Reinheitsgebot

Reinheitsgebot

Das Blog zum Bier

Jedem sein eigenes Fläschchen

Brauereien füllen ihr Bier mehr und mehr in eigenen Flaschen ab. Stirbt die alte Norm-Bierflasche aus?

 

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Grüne Welle: Veltins war Vorreiter bei der Einführung von Relief-Flaschen.© VeltinsGrüne Welle: Veltins war Vorreiter bei der Einführung von Relief-Flaschen.

Wenn sich im Supermarkt am Pfandautomaten mal wieder Hunderte von Flaschen stapeln und den Automat lahmlegen, wird meist der Azubi gerufen. Er soll die Flaschen in die Kisten sortieren. Und weil es schnell gehen muss, ist das Ergebnis oft eine bunte Mischung. Das liegt auch daran, dass die Zahl der unterschiedlichen Flaschen und Kisten stark zugenommen hat. Etliche Großbrauereien haben in den vergangenen Jahren eigene Individualflaschen herausgebracht, bei denen der Markenname als Relief in die Flasche eingeprägt wird.

Diese Relief-Flaschen sind groß in Mode gekommen. Angefangen hat es mit Veltins, die schon 2003 ihre eigenen Flaschen auf den Markt gebracht haben. Vier Jahre später folgte Radeberger, dann Bitburger, Hasseröder, Köstritzer und Carlsberg. Jetzt hat auch Deutschlands Marktführer Krombacher nach langem Zögern eigene Flaschen eingeführt: leicht tailliert und mit eingeprägtem Schriftzug am Flaschenhals. Die ersten Sorten wurden im Herbst umgestellt, im Januar nun auch das Pils. Insgesamt bringt Krombacher 130 Millionen neue Flaschen zum Einsatz. Je ähnlicher die Biere schmecken, umso wichtiger wird die Verpackung. Marketingmanager lieben Unterscheidbarkeit – und wenn sie sich mit den Fingern ertasten lässt, umso besser. Die neue Flaschenvielfalt gefällt aber nicht jedem. Der Sortieraufwand hat stark zugenommen. Und auch die Transportwege werden immer länger. Früher wurden die leeren Flaschen, die sich beim Großhändler ansammelten, einfach von der nächstgelegenen Brauerei wieder befüllt. Heute muss jede Individualflasche in ihre eigene Brauerei zurück. Wer in Berlin ein Bitburger trinkt, dessen Flasche muss zurück nach Bitburg in die Eifel – einmal quer durch die Republik. Das in der Eifel getrunkene Radeberger muss im Gegenzug zurück nach Radeberg in Sachsen.

Es fehlt die zentrale Autorität

Krombacher-Individualflasche© KrombacherDie neue Krombacher-Flasche

Und trotz aller Mühen der Einzelhändler kommen bei den Brauereien nur selten Paletten mit lupenrein sortierten Kisten an, sagt Günther Guder vom Bundesverband des deutschen Getränkefachgroßhandels. Jede dritte Bierkiste sei mit mindestens einer Fremdflasche bestückt. Manche Brauereien lassen die Kisten vor Annahme von Getränkelogistikern nochmals feinsortieren. Das kostet aber, daher sortieren viele Brauereien auch selbst. Weil sich im Hof der Brauereien dann aber nach kurzer Zeit oft große Mengen von fremden Flaschen stapeln, haben manche Brauereien untereinander Tauschvereinbarungen getroffen. Auch eine eigene Internetplattform zum Flaschentausch namens “Bottlefox” gibt es für die Brauereien mittlerweile.

Dass immer mehr Brauereien ihr Bier in eigenen Flaschen abfüllen, ist nicht allein dem Marketing geschuldet. Auch das deutsche Pfandflaschensystem spielt eine Rolle. Lange Zeit galt es als Erfolgssystem, um das die Deutschen beneidet wurden. Vor allem die 1969 eingeführte Einheitsflasche für Mineralwasser – die sogenannte Perlenflasche – war ein grandioser Erfolg. Mehr als fünf Milliarden Flaschen wurden davon hergestellt, es ist die erfolgreichste Mehrwegverpackung der Welt. Während beim Mineralwasser das Pfandsystem zentral von der Genossenschaft deutscher Brunnen organisiert und wird, gibt es beim Bier-Pfandsystem aber keine zentrale Autorität.

Das System ist langsam gewachsen. Die ersten Ursprünge reichen bis 1903 zurück, als sich die Bierhändler in Frankfurt erstmals auf die Einführung eines Flaschenpfandes einigten. Die Idee habe sich mit der Zeit zum Handelsbrauch entwickelt, sagt Guder: “Es gibt kein rechtlich verbindliches Regelwerk.” So sei auch heute nicht klar geregelt, was passiert, wenn eine Brauerei den Pool verlässt. Für das Funktionieren des Systems sind alle gemeinsam verantwortlich.

Das Trittbrettfahrer-Problem

Problematisch ist vor allem, dass nicht klar genug vorgegeben ist, welche Brauerei wie viele neue Flaschen in den Kreislauf einspeisen muss, damit der umlaufende Bestand nicht verkommt. Das stört manche. Für Krombacher, die lange mit der Einführung einer eigenen Flasche gehadert haben, war das letztlich der entscheidende Punkt. Die umlaufenden Flaschen veralten immer mehr, weil sie nicht ausreichend erneuert werden.

LeergutLeergut im Hof einer Hamburger Brauerei: Immer mehr Kisten sind mit Fremdflaschen bestückt

“Die einzelne Brauerei hat in einem offenen Pool kaum Einfluss auf Alter und Aussehen der Flaschen”, sagt Holger Eichele, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Brauer-Bundes. Zwar wollen alle Brauereien schöne neue Flaschen im Pool, aber zahlen wollen dafür längst nicht alle. Neue Flaschen kosten, und so mancher Brauer hofft, dass die Konkurrenz genug neue einspeist und man selbst als Trittbrettfahrer davon profitiert. Krombacher hat sich damit zunehmend allein gefühlt. Es gebe keinen Sanktionsmechanismus. Allein in den Jahren 2014 und 2015 hat Krombacher 60 Millionen Flaschen zur Bestandspflege in den Kreislauf eingespeist. Mit eigenen Flaschen können Brauereien diesem Trittbrettfahrerproblem entkommen. Sie können als Eigentümer der Flaschen Alter und Aussehen selbst bestimmen.

Deutscher Sortierwahnsinn

Wenn der Trend langfristig anhält, dann stehen der Norm-Bierflasche schwierige Zeiten bevor. Auch das Sortiment der Norm-Pfandflaschen ist schon größer geworden. Bis Ende der 80er Jahre war die alte, solide Euro-Flasche der Standard. Rund 30 Jahre lang gehörte sie zum Inventar – zum Beispiel fast aller deutschen Baustellen -, dann kam sie plötzlich aus der Mode und wurde innerhalb kurzer Zeit von der schlankeren NRW-Flasche weitgehend abgelöst. Seit einigen Jahren wird viel Bier auch in Longneck-Flaschen abgefüllt. Insgesamt sind laut Schätzungen mehr als 100 verschiedene Bierflaschen im Umlauf.

Der Standard: Herkömmliche NRW-Flaschen dominieren noch immer. Hier drängeln sie gerade durch die Abfüllanlage einer Brauerei in Karlsruhe.© dpaDer Standard: Herkömmliche NRW-Flaschen dominieren noch immer. Hier drängeln sie gerade durch die Abfüllanlage einer Brauerei in Karlsruhe.

Das System läuft aber trotz allem erstaunlich gut. “Die Norm-Bierflasche stirbt nicht aus”, ist Günther Guder überzeugt: “Trotz des hohen Sortieraufwands funktioniert das Pfandsystem.” Zwar werde die Flaschenvielfalt größer, aber die Schwierigkeiten seien lösbar. Das glaubt auch Holger Eichele vom Brauerbund. Dafür gebe es schlicht zu viele Brauereien in Deutschland – insgesamt laut dem Statistischen Bundesamt rund 1400. Und viele neue, kleine Brauer sind auf die herkömmlichen Flaschen angewiesen. Sie können sich oft gar keine eigenen leisten, und selbst wenn sie es könnten, wäre es ökonomisch unsinnig, weil der Schwund zu hoch wäre. Gerade kleine Regionalbrauer bekämen ihre eigenen Flaschen oft nicht mehr zurück, wenn sie ihr Bier an auswärtige Kunden verkaufen. Damit sich der Transport über Hunderte Kilometer lohnt, müssen größere Stückzahlen zusammenkommen. Viele landen im Altglascontainer, weil sich der Aufwand nicht rentiert. Tatsächlich erreichen Individualflaschen im Durchschnitt geringere Umlaufzahlen. Wie groß die Unterschiede sind, darüber wird in der Branche gestritten. Guder spricht von durchschnittlich 20 Umläufen bei Individualflaschen und 30 bis 40 bei Pool-Flaschen. Der Verband der Privaten Brauereien kam bei einer Erhebung auf höhere Zahlen.

Köstritzer-Individualflasche

Auch einige Großbrauereien stehen weiterhin zur traditionellen braunen Normalflasche. Warsteiner und Oettinger zum Beispiel. “Brauereien aus anderen Ländern schütteln den Kopf über den Sortierwahnsinn, der bei uns herrscht”, schimpft Martin Hötzel, Geschäftsführer Vertrieb und Marketing der Warsteiner Gruppe. Nur für den internationalen Markt, wo das deutsche Pfandsystem ohnehin keine Rolle spielt, will Warsteiner von April an auch eine Individualflasche mit Prägung einführen. Billiganbieter Oettinger, der als Nummer zwei in Deutschland mehr als 50 Millionen Kisten Bier im Jahr verkauft, spart bewusst am Marketing: Zu teuer und ökologisch zu bedenklich findet Oettinger-Geschäftsführer Jörg Dierig die Individualflaschen.

Die Deutsche Umwelthilfe beobachtet die Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Insgesamt aber lobt sie die Bierbranche für ihr Pfandsystem. Die Mehrwegquote beim Bier liege mit über 80 Prozent viel höher als bei allen anderen Getränken. Bei Wasser etwa nur bei 30 Prozent. Die Kritik an den Individualflaschen hält sie für überzogen. In einem Hintergrundpapier der Umweltschützer heißt es, die einwegorientierte Verpackungsindustrie versuche das Mehrwegsystem in Misskredit zu bringen, indem es zwischen “guten” Pool- und “schlechten” Individualflaschen unterscheide. Tatsächlich seien aber auch Individualflaschen im Mehrwegsystem noch weit besser als Einwegverpackungen wie Dosen oder Plastikflaschen. Schon nach 10 Umläufen habe sich die Pfandflasche gelohnt.