Man muss es versucht haben: Hilft Bier gegen Fieber? Eine literarische Phantasie über die Bedeutung und Entstehung des Rheinheitsgebots.
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Da sagte sie mir, du musst einen Liter warmes Bier trinken, und zwar in deinem Einmannzelt, in der Mittagshitze, mit einem Pullover bekleidet, den Eingang fest verschlossen, nichts anderes darf hineinkommen ins Zelt, dann sei das bald überstanden, und deine Augen werden aufgetan, und du wirst sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. Es funktioniere aber nur mit deutschem Bier, wegen des Reinheitsgebots; bei Bieren, die dem Reinheitsgebot nicht entsprächen, sei bei dieser Methode Vorsicht geboten, denn die Gesundheit könne Schaden nehmen.
Also machte ich mich auf den Weg und suchte ein Geschäft, das deutsches Bier führte. Ich fand schließlich einen armen Teufel, der mir ein faires Angebot machte: Da es sich ja um Medizin handele, bot er mir die Flasche für zwölf Mark an. Bei Abnahme von zwei Flaschen reduziere sich der Preis auf zwanzig Mark. Er betonte, der Konsum von einheimischem Bier sei mein sicherer Tod, sei doch nur das bayerische Bier flüssiges Brot in Reinkultur. Ich begann zu rechnen. Bei Abnahme einer genügend großen Menge müsste sich der Flaschenpreis auf ungefähr null Mark reduzieren lassen. Diese genügend große Menge stellte sich als sieben Flaschen heraus. Die andere Berechnung betraf das Fieber. Mit jeder Flasche würde ich das Fieber um jeweils etwa zwei Grad senken können.
Durch den Zelteingang kein Hauch. Nach drei Flaschen spürte ich Schweigen im Walde. Später kamen die Kühe und trampelten das Zelt nieder. Die Natur macht keine Sprünge, erkennt aber das Reinheitsgebot an, und so blieb ich gänzlich unversehrt. Sieben Flaschen Bier im verschlossenen Zelt, im Pullover bei knapp vierzig Grad Fieber und etwa 42 Grad Außentemperatur ist eine spirituelle Erfahrung, die das Leben grundsätzlich verändert und Gott auf den Plan ruft. Und Gott sagte: Das Fieber ist Geschichte, zieh den Pullover aus, öffne das Zelt, und geh schwimmen. Und ich erhob mich, zog den Pullover aus, öffnete das Zelt und ging im Ganges schwimmen. Da sah ich ein Tier ins Wasser steigen, das hatte zwei Häupter und zwei Sonnen um die Häupter und elf schwarze Flammen auf der Brust und über seinen Flammen drei Kronen.
Ich hätte mich gegen das gesamte Rheinland versündigt, spottete das Tier mit dem Aussehen eines Pardel und den Füßen von Beeren und dem Mund eines Lewen, indem ich bayerisches Bier getrunken hätte, und zwar zu wenig zum Sterben, zu viel für einen Freispruch. Das bayerische Bier, fauchte das andere Haupt, sei nicht unter den Glockenschlägen des Kölner Doms gebraut worden und entspräche deshalb nicht dem Rheinheitsgebot. Das Tier machte mir ein Malzeichen auf die Stirn: „Kölner, trink Kölner Bier!“, stand nun auf ihr geschrieben, und es kündigte an, mich zu verschlingen, sollte ich nicht alle 666 Kölschmarken in alphabetischer Reihenfolge aufsagen können. Dem kölschen Alphabet zufolge gibt es, sprach ich, nur ein Kölsch, und das heißt Kölsch, alles andere ist Knüselskrom und soll zum Deuvel jonn. So geschah es. Die Ströme unreinen Bieres aus aller Welt bildeten eine Sintflut, in der das Tier ertrank. An dieses Ereignis zu erinnern, spricht die Welt vom Rheinheitsgebot.
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Der Autor ist Schriftsteller. Kürzlich, zum neunzigsten Geburtstag von Franz Mon, gab er „Sprache lebenslänglich: Gesammelte Essays“ (S. Fischer) heraus.