Er war der unglaublichste Bierverehrer der deutschen Kulturgeschichte. Für seinen geliebten Gerstensaft, bevorzugt aus Bayreuth, ging der Dichter Jean Paul jedes Risiko ein.
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Wie der Kompass seine Nadel, richtete Jean Paul sein Leben nach der Verfügbarkeit von gutem Bier aus; er war der unglaublichste Gerstensaftverehrer der deutschen Kulturgeschichte – das Johanisser aus Bayreuth liebte er besonders. Zum Studium musste er sein geliebtes Franken verlassen, danach Karriere machen, in Weimar etwa, wo er 1798 Star der Saison war. Man riss sich um seine Gesellschaft mehr als um die Goethes. Jean Paul aber war nicht recht wohl. Zwar gab es Wieland, Herder, Schiller, Goethe – aber eben kein Bayreuther Bier. Also spannte er seinen Freund Christian Otto ein: „Meine Reisen zerstören mich wie das englische Bier hier; trink’ ich’s noch ein Jahr, so bin ich todt; – das weiß ich. Kann man denn für alles Geld kein Johanisser hierher erhalten? Jeder Preis ist mir recht.“ Unablässig mussten seine Bayreuther Freunde ihn von nun an mit Biersendungen beschicken, ob auf Fuhrwerken, per Schubkärner, ob sommers, ob winters. Bayreuther Bier war für Jean Paul nicht nur Genuss-, sondern auch unverzichtbares Schreib-Triebmittel.
Das ging so weit, dass sich der Dichter irgendwann genötigt sah, seinen „Bierunfug“ dem unter der Arbeitslast stöhnenden Hauptlieferanten gegenüber zu verteidigen. Am 15. März 1803 verfasste er ein flammendes (oder sollte man eher sagen vollgetränktes?) Grundsatzschreiben: „’Konntest du nicht so viele und so treffliche Werke in längerer Zeit bei kleinerer Anspannung geben’ sagt die Welt. Nein, Welt! Die Kunst fordert Intension der Anstrengung, nicht Extension.“ Und um die Hitze der „Intension“ aufzubauen, braucht es eben Brennstoff – in Jean Pauls Fall: das rechte Bier.
Von Weimar ging er nach Berlin, aber sobald er es sich leisten konnte, zog er seinem geliebten Bier entgegen. In Meiningen und Coburg lockten ihn die jeweiligen Fürsten mit dem Versprechen von kostenfreier Wohnung, kostenfreier Bücherbeschaffung und vor allem: kostenlosem Biertransport.
Für das Bier riskierte Jean Paul Freundschaften, und für das Bier kam er sogar mit dem Gesetz in Konflikt. In Coburg schlug er, biergesättigt, nachts das Wasser auf offener Straße ab – und wurde von zwei „Jungfern“, die ihn dabei beobachteten, angezeigt. Bei der Wortwahl zum Lobpreis seines Lieblingsgetränks kennt Jean Paul keine Schranken – in ungehemmter Bier-Verzückung preist er den „Seelentrank“, das „Magen-Balsam“, die „vorletzte Ölung“ und sein „Weihwasser“. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Jean Paul den ein oder anderen Bekannten danach ausgesucht habe, wie sehr er zum Bier-Beschaffer tauge.
Aber wie groß auch immer der Aufwand gewesen war – Jean Paul konnte sicher sein, dass er lohnte: „Bei der Einfahrt eines Bierfasses“, schreibt Jean Pauls Ehefrau Karoline, „läuft er seliger umher als bei dem Eintritt eines Kindes in die Welt.“ Anfeindungen wegen seines Bierkonsums gab es durchaus. „Ich ehre Jean Paul sehr, aber was mir leid tut ist, daß er sich dem Trunk so überlässt“, schrieb Henriette Knebel. Aber Jean Paul versicherte seinen Bier-Kritikern: „Ich kenne keinen Gaumen-, nur Gehirnkitzel; und steigt mir eine Sache nicht in den Kopf, so soll sie auch nicht in die Blase… Was Trunkenheit ist – die nämlich den Geist lähmt, anstatt beflügelt – … kenn ich nicht.“
Doch immer hat er eine Vision: „Bin ich erst mal in Bayreuth, Himmel, wie werde ich trinken!“ 1804 ist es so weit, Jean Paul zieht in Bayreuth ein, sein Seelenöl gibt’s ab jetzt um die Ecke; er wird dort bis an sein Lebensende leben. Doch wie dankt es ihm jene Stadt, der all seine gerstenschwere Zuneigung galt? Auf der offiziellen Website Bayreuths nennt sie unter der Rubrik „Bieriges“ Richard Wagner noch vor Jean Paul. Und das, obwohl Wagner Champagner mehr liebte als das Bier.
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Wolfgang Hörner ist Programmleiter beim Galiani Verlag in Berlin. Im Jahr 2006 veröffentlichte er im Werhahn Verlag das Buch „Bier, Bier, Bier wie es auch komme. Jean Paul und das Bier“.