Vor 150 Jahren wäre das Weizenbier fast einmal ausgestorben. Doch ein wagemutiger Brauhauspächter kaufte König Ludwig II. das defizitär gewordene Adelsprivileg kurzerhand ab und gründete Schneider Weisse. Sein Nachfahre, Georg Schneider VI., hat uns die Familiengeschichte erzählt.
***
Wenn Georg Schneider, ein ungewöhnlich fröhlicher Mensch, in seinem Kelheimer Weissen Bräuhaus unter dem hellen Deckengewölbe aus dem 17. Jahrhundert ein Glas mit Weizenbier aus eigener Herstellung an die Lippen führt, ist er in besonderer Weise zu beneiden. Nicht etwa, weil das Familienunternehmen in sechster Generation so manche Krise wohlbehalten überstanden hat und das obergärige Schneider-Bier als Sortenklassiker gilt. Sondern auch und vor allem, weil er, dem Familiengeschichte so viel bedeutet, sie sogar trinken kann.
Das “Original” zum Beispiel erinnert schon wegen seiner dunklen Bernsteinfarbe, welche von stark kalkhaltigem Brauwasser aus dem Malz herausgewaschen wird, an den Münchner Teil der Familiengeschichte, der sich locker bis 1872 zurückverfolgen lässt – jenem Jahr, in dem Georg Schneider I., damals Pächter des Königlich Weissen Hofbräuhauses zu München, dem Wittelsbacher Ludwig II. das Privileg abkaufte, Weißbier zu brauen. Das Ganze war ein erstaunlicher unternehmerischer Akt, hatte das Weizenbiermonopol der bayerischen Herzöge und Könige doch seit dem Jahr 1602 über Jahrhunderte hinweg die Staatskasse gefüllt und so manchen Krieg finanziert. Doch beim Bier ist der Kunde in besonderer Weise König. Und so hatten die untergärigen Stile – das Münchner Dunkle und Helle – die nach Erfindung der Kältemaschine nun ganzjährig gebraut werden konnten und plötzlich als moderner galten, das Weizenbier in der Beliebtheit verdrängt. Die Weissen Bräuhäuser machten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunehmend Verlust – nur Georg Schneider I. setzte weiter auf das alte Rezept und konnte so den Adeligen in einem günstigen historischen Moment das einstige Privileg abluchsen.
Der Abschied der Schneiders von München geschah dann gänzlich unfreiwillig durch die Zerstörung der Brauerei im zweiten Weltkrieg, 1944. Besorgt machten sich kurz darauf Georg Schneiders Vater und Großvater, die Ur- und Ururenkel Georgs I., in einem dreitägigen Fußmarsch nach Kelheim auf, um sich mit einem Blick über die Donau zu versichern, dass wenigstens die Zweigbrauerei nahe Regensburg, welche die Familie 1928 erworben hatte, noch steht. Sie stand – und es war an Georg IV. zu entscheiden, die Produktion von 1946 an komplett nach Kelheim zu verlegen.
Georg Schneider VI., der uns gegenüber sitzt und gerade voller Begeisterung die Geschichte seiner Familie erzählt, wurde dann schon an der Donau geboren, wobei die Familie Schneider mit ihren beiden renovierten Bräuhäusern in München heute zumindest noch über ein Standbein in der alten Heimat verfügt.
In Kelheim werden derzeit mit 100 Mitarbeitern 300.000 Hektoliter Bier im Jahr produziert und vermarktet. 25 Prozent der Produktion geht ins Ausland. Das “Original” wird noch immer nach dem Münchner Rezept von 1872 gebraut, und da das Wasser des bayerischen Jura ähnlich hart ist wie das in München, hat es auch noch immer die gleiche dunkle Farbe.
Würde der 1956 geborene Georg Schneider VI. als nächstes ein “Aventinus” trinken, den würzigen Weizen-Doppelbock (8,2 Prozent Alkohol) aus seiner Bier-Linie, den viele Experten als eines der besten Biere der Welt bezeichnen, könnte es ihn gedanklich wieder zurück nach München verschlagen. Er könnte sich seiner Urgroßmutter Mathilde erinnern, die, nachdem Georg II. und dessen Sohn binnen weniger Jahre gestorben waren, 1905 die Geschäfte übernahm, ihren Schwager, einen früheren Eisenbahnvorsteher, als Brauereidirektor einsetzte, und das Unternehmen, wie der Urenkel sagt, mit “großem Herz und einem eisernen Willen” führte.
Jeden Sonntag bewirtete sie in der Münchner Möhlstraße die ganze Familie und traf energisch die nötigen unternehmerischen Entscheidungen, wie zum Beispiel 1907 die Einführung des ersten Weizenstarkbiers der Welt, eben jenes “Aventinus” (ein köstliches Bier!), das nach der Büroadresse der Brauerei, der Aventinstraße, und damit nach dem ersten bayerischen Hofhistoriographen benannt werden sollte. Allein der Bayerische Brauerbund, dessen Präsident Georg Schneider seit wenigen Wochen ist, wollte diese Namensgebung damals nicht genehmigen. Ein Starkbier müsse nach einem Heiligen benannt werden, hieß es. Und den besorgte dann der Pfarrer der Familie, der nach einigen Recherchen tatsächlich einen Heiligen gleichen Namens ausfindig machte.
Der beliebte fünfte Sud
So früh Georg II. (mit 40 Jahren) und Georg III. (mit 35 Jahren) in München gestorben waren, so alt wurden ihre Nachfahren. Georg IV., der Sohn von Mathilde, übernahm das Unternehmen 1924. Und auch Georg V., der eigentlich Dirigent werden wollte, die Brauerei dann aber von 1958 an mehr als 40 Jahre lang führte, trug zu der ungewöhnlichen Dichte der Familienüberlieferung bei, die sich jetzt in Georg VI. manifestiert. So mitreißend dieser von seinen Vorfahren erzählen kann, so höflich desinteressiert kann er wirken, wenn sich das Gesprächsthema auf nichtfamiliäre Themen verlagert.
Noch so eine Familiengeschichte: Die amerikanischen Besatzer sollen 1945 in Kelheim schon bald Gefallen am Weizenbier gefunden haben und erteilten der “Brauerei G. Schneider & Sohn” schon wenige Wochen nach Kriegsende eine der begehrten Braugenehmigungen. Allerdings durfte zunächst nur niedrigprozentiges Bier erzeugt werden.
Doch der Familienüberlieferung zufolge konnte die Militärverwaltung mit einem vorgeschobenen Argument erweicht werden. Bei der niedrigprozentigen Produktionsweise, behaupteten die Schneiders, bestünde die Gefahr, dass die wertvolle Spezial-Hefe für immer aussterbe. Wer wolle das verantworten? Hinfort durfte jeder fünfte Sud stärker eingebraut werden als die übrigen – eine Maßnahme, die dazu beigetragen haben mag, die Beliebtheit des Weizenbiers in der Region noch zusätzlich zu steigern.
Die Geschichte des Weißbiers – ein bemerkenswertes Auf und Ab
Zurück in die Realität: Wir haben genug gesessen und machen uns vom Bräuhaus auf zur Brauerei, ein Gang über den Hof. Die offenen Gärbottiche im großen Anbau, welche die fruchtigen Aromen der Schneider-Hefe unterstützen und mit einer Reinigungshaube nur bei Bedarf geschlossen werden, sind noch eine Erfindung des Vaters.
Doch jetzt nähern wir uns endgültig auch räumlich der Ära Georg Schneiders VI., der im Jahr 2000 die Brauerei übernahm und mit seiner Neukreation “Festweisse” schon ein Jahr später ein Weizenbier präsentierte, das – inzwischen voll im Trend – eine alte Festbierrezeptur mit ausgeprägten Cascade-Hopfenaromen verbindet. Schon in den neunziger Jahren hatte Georg Schneider, der sich als “Kind grüner Gedanken” bezeichnet, erste Reisen in die Vereinigten Staaten unternommen, um die Microbrewer-Bewegung, aus der die Craft-Brewer hervorgingen, aus der Nähe zu begutachten.
Ein Craft-Beer-Touch ist ihm noch heute anzumerken. Georg Schneider bewundert die phantasievollen Produkte der italienischen Amarcord-Brauerei und entwickelte 2007 zusammen mit seinem Braumeister Hans-Peter Drexler und der Craft-Ikone Garret Oliver von der Brooklyn Brewery eine “Hopfenweisse”, die das Weizenbier mit einer Extraportion Hallertauer Hopfen um einen neuen Stil bereichert hat. Heute ist die “Hopfenweisse” (8,2 Prozent Alkohol), die nach gleichem Rezept in Übersee gebraut wurde, dort aber ganz anders schmeckte, fast schon ein Klassiker.
“Tap 5” heißt die “Hopfenweisse” in der Schneiderschen Produktlinie, was an die Zapfhähne amerikanischer Bierbars denken lässt und die Frage provoziert, ob es sich ein bayerisches Traditionsunternehmen mit einer solchen Bezeichnung nicht bei der konservativen Kundschaft unnötig schwer macht. Aber Georg Schneider ist auf diese Frage vorbereitet und erklärt lächelnd, dass das Wort “Tap”, deutsch ausgesprochen, eine Abklatsch-Figur beim Schäffler-Tanz bezeichnet, dem Figurentanz der Fassküfer, wogegen dann auch Traditionalisten nichts mehr einzuwenden haben.
Gesucht: Das Bier zum Wild
Vorbei an einer Wandgalerie mit den selbstgemalten Etiketten des Brauereichefs (seit 2009 prangen sie auf jeder Flasche) führt uns Georg Schneider zu seinem aktuellen Lieblingsprojekt. Als passionierter Hobbykoch hat er es sich in den Kopf gesetzt, ein Bier zu entwickeln, das zum Wild passt. Daher steht in einem Kellerraum der Brauerei sorgfältig aufgereiht eine Armada von unterschiedlich großen Weinfässern (seihe das Bild oben), in denen sich Weizenbiere nach unterschiedlicher Rezeptur befinden. Georg Schneider macht keinen Hehl daraus, dass er diese Idee selbst ein bisschen verrückt findet, aber zu ersten Ergebnissen ist er schon gekommen: “Das Bier wird etwas kräftiger vom Alkoholgehalt sein”, sagt er, “jedoch frisch schmecken und eine leichte Säure besitzen, ohne den Biercharakter zu überdecken.” Die holzigen Noten hat er schon als Sackgasse erkannt, jetzt arbeitet er an den sauren.
Georg Schneider verabschiedet uns mit einigen Besuchertipps. Denn wir haben eines der Gästezimmer im nur wenige Kilometer entfernten Kloster Weltenburg ergattern können und sind auf dem Sprung zu einer ganz anderen, der untergärig-mönchischen Biertradition mit noch dunkleren Bieren.
Und auch zu Weltenburg hat Georg Schneider eine besondere Beziehung. Er ist oft dort, paddelt mit dem Kanu gegen die Strömung der Donau hin – eine Knochenarbeit in einer der schönsten Flusslandschaften Deutschlands -, geht dann am atemberaubend schönen Kieselstrand vor Weltenburg an Land und trinkt in dem Biergarten des Klosters unter den herrlichen Kastanien einen “Asam Bock” (6,9 Prozent) . Dann geht er in die von den Asam-Brüdern erbaute und gestaltete grandiose Klosterkirche, und ist, wie jeder Besucher, direkt gebannt von der rückwärts beleuchteten barock-theatralischen Szene im Altarraum: Ein Ritter mit Helm und Lanze vertreibt den Drachen und rettet einer Frau das Leben. Und wie heißt der Ritter? Georg heißt er. Und wieder schließt sich ein Kreis für den erklärtermaßen “sehr katholischen” Georg Schneider VI.
Auf die Asam-Brüder werden wir übrigens noch zu einem späteren Zeitpunkt in diesem Blog zurückkommen. Denn eines der Weltenburger Biere, die noch mitten in der Klosteranlage gebraut werden, wurde nicht umsonst nach ihnen benannt. Über den Bierkonsum der Braumeister-Enkel gibt es in alten Dokumenten ein paar wirklich bemerkenswerte Details.