unheimlich viele kleine amerikanische Brauereien erfolgreich, auch Japan.
Bei welchen Stilen muss Deutschland aus Ihrer Sicht eigentlich eine Medaille gewinnen?
Von “muss” würde ich nicht sprechen, aber wir nehmen ja für uns in Anspruch, neben England und Belgien eine der Mutternationen des Biers zu sein. Da wäre es schon gut, wenn wir ein bisschen mehr gewännen. Wir waren ja auch bei der Zahl der Einreichungen weit vorne.
Ist es nicht besonders erstaunlich, dass Deutschland in den Kategorien “Kölsch” und “Altbier” nicht auf den Medaillenplätzen landete?
Das zeigt, dass die anderen Länder nicht schlafen und dass wir hier einen fairen Wettbewerb austragen. Die Tschechen haben beim “Bohemian Pilsner” übrigens auch nichts gewonnen.
Müssten nicht eigentlich immer die prägenden Klassiker eines Stils gewinnen – beim Alt der Uerige, beim Weizenbier Schneider Weisse?
Sie müssen sich das so vorstellen: Da sitzen 260 Juroren aus den unterschiedlichsten Ländern. Auf einen durchschnittlichen Bierstil kommen 70 Einreichungen. In drei bis vier Runden wird ausgewählt und die besten drei Biere werden weitergeschickt. Da können Sie sich vorstellen, dass manchmal knappe Ergebnisse zustandekommen, Runden, bei denen man gut auch ein viertes oder fünftes hätte weiterschicken können. Hinzu kommt ein anderer Faktor: Bier schmeckt frisch aus der Brauerei anders, als wenn es schon ein paar Wochen alt ist. Gerade kleinere Betriebe, die aus dem Ausland ihr Bier einschicken, müssen sich da schon verstärkt Gedanken über Oxidation machen, auch der Hopfen leidet unter Dauer und Wärme. Sie wissen ja nicht, wie lange der Container mit ihrem Bier irgendwo im Hafen von Amsterdam steht. Aber das ist in diesem Jahr nicht anders gewesen als in den vorhergehenden Jahren.
Die Amerikaner haben aber schon einen Vorteil, weil Sie das einzuschickende Bier nicht über große Distanzen bewegen müssen.
Das ist so. Aber die Kollegen aus Japan haben es auch nicht leichter – und haben diesmal viel gewonnen. Mein Ansatz ist ein anderer. Das sind alles meine Kollegen. Mir ist letztlich egal, ob da ein Amerikaner, ein Chinese oder ein Deutscher gewinnt. Wichtig ist, dass tolle Biere prämiert werden.
Verkostet wird absolut blind?
Ja. Das Ganze ist übrigens auch eine logistische Meisterleistung: 6000 Biere werden zur richtigen Zeit, richtig temperiert auf den richtigen Tisch gestellt. Die Juroren werden vor dem Testen noch einmal darauf hingewiesen, wodurch sich der jeweilige Bierstil auszuzeichnen hat, welche Kriterien die Biere erfüllen sollten. Wenn Sie dann alle Biere mit Geschmacksfehlern aussondern, bleiben gar nicht so viele übrig. In einem zweiten Schritt schauen Sie dann: entsprechen diese Biere den Sortenkriterien. Die Medaillen entscheiden sich zwischen denen, die keine Geschmacksfehler haben und den „guidelines“ entsprechen. Zum Schluss dreht sich alles um die Balance und die Harmonie. Alle geschmacklichen Eindrücke müssen in dem Gewinner-Bier zueinander passen.
Welche Biere haben Sie als Juror in diesem Jahr am meisten überrascht?
Ich hatte ein Bier dabei, von dem ich sagen muss: So etwas Fürchterliches habe ich im Leben noch nicht getrunken. Auf der anderen Seite hatte ich sehr schöne Geschmackserlebnisse bei den deutschen Sauerbieren. Der Gewinner bei den Imperial IPAs war auch sehr gut.
Das Bürgerliche Brauhaus Saalfeld aus Deutschland hat mit zwei Bronze-Medaillen in diesem Jahr eine erstaunliche Leistung hingelegt. Weihenstephan war 2016 zwei Mal erfolgreich, und die kleine Brauerei Michael Plank bekam sogar drei Medaillen.
Ja, Saalfeld war die einzige deutsche Brauerei, die beim Pilsner eine Rolle gespielt hat.
Widerstrebt es Ihnen als erklärter Craft-Brauer nicht, Biere nach Stil-Richtlinien zu bewerten?
Ich bin eigentlich ein Fan der vorgenommenen Kategorisierungen. Vor allem aus Kundensicht sind sie sinnvoll. Der Kunde sollte ja nicht nach der Buntheit eines Etiketts entscheiden, sondern er soll wissen, was er kauft. Und noch ein Punkt kommt hinzu: Wie will ich mich sonst international messen? In der Craft-Szene gibt es gegen die aufgestellten Kriterien Widerstände, aber wenn man den Vergleich sucht und sehen will, wo man steht, ist das der gerechteste oder interessanteste Weg.
Sehen Sie sich selbst als typischen Craft-Brauer?
Definitiv. Wir waren die erste Brauerei, die das Konzept nach Berlin gebracht hat. Einerseits ist es für uns toll, dass die Craft-Beer-Bewegung jetzt so richtig in Deutschland angekommen ist, andererseits ist es für uns ein alter Hut. Craft wird sich bei uns sicher nicht so stark entwickeln wie in den Vereinigten Staaten, weil wir viele etablierte Handwerksbrauereien haben, aber wenn wir in 10 Jahren einen Marktanteil von 5 Prozent erreicht haben, ist allen geholfen. Die Konsumenten haben eine neue Vielfalt, haben neue Bierstile, und von den 5 Prozent können 100 Brauereien gut leben.
Für Sie spielt die Wiedererkennbarkeit des Geschmacks auch beim Craft-Bier eine große Rolle.
Wir haben momentan zwei Probleme im Craft-Segment in Deutschland. Zum einen wird es sehr stark in die revolutionäre oder Hipster-Ecke geschoben. Wohin es aber nicht gehört. Wenn wir Craft beschränken auf Berlin Kreuzberg und Friedrichshain, dann wird es nirgendwo hinkommen. Wir versuchen, mit sauberem Handwerk und wissenschaftlichem Hintergrund eine Geschamcksvielfalt zu erzeugen und Menschen aus allen Bereichen der Bevölkerung zu erreichen – Menschen, die Spaß an Genuss haben. Wenn ich immer nur Leute vor mir sehe, die Karohemden tragen, große Rauschebärte und zwei Dutzend Tattoos, werde ich die breite Akzeptanz, die Craft braucht, nicht erreichen. Das zweite ist, dass wegen des momentanen Booms alle möglichen Leute in diese kleine Industrie hineindrängen, solche, die nicht aus dem entscheidenden Grund dabei sind, tolles Bier zu machen. Sondern, weil sie Kohle machen wollen oder Craft cool finden oder was auch immer. Vielen fehlt einfach das Know-How. Diplomingenieure gehen sechs Jahre zur Uni. Wie hoch sind meine Hefezellenzahlen, wie vermeide ich Oxidation, wie steuere ich meine Mikroorganismen, wie meine Enzyme, das ist das Entscheidende, und dieses Wissen brauche ich, um Kontinuität zu gewährleisten. Das sind wir dem Kunden schuldig. Und das konnte man auch beim World Beer Cup sehen: Die ganze Truppe der medienpräsenten deutschen Craft-Brauer hat nichts gewonnen. Die deutschen Preise wurden mehrheitlich von etablierten Brauern geholt.
Sie scheinen den etablierten Brauern fast näher zu stehen als den Craft-Kollegen.
Nee, das ist eine Frage der Definition. Ich selbst verstehe mich als Craft-Brauer. Ich brauche ja nur bei der amerikanischen Brewers Association nachzuschauen: Wie definiert sich ein Craft-Brauer? Er ist kreativ, er hat im Wesentlichen traditionelle Vorstellungen von der Bierproduktion und vereint beides mit großer Nähe zum Kunden. Craft heißt nicht, dass ich mache, was ich will. Sie können Bier dauerhaft nicht herstellen ohne wissenschaftlichen Background. Craft verbindet Wissenschaft, Handwerk und einen künstlerischen Teil. Nur wenn Sie alle Bereiche unter einen Hut bringen, können Sie auf dem Markt erfolgreich sein und kontinuierlich gute Biere brauen. Die Wissenschaft und das Handwerk fallen in der Craft-Szene in Deutschland momentan hinten runter.
Worin besteht der künstleriche Anteil?
Der besteht darin, einen Bierstil so zu interpretieren, wie ich es möchte. Wenn wir ein neues Bier machen, legen wir vorher genau fest, wie es schmecken soll. Denn es muss innerhalb des Bierstils ja vor allem lecker sein. Da muss ich vorher einige Versuche machen, zehn, zwölf Sude. Das ist auch der Nachteil an Lohnbrauverfahren. Wenn ich irgendwo hin gehe und mache ein Bier in einer fremden Brauerei, wird es immer ein Zufallsprodukt sein. Kreativ sein, heißt auch nicht: Chili-Schoten ins Bier zu werfen. Das ist langweilig. Spannender finde ich, wie wir es gerade machen, zusammen mit der TU Berlin zu erforschen, wie man die echte Berliner Weisse wiederbeleben kann. Das testen wir gerade aus.
Wie sind Sie Juror beim World Beer Cup geworden?
Man wird empfohlen von jemandem, der schon Juror ist. Darüber hinaus braucht man weitere drei Empfehlungen von Leuten aus der Brauindustrie.
Ist das Testen nicht sehr anstrengend? Beim Bier muss man ja, anders als beim Wein, zur Geschmacksbeurteilung runterschlucken.
Das Testen ist extrem anstrengend. Wobei der Alkohol über den Tag verteilt während des Verkostens eigentlich kein Problem ist. Sie testen vormittags drei Stunden, nachmittags drei Stunden. In jeder Verkostung haben Sie drei Runden, also dreißig Biere, aber Sie nehmen nur homöopathische Mengen zu sich. Anstrengend wird es abends, wenn die Parties hinzukommen.