Im 500. Jubiläumsjahr des deutschen Reinheitsgebots hatte das Bier einige Rückschläge hinzunehmen. Doch es gärt weiter in deutschen Tanks. Ein Rückblick und eine Vorausschau auf 2017 in Bier-Meldungen.
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Nun konnte Deutschland in diesem Jahr ein halbes Jahrtausend ohne Zucker im Bier feiern – und noch immer ist nach deutscher Rechtsprechung nicht klar, ob es sich um ein „bekömmliches“ Getränk handelt. In der Frage, ob die Brauerei Härle aus Leutkirch ihr Bier mit diesem Attribut bezeichnen darf, soll jetzt der Bundesgerichtshof entscheiden, wir wollen uns da nicht weiter einmischen. Nachdenklich macht etwas anderes: Während die Deutschen noch im Jubeltaumel die Reinheit des Gersten- und sogar des Weizensaftes feierten, hatten unsere Hopfenfreunde aus Belgien ihren gezuckerten Getreidesaft schon bei der Unesco als Weltkulturerbe angemeldet und fuhren die Trophäe Anfang Dezember locker nach Hause. Ein herber Rückschlag für alle Reinheitspuristen, das muss man schon sagen.
Aber wir wollen in diesem Bier-Blog kein übermäßiges Konkurrenzdenken befeuern (wer trinkt nicht gerne mal ein belgisches Quadrubbel, oder wie das heißt), denn mit der Bierfeindschaft ist es oft nicht weit her, wie eine Blindverkostung im Rheinland gezeigt hat. Die Nickligkeiten, ob jetzt Kölsch oder Alt kein richtiges Bier ist, waren ja nie ernst zu nehmen, denn natürlich ist Kölsch lediglich die Nachahmung des Pils mit obergärigen Mitteln, also schon auch ein Bier. Aber, dass ein Kölner sein süffiges Hopfenblümchen nicht von einem knackigen, malzigen Alt unterscheiden kann (und umgekehrt), das war dann doch überraschend.
Von vielen Bier-Experten hatten wir im vergangenen Jahr immer wieder gehört: „Blindverkostung beim Bier? Eine Katastrophe, ein Desaster“, wobei jeweils offen blieb, ob das beim Wein anders ist. Vielleicht wäre das mal eine schöne Beschäftigung für Silvester: eine Blindverkostung von allem mit allem.
Kein Wunder, dass in diesem Jahr wieder die sonderbarsten Bierrezepte das Licht der Öffentlichkeit erblickten. Mit Bier aus Regenwasser (eine holländische Erfindung), solchem aus Urin (eine belgische Erfindung) oder mit alkoholfreiem Bier für Hunde (eine britische Erfindung), wollen wir uns hier nicht lange aufhalten. Uns hat das Bier aus dicken Bohnen elektrisiert. Das soll sich besonders klimafreundlich herstellen lassen (Ackerbohnen brauchen keinen künstlichen Stickstoffdünger), bei Blindverkostungen nicht von normalem Bier unterschieden werden können, allenfalls leicht nussig schmecken. Diese Blindverkostungen werden wirklich langsam zum Problem.
Zu loben sind aus umweltpolitischen Gründen auch die Grünen im bayerischen Landtag, die haben nämlich jetzt für alles staatlich-bayerische Bier (Hofbräuhaus, Staatsbrauerei Weihenstephan) ein Bio-Gebot beantragt. Bei anderen Nahrungsmitteln sei Bio längst „Standard in unseren Supermarktregalen“, warum eigentlich beim Bier nicht? Geschickt hat die Fraktion damit die im Februar einseitig dramatisierte Diskussion um Glyphosat im Bier aufgenommen und sie recht konstruktiv in Richtung Bio-Regio-Reinheitsgebot umgelenkt.
Über eines der größten Probleme des Biers konnten aber nicht einmal die Feierlichkeiten zum Reinheitsgebot hinwegtäuschen: Es enthält nämlich sehr viel Wasser und recht wenig Alkohol. Für Biertrinker ist das natürlich kein echter Nachteil. Sie wollen ihr Bier so, es macht ihnen nichts aus, über den Abend hinweg mehrere Liter Flüssigkeit, zu sich zu nehmen. Das Problem besteht, wie seit Hunderten von Jahren, im Nachschub, im Transport.
Erst am 14. Dezember um 7.40 Uhr hat wieder ein Laster in Oberstotzingen mehrere hundert Liter Bier verloren, die sich in die Stettener Straße ergossen, weil offenbar die Ladeklappe nicht richtig geschlossen war. Das würde den künstlich intelligenten Lastwagen von Uber wahrscheinlich nicht passieren, die vor wenigen Wochen unfallfrei 50.000 Dosen Bier auslieferten – in der angeblich „ersten kommerziellen Lieferfahrt mit einem automatisiert fahrenden Lkw“. Mit diesem Rekördchen muss man aber wirklich nicht groß hausieren gehen, eher schon mit der Bierpipeline der großartigen Brauerei De Halve Maan, die jetzt in Brügge das Bier unterhalb der Unesco-geschützten Altstadt von der Brauerei zum Ausschank sprudeln lässt, um die Tankwagen einzusparen, die bisher das Kopfsteinpflaster der Museumsstadt unsicher machten.
Das Bierverhalten, es ändert sich ständig. Gehörte „eine Halbe“ zum Mittagessen in Bayern früher noch zum guten Ton, sagen heute schon knapp die Hälfte der Bajuwaren: „Ein Bier am Mittag, das ist nicht okay“. Und immer häufiger hört man gar von Bier-Verbotsplänen am Kiosk (Hamburg) oder an Bahnhöfen (München). Selbst vom Christkindlmarkt soll das Bier in mancher bayerischer Stadt ferngehalten werden. In Augsburg zum Beispiel wird der Ausschank mit der Begründung, es verhindere „die richtige Weihnachtsstimmung“, schon seit Jahren konsequent unterbunden. Damit allerdings verschlafen die Schwaben nicht nur den neuen Trend zum Glühbier, der sich möglicherweise auch der Tatsache zu verdanken hat, dass Glühwein, wie die Schwäbische Zeitung ausgerechnet hat, viel teurer als gar das Oktoberfestbier ist – und von Reinheit könne bei dem “aromatisierten weinhaltigen Getränk” schon gar nicht die Rede sein.
Doch wie immer sich die Biergewohnheiten verändern: Warmes Bier gilt, vom speziellen Glühbier einmal abgesehen, nach wie vor als die Grenze des guten Geschmacks. Das hat sich im Sommer dieses Jahres wieder in einer Lokalposse in Grevenbroich erwiesen. Da waren auf einem Stadtfest 800 bereits verkaufte Biermarken zurückgegeben worden, weil das Getränk mit überhöhter Temperatur aus dem Zapfhahn kam. Und noch heute streiten Caterer und Getränkelieferant darüber, wer den Kulturbruch bei “Kunst und Musik im Park” begangen hat. Solches vollbringt auch nur das Massengetränk Bier: Falsch ausgeschenkt eint es in Sekundenschnelle ein Stadtfest, eine Region, ein Land und im Grunde auch die ganze Welt. Was ist ähnlich mehrheitsfähig wie kaltes Bier? Das Wohl der Menschheit kann da schon mal an ein paar Grad Celsius hängen.
Es gab 2016 aber noch eine Reihe weiterer Bier-Erkenntnisse, zum Teil wissenschaftlicher Natur, die wir hier zum Abschluss noch präsentieren wollen. So hat eine wissenschaftliche Studie im Auftrag der Guinness-Brauerei herausgefunden, dass bei Bartträgern im Durchschnitt etwa 0,56 Milliliter pro Schluck im Bart hängen bleiben. Das ist keine Kleinigkeit, denn die Bartbenetzung summiert sich allein in Großbritannien im Jahr auf mehr als 160.000 Pints, und bei Hipstern auf noch viel mehr.
Auch gut, dass wir jetzt wissen, warum Bier auf dem Oktoberfest nicht stärker aus den Krügen schwappt, als man aus physikalischer Sicht erwarten würde. Die Erklärung ist nicht, dass sich unter dem Schaum kaum Bier im Glas befindet, sondern sie liegt in den Kapillarkräften und der dämpfenden Wirkung des Schaums.
Auch hat die Wissenschaft festgestellt, dass Bier mit guter Musik serviert besser schmeckt und dass einen der Genuss von Bier in die Lage versetzt, freundliche Gesichter schneller zu erkennen. Biertrinker wussten das übrigens schon lange. Bier macht in vernünftigen Mengen eben nicht nur fröhlich, sondern auch (sozial) klug.
In diesem Sinne: einen guten Rutsch und ein gesegnetes Bierjahr 2017!