Das Billigbier Oettinger hat einen fulminanten Aufstieg hinter sich. Lange war es Deutschlands meistverkaufte Biermarke, hat den Posten aber wieder verloren. Im Interview spricht Geschäftsführer Jörg Dierig über Blindtests, Reifezeiten und das Billigimage.
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F.A.Z.: Jahrelang war Oettinger das meistverkaufte Bier in Deutschland. Nun hat Krombacher den Spitzenposten übernommen. Was ist da falsch gelaufen?
Jörg Dierig: Gute Frage. Wir sehen das sportlich. Das war in den letzten Jahren immer ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Krombacher hat das Sortiment stark vergrößert. Ich habe früher selbst bei Krombacher gearbeitet. Die großen Fernsehbiere geben natürlich auch sehr viel Geld für Werbung aus. Die ganze Bierbranche tut das. Nur wir nicht. Wir stehen dazu: Wir sind das Preiseinstiegssegment. Und es wäre ein Fauxpas, wenn wir das jetzt ändern würden. Wir wollen keine zweistelligen Millionenbeträge für Fernsehwerbung ausgeben.
Sie bleiben also das „Bier für den Hartz-IV-Empfänger“, wie ein großes Nachrichtenmagazin einmal gespöttelt hat?
Solche Verunglimpfungen erlebt jeder billige Anbieter. Journalisten verbinden „billig“ schnell mit „sozial schwach“. Damit muss man leben. Wir bieten unser Bier allen an. Jeder ist uns gleich wichtig.
Nervt Sie das Image als Billigbier nicht?
Nein, wir sind eine ehrliche Marke. Und wir sind anders als die anderen. Wenn ein „Intensivverwender“ vor dem Discounter steht, trinkt er natürlich oft Billigbier. Damit muss man leben. Aber Oettinger wird nicht nur von sozial schwächeren getrunken. Das Phänomen mit dem reduzierten Image ist natürlich bei vielen Verbrauchern verankert. Sie denken: „Nur wenn etwas teuer ist, kann es auch gut sein“. Ihnen wurde in der Werbung ja auch jahrelang eingetrichtert, dass alles „Premium“ sein müsse. Muss es aber nicht. Bei uns zahlt der Verbraucher nur für das Bier, nicht für irgendwelche Traumwelten drum herum.
Viele Biertrinker sagen aber auch, man schmecke den Unterschied
Ja, das behaupten sie. Aber bei Blindverkostungen wendet sich das Blatt. Da schneidet Oettinger nicht schlechter ab als die Premiummarken.
Das behaupten Sie.
Ja, das ist auch so. In Blindverkostungen sind wir gut. Aber sobald eine Etikettenverkostung stattfindet, läuft unser Bier „unter ferner liefen“. Deshalb haben wir gerade eine Blindtest-Aktion gestartet: Mit einem VW-Bulli fahren wir im August und September durch Deutschland und laden als erste deutsche Brauerei dazu ein, unser Bier mit Wettbewerbsprodukten zu verkosten.
Ganz schön mutig, würden Kritiker sagen.
Ja, das ist auch mutig. Aber wir haben uns das gut überlegt.
Und wenn die Kunden doch die Premiummarken lieber mögen?
Na, schauen wir mal. Da sind wir selbstbewusst.
Vor einigen Jahren sorgte eine Untersuchung der Fachhochschule Münster für Schlagzeilen, die 60 verschiedene Biere auf ihren Fuselgehalt untersucht hat. Oettinger kam auf den unrühmlichen ersten Platz.
Das war keine umfassende Studie, sondern lediglich eine Diplomarbeit, sie ist inzwischen uralt. Soweit ich weiß, ist das über 10 Jahre her. Ich glaube nicht, dass die Aussage so haltbar ist. Die ganze Braubranche hat sich in den vergangenen Jahren technisch sehr stark weiterentwickelt, wir auch. Jede einzelne Stufe im Brauprozess hat sich verändert und technisch verbessert. Im Übrigen sind in jedem Bier Fuselalkohole drin.
Aber ihr Bier kostet oft weniger als Mineralwasser. Wie kann das gutgehen?
Das hat mehrere Gründe. Wir geben kein Geld für Werbung aus. Und wir produzieren sehr große Mengen: 9,3 Millionen Hektoliter waren es im Jahr 2015, davon haben wir 6,6 Millionen in Deutschland verkauft, den Rest haben wir exportiert. Zudem sparen wir beim Leergut und an der Verpackung. Unsere Wettbewerber haben oft für jedes Bier verschiedene Kisten. Die Rohstoffe für das Bier sind aber bei uns dieselben.
Viele ihrer Wettbewerber sind inzwischen auch auf den Trend zu „Craft-Bieren“ aufgesprungen. Gibt es von Oettinger auch bald ein „Craft-Bier“?
Nein, im Moment nicht. Wir beobachten aber die Entwicklung und finden den Trend auch sehr gut. Bier wird allgemein wieder mehr geschätzt. Die Craft-Bier-Bewegung tut der Gattung Bier gut. Allerdings muss man realistisch bleiben: Der Marktanteil liegt weit unter einem Prozent.
Könnten Sie denn, wenn sie wollten?
Ja, wir könnten. Wir haben in Mönchengladbach eine kleine, aber feine Testbrauerei. Da wird viel experimentiert. Und unsere Auszubildenden lernen dort, wie man richtig Bier braut.
Gasthäuser bieten selten Oettinger-Bier. Warum?
Wir liefern nicht an die Gastronomie, sondern nur an Getränkemärkte und den Handel. Wir zahlen der Gastronomie auch keine Gläser und Bierdeckel. Die gibt es zwar auch bei uns, aber man muss sie regulär kaufen in unserem „Fanshop“. Unsere Wettbewerber finanzieren den Wirten oft die ganze Innenausstattung vor. Das machen wir nicht. Und das wird auch so bleiben.
Stattdessen haben Sie eine eigene LKW-Flotte mit der Sie den Handel versorgen.
Ja, das ist ganz wichtig für unsere Kalkulation. Die anderen Großbrauereien müssen viel mehr Geld für ihre Distribution ausgeben. Mit unserer LKW-Flotte können wir große Mengen an Bierkisten günstig ausliefern.
So große Mengen hat Oettinger nicht immer produziert. Wie kam es zu dem fulminanten Aufstieg der Brauerei Anfang der Nuller-Jahre? Sie haben die Hitliste der meistverkauften Biermarken in Deutschland ja immerhin 12 Jahre angeführt.
Unser großer Durchbruch kam mit der Einführung des Dosenpfandes im Jahr 2003. Wir waren zwar auch schon vorher groß und bekannt, aber hauptsächlich in Süddeutschland. Unser Stammhaus liegt in Oettingen, einer Kleinstadt am Nordrand des Nördlinger Rieses, einem riesigen Meteoritenkrater an der Grenze zwischen Bayern und Baden-Württemberg. Das ist noch heute unser größter Standort. Aber wir mussten irgendwann auch den Schritt von dort aus über den Weißwurstäquator schaffen. Heute brauen wir außer am Stammsitz auch an den Standorten Gotha, Mönchengladbach und Braunschweig.
Und was hat das Dosenpfand damit zu tun?
Wir waren die Alternative zum Dosenbier – das war unser Durchmarsch. Damals musste der Handel sehr schnell nach Mehrweg-Alternativen suchen. Dosenbier hatte damals einen hohen Marktanteil. Doch mit dem Gesetz war die Dose von heute auf morgen eliminiert.
Inzwischen hat man den Eindruck, die Bierdose erlebt wieder eine Renaissance.
Ja, seit 2010 ist Dosenbier auch wieder zurück und das Segment wächst. Aber Dosenbier kommt längst nicht mehr auf die Marktanteile von damals. Heute sind es vielleicht 5 Prozent, damals waren es 20.
Manche Brauer sagen, Billigbier bekäme nicht genügend Reifezeit, das schmecke man auch. Wie lange darf ein Oettinger reifen?
Darüber muss ich immer lachen. Das wird immer gerne kolportiert. Die brauchen eben irgendein Argument, um ihre hohen Preise zu rechtfertigen. Bei uns braucht ein Bier 3 bis 4 Wochen. Ein Bier kann nicht schneller reifen, auch bei uns nicht. Diese Zeit ist Standard, das geht gar nicht anders. Manche Wettbewerber behaupten auch, sie hätten eine „Flaschengärung“. Ich kann nicht erkennen, dass dies zu einem besseren Geschmackserlebnis führt.
Gespart werden kann auch in der Produktion. Beim Filtern des Bieres sind trotz des Reinheitsgebotes heute einige zusätzliche Hilfsstoffe erlaubt. Zum Beispiel „Polyvinylpolypyrrolidon “ – kurz: PVPP. Der Hilfsstoff soll dem Bier die Trübe nehmen. Er wirkt zwar nur mechanisch und verändert das Bier nicht chemisch, aber für viele normale Biertrinker klingt das ein wenig furchteinflößend. Setzen sie das auch ein?
Ja. Das machen alle großen Brauereien. Man gibt PVPP hinzu, die Gerbstoffe im Bier werden damit gebunden. Das ist ein ganz normaler Vorgang. Das wird alles wieder restlos herausgefiltert. Auch die Premiumhersteller setzen PVPP ein.
Viele große Bierkonzerne produzieren nebenbei für die großer Lebensmittelhändler wie Aldi, Lidl oder Rewe No-Name-Handelsmarken . Sie wollen aber nicht, dass das bekannt wird, weil sie um ihr Image fürchten. Oettinger müsste sich doch da leichter tun, weil es ohnehin kein Premiumimage gibt. Welche Handelsmarken produzieren Sie?
Ja, auch wir produzieren für fremde Marken. Und es sind sehr viele. Aber welche das sind, wollen auch wir nicht sagen. Das dürfen wir nicht, da sind wir oft vertraglich zum Stillschweigen verpflichtet. Wenn der Kunde will, dass unser Name nicht auf dem Etikett steht, dann steht er nicht drauf. Wir haben kein Problem damit. Oft steht einfach auf dem Etikett: „Hergestellt im Auftrag von …“. Grundsätzlich können Sie aber davon ausgehen: Wir produzieren für fast alle großen Handelsmarken mit.
Zum Beispiel „Karlskrone“ bei Aldi
Das ist bekannt. Aber wie gesagt: Ich will keine weiteren Namen nennen.
Auch die Marke „5.0 Original“ gehört ihrem Konzern.
Ja, aber sie läuft komplett entkoppelt von der Marke „Oettinger“. Wir haben die Marke „5.0 Original“ im Jahr 2009 von Carlsberg übernommen, als wir deren Standort Braunschweig gekauft haben. Das Konzept ist komplett unverändert. Die junge „Kultmarke“ ist auf Festivals beliebt . Sie wird weniger im Discounter verkauft, mehr im klassischen Lebensmittelhandel. Es gibt sie in ganz schlichten, einfarbigen Dosen: Das Pils in schwarz, das Export rot, das Weizen orange, das Radler grün und einen Kola-Mix in lila. Und bei großen Sportereignissen wie der Fußball-WM oder EM für einige Wochen auch in schwarz-rot-gelb.
Aber sie haben jetzt Ärger mit dem Dosen-Designer. Die Agentur, die die Dosen früher einmal für Carlsberg entworfen hat, pocht nun darauf, Oettinger habe keine Rechte dafür erworben. Sie will Oettinger den Verkauf gerichtlich verbieten lassen.
Ja, es gibt darüber tatsächlich einen Streit. Aber es gibt derzeit kein rechtskräftiges Verkaufsverbot für die Dose. Die 5,0 Biervertriebs-GmbH wird Berufung einlegen, so dass alles weiterlaufen wird wie bisher.
Der ganze Biermarkt hat sich in den vergangenen Jahren verändert: Heute dominieren einige wenige große Brauerei-Gruppen. Oettinger ist bis heute ein Familienunternehmen. Bleibt das so?
Ja, das bleibt so. Das Unternehmen gehört seit den 50er Jahren der Familie Kollmar. Die Familie hat damals die fürstliche Genosseschaftsbrauerei in Oettingen gekauft. Alle Anteile sind bis heute in Familienbesitz.
Heute ist aber kein Familienmitglied mehr an der Spitze des Unternehmens. Warum?
Ja. Viele Jahre stand Günther Kollmar an der Spitze, dann sehr lange Dirk Kollmar. Seit seinem Tod 2014 ist kein Familienmitglied mehr in der Geschäftsführung. Aber das muss nicht dauerhaft so bleiben.
Gibt es in der nächsten Generation jemand, der sich interessiert?
Es ist gut möglich, dass in den nächsten 10 Jahren wieder jemand aus der Familie einen wichtigen Posten übernehmen wird.
Anfang des Jahres gab es negative Schlagzeilen: „Familienstreit bei Oettinger“ schrieb die Welt. Was ist da dran?
Streit kommt in den besten Familien vor. Ja, aber das tangiert uns in der Geschäftsführung nicht.
Wie ist ihr Verhältnis zur Familie?
Das ist ok. Wir arbeiten täglich zusammen.
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Jörg Dierig ist seit 2012 einer von drei Geschäftsführern der Oettinger-Brauerei. Er ist zuständig für den Vertrieb und das Marketing, sowie für den Standort Gotha. Für Oettinger arbeitet er seit 2008. Zuvor arbeitete er nach einem betriebswirtschaftlichen Fernstudium bei Danone, Gerolsteiner und Krombacher.