Reinheitsgebot

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Das Blog zum Bier

Ist Berliner Weiße doch trinkbar?

Was heute als Berliner Weiße verkauft wird, hat mit dem Sauerbier-Klassiker von einst nichts mehr zu tun. Der Hauptstadt fehlt ein eigenes Bier. Oliver Lemke will das ändern, wir haben ihn in Berlin besucht.

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Video: Der Berliner Weiße auf der Spur / von Daniel Blum, Kathrin Jakob und Uwe Ebbinghaus

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Wenn man eines der drei Brauhäuser von Oliver Lemke, den wir vor einigen Monaten in diesem Blog als Juror beim World Beer Cup kennengelernt haben, in Berlin besucht und die Getränkekarte in Augenschein nimmt, kann man, jenseits des Respekts vor seinem expandierenden Craftbeer-Unternehmen, eine klaffende Lücke nicht übersehen. Es gibt selbstgebrautes Bier nach Böhmischer, nach Wiener, nach bayerischer und IPA-Brauart in seinem Sortiment, es gibt ein beeindruckendes Imperial Stout, es gibt aber kein Bier, das einem als Referenzbier für die Berliner Region unmittelbar einleuchten würde. Keines ist hier zu Hause.

© picture-allianceZeichnung von Heinrich Zille um 1910: “Im Budikerkeller” wird Berliner Weiße serviert

Oliver Lemke ist sich dieser Lücke auch bewusst. Im Video sagt er, dass ihm die Tränen kämen, wenn er an die lebendige Altbier- oder Kölsch-Kultur in einigen gewachsenen Kneipen des Rheinlands denke. In Berlin aber, wo die einst so beliebte Weiße in den letzten Jahrzehnten einen beispiellosen Niedergang erlebte, muss eine echte, eigene Bierkultur erst wieder entstehen. Im 19. Jahhrundert fühlten sich die Weißbierwirte noch als Künstler, trugen eine spezielle Kleidung mit Schleife und Plüschweste und nahmen von ihren Gästen Bestellungen wie “eine Weiße mit Gewehr über” entgegen – gemeint war die Zugabe von Pomeranzenlikör.

Über die Ursprünge der Berliner Weiße gibt es, darin ist sich der “Oxford Companion to Beer” mit dem lesenswerten Buch “Die Berliner Weiße – ein Stück Berliner Geschichte” einig, zwei Haupttheorien. Besagt die eine, die Hugenotten hätten sie im 18. Jahrhundert nach Zwischenstationen im sauerbier-versierten Flandern nach Berlin gebracht beziehungsweise das bestehende Weißbier entscheidend verändert, besagt die andere, dass die Berliner Weiße eine Abwandlung des im 16. Jahrhundert entwickelten Sauerbierstils “Broihan” sei, über den man aber kaum mehr etwas weiß.

Der “Champagner des Nordens”

Was in die Berliner Weiße alles hineingehört – mindestens so viel Weizen- wie Gerstenmalz, wenig Hopfen, ein besonderes Mischverhältnis von obergärigen Hefen, Milchsäurebakterien und dem auch vom Porter her bekannten Brettanomyces-Hefepilz – wird in dem erwähnten Buch minutiös nachgezeichnet; Oliver Lemke fasst es im Video kurz zusammen. Dennoch gibt es noch viel auszuprobieren: lässt man die Mikroorganismen von Anfang an zusammenarbeiten, kocht man die Würze oder entfalten sich die Aromen besser bei niedrigeren Temperaturen (letzteres gilt aus ausgemacht)?

© dpa/arkiviIm 19. Jahrhundert soll es noch mehr als 700 Brauereien gegeben haben, die Berliner Weiße erzeugten.

Das jedenfalls, was die letzte Großbrauerei, Berliner-Kindl-Schultheiss, heute noch als Weiße anbietet, hat mit dem ursprünglichen Getränk, das Napoleons Soldaten bei ihrem Durchmarsch angeblich als “Champagner des Nordens” bezeichneten, nur noch wenig zu tun, da die Mischgärung in zwei unabhängige Prozesse zerlegt wurde und auf den Einsatz der für den Geschmack unabdingbaren Brettanomyces-Hefe, die eine typische Herzhaftigkeit erzeugt (oft wird auch von Pferdedeckenaroma gesprochen), komplett verzichtet wird. Das Ergebnis ist ein eindimensionaler saurer Muntermacher, der die Beigabe von Sirup nur folgerichtig erscheinen lässt.

Man weiß nie, was als nächstes kommt

Eine Gegenbewegung von einigen kleineren Berliner Brauereien, die sich auf die traditionelle Herstellung zurückbesinnen, ist schon seit Jahren im Gange, auch Fritz Briem erzeugt das traditionsreiche Sauerbier in der Hallertau rein für den amerikanischen Markt und mehr hobbymäßig, darf es wegen der regionalen Schutzmarke aber nicht “Berliner Weiße” nennen (wir haben eine Flasche bei unserem Interview-Besuch im Sommer gekostet und waren sehr angetan), doch muss man insgesamt sagen: Momentan wird wahrscheinlich in der amerikanischen Craft-Szene mehr Bier nach Berliner-Weiße-Style erzeugt als hierzulande. In Amerika ist Sauerbier seit Jahren ein Modegetränk, in Deutschland, in dem es die Redewendung “etwas wie Sauerbier anbieten” gibt, soll es das erst wieder werden.

© F.A.Z.Weißbier-Versuchsanordnung im Labor der Lemke-Brauerei.

Oliver Lemke forscht jetzt schon seit zwei Jahren in Kooperation mit dem Berliner-Weiße-Experten Professor Methner (Versuchs- und Lehranstalt für Brauerei in Berlin) nach einem geeigneten Rezept für den Sauerbier-Klassiker, wobei ihm ein Getränk vorschwebt, das sich geschmacklich möglichst dem Champagner annähert. Daher steht bei Verkostungen der aktuellen Testbiere, wie er sagt, immer auch eine Flasche Edelschaumwein zum Gegenschmecken kalt. Aus der Brettanomyces-Hefe versucht Lemke dabei jenen Geschmack herauszuholen, der in Amerika als “funky” bezeichnet wird. Komplex soll seine Weiße schmecken, die Essigsäure und das Käsearoma des “Brett” sollen dabei eher in den Hintergrund treten.

© dpaGäste in einem Gartenlokal mit Berliner Weiße, um 1913

Aktuell favorisiert Lemke, wie im Video zu sehen ist, zwei Rezepte. Das eine beruht auf einer gleichzeitigen Beigabe sämtlicher Hefen und Bakterien statt einer sukzessiven. Bei dem zweiten wurden sogar Holzspäne eingesetzt, um den ursprünglich wohl vorhandenen Holzfassgeschmack nachzuahmen, was zu einem interessant-herzhaften Ergebnis führt. In einem nächsten Schritt wird es darum gehen, das jetzt noch trübe Getränk zu klären.

Dass sich die Berliner Weiße tatsächlich wieder in Deutschland und seiner Hauptstadt durchsetzen wird, kann sich Oliver Lemke nur in einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren vorstellen. Im Sommer will er das Weißbier erst einmal als Schankbier mit niedrigem Alkoholgehalt herausbringen, anschließend wäre für ihn auch der Einsatz von Flaschengärung oder Früchten denkbar. Davon abgesehen verändern die Mikroorganismen in der Berliner Weiße während der Lagerung ohnehin permanent den Geschmack, sodass Kenner sagen, eine sechs Monate alte Weiße sei ihnen lieber als eine frische.

Bei der Berliner Weiße kann man jederzeit darauf gespannt sein, welches neue Aroma sich als nächstes herauspellen wird. Durchsetzen aber könnte sich die Weiße nach jahrzehntelangem Schlummerschlaf schon aus einem ganz oberflächlichen Grund. Von 1848 an wurde sie auch im sogenannten Klauenglas serviert – und würde man auch dieses wiederbeleben, wäre das Gesamtpaket sicher nicht nur eine Touristenattraktion: Champagner aus dem Aquarium. Das gäbe es wirklich nur in Berlin.

© picture-allianceEine Hausfrau serviert um das Jahr 1912 Berliner Weiße im traditionellen Klauenglas, das in Kneipen auch in die Runde gegeben wurde.

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