Rüdiger Ruoss ist ein profunder Kenner des internationalen Biermarktes. Im Interview spricht er über das Fusionsfieber der Branche, den Erfolg einiger Kultmarken und warum die deutschen Brauer im weltweiten Beer-Monopoly nicht mitmischen.
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F.A.Z.: Deutschland galt lange als Bierland Nummer eins. Aber die Rangliste der weltgrößten Braukonzerne wird heute dominiert von Konzernen aus dem Ausland. Wieso?
Rüdiger Ruoss: Die Deutschen Brauereien hatten noch vor 30 Jahren weltweit das beste Image. Aber die Deutschen trinken seit Jahren immer weniger Bier. Unter dem sinkenden Ausstoß hat dann irgendwann auch das Ansehen gelitten. Zudem hat die Bierbranche eine ganz extreme Fusionswelle hinter sich. Da haben die Deutschen nach der Wiedervereinigung den Anschluss verloren. Als die Holländer, die Amerikaner und die Südafrikaner die weltweiten Biermärkte unter sich aufteilten, waren die Deutschen durch die Wiedervereinigung mit sich selbst beschäftigt. Nachdem im vergangenen Jahr die bisherige Nummer Eins (die belgische Braugruppe AB Inbev) die Nummer Zwei (SAB Miller) geschluckt hat, ist daraus der mit Abstand größte Bierkonzern der Welt entstanden mit unzähligen Biermarken. Auf der Rangliste der größten Braukonzerne folgt dann Heineken aus den Niederlanden. Danach schließlich die chinesische Snow-Gruppe und Carlsberg aus Dänemark.
Und was ist mit den deutschen Braukonzernen?
Der erste kommt auf Platz 20 in der Rangliste, die Radeberger-Gruppe aus dem Oetker-Konzern.
Haben die deutschen Brauer den Anschluss verpasst?
Es gibt noch immer viele vitale mittelständische Brauereien in Deutschland, die bei dem extremen Konzentrationsprozess selbständig geblieben sind. Auch die deutsche Zulieferindustrie hat in der Branche noch ein hervorragendes Image. Bei den Brauerei-Abfüllanlagen etwa Krones, beim Malz die Firma Weyermann aus Bamberg, beim Hopfen Barth-Haas aus Nürnberg, bei der Getränke-Systemtechnik Heyfft aus Burgbrohl. Die deutschen Brauer aber waren nach der Wiedervereinigung sehr mit sich selbst beschäftigt, während in den Nachbarländern schon das große Fusionsfieber ausbrach. Aber es wurden auch schon früher Fehler gemacht.
Welche?
In den 70er Jahren ging man von viel zu optimistischen Prognosen aus. In Deutschland erreichte der Pro-Kopf-Bierkonsum 1976 den Höhepunkt. Im Schnitt trank damals jeder Deutsche rund 150 Liter Bier im Jahr. Heute sind wir bei unter 100 Litern pro Kopf. Ich kann mich an eine Prognose von Roland Berger und Prognos/Basel erinnern, die prophezeiten einen weiteren Anstieg auf 160 Liter im Jahr. Als ich 1990 Zweifel anmeldete, wurde ich stark angegriffen, auch von den Verbänden, ich wäre so destruktiv. Brauereien, die ihre Anlagen an solchen viel zu optimistischen Prognosen ausrichteten, hatten später viel zu große Kapazitäten. Um die vorhandenen Anlagen auszulasten, wurden Zweitmarken zu sogenannten Grenzkosten, das heißt zum Beispiel ohne Berücksichtigung der Abschreibungen produziert. So kam es zu den Billigbieren. Das war ein gefundenes Fressen für den Lebensmitteleinzelhandel. Bier war schon immer ein Lockvogel um Preissensible in den Laden zu bringen. Neben Benzin, Butter und Brötchen. Die berühmten „4 B’s“. Das gilt leider mehr denn je.
Die billigen Handelsmarken werden also in denselben Anlagen gebraut?
Ja, oft. Die Qualität ist meist die gleiche. Das Umstellen der Anlagen lohnt sich oft gar nicht, das gilt auch für andere Industrien: Die Zweitmarken sind daher oft nicht viel schlechter als die Erstmarken. Aber Blindtests zeigen eigentlich, dass es keine großen Qualitätsunterschiede zwischen den Bieren gibt. Erst die Werbung und das Etikett machen den Unterschied.
Ist das deutsche Bier schlechter geworden?
Nein, der Qualitätsstandard der deutschen Biere ist erstklassig, aber sie schmecken alle sehr ähnlich. Wir Deutschen sind ja keine Feinschmecker. Im Gegensatz zu den Belgiern. Die haben daher auch die vielfältigeren und schmackigeren Biersorten.
Wie meinen Sie das?
Unsere Biere haben sich gegenseitig angepasst. Viele Biere sind viel weniger bitter als früher. Ende der 60er Jahre hatte Karlsberg noch ein Pils mit 41 Bitterwerten, Bitburger und Binding Pils hatten damals 37, die Sauerländer (Veltins und Warsteiner) hatten damals schon nur noch unter 30 Bittereinheiten. Mittlerweile haben fast alle Pilsbiere nur noch 20 bis 25 Bitterwerte. Das sind eigentlich gar keine klassischen Pilsbiere mehr, sondern Lagerbiere.
Die Craft-Biere sorgen aber für eine neue Viefalt.
Ja, das stimmt. Jeder Trend trägt eben schon einen Gegentrend in sich. Die Craft-Bier-Szene ist ja aus Protest gegen die zu einheitlichen Biere der Großbrauereien entstanden. Die Szene ist ein Phänomen der Hobbybrauer. Die Pioniere der Bewegung in Amerika, die Ende der 70er Jahren den Trend angestoßen haben, waren auch alle keine studierten Brauer. Mit den vier Pionieren der 70er Jahre, Charlie Papazian, Jim Koch, Fritz Maytag und Ken Grossman begann es. In Deutschland gibt es heute eine Vereinigung der Hobbybrauer mit über 500 Mitgliedern. Das könnte die Keimzelle für weitere Innovationen werden.
Manche sagen aber, die Craft-Brauer hätten auch schon den Zenit überschritten. Der Marktanteil liegt nur bei rund einem Prozent.
Der wird noch zulegen. Ich vermute, der Marktanteil der Craftbiere wird in Deutschland in den nächsten zwei Jahrzehnten noch auf etwa 10 bis 15 Prozent steigen. In dieser Größenordnung liegt er heute in den Vereinigten Staaten. Außerdem sind die Erträge für die Brauer bei den Craft-Bieren höher.
Wird Bier der neue Wein?
In Deutschland eher nicht. In manchen anderen Ländern gibt es schon einen Trend zum Bier. Zum Beispiel in Italien – einem klassischen Weinland. Dort ist Biertrinken auch eine Abgrenzung der Jüngeren von der älteren Generation: „I don’t want to drink father‘s stuff“, heißt ein Sprichwort. Auch in Bulgarien gibt es einen starken Trend zum Bier. In Deutschland ist es anders. Hier geht der Bierkonsum weiter zurück. In Italien hat Bier inzwischen einen ganz hohen Stellenwert. Und die deutschen Biermarken haben dort ein sehr hohes Ansehen.
Welche deutschen Biere genießen im Ausland denn den besten Ruf?
Hoch angesehen sind die deutschen Weißbiermarken: vor allem Erdinger, aber auch Schneider, Maisels und Franziskaner. Aber das werden dennoch keine Weltbiermarken, dafür ist das Segment Weißbier einfach zu klein. Ein echtes Phänomen ist auch das Aecht Schlenkerla Rauchbier aus Bamberg. Das Bier steht weltweit als kleine, aber feine deutsche Bierspezialität.
Die Brauerei ist aber winzig …
Ja, aber sie hat einen hervorragenden Ruf. Vor vielen Jahren wollte Schlenkerla größer werden. Ich kann mich an einen Vorstoß in Frankfurt erinnern: Als der Frankfurter Stadtteil Sachensenhausen noch etwas vitaler und noch echte In-Szene mit Schickimicki war, hat Schlenkerla dort eine Kneipe eröffnet. Jeder hat das Bier mal probiert, aber es ist halt kein Bier zum Weitertrinken, eher ein Aperitif. Nach nicht einmal zwei Jahren zogen sie sich enttäuscht wieder nach Bamberg zurück [siehe hierzu die Richtigstellung von Schlenkerla in den Leserkommentaren].
Warum kam es überhaupt zu den vielen Fusionen in der Brauereibranche? Worin liegen denn die ökonomischen Vorteile?
Da gibt es Größenvorteile, die Produktion im großen Maßstab ist kostengünstiger, auch weil man die Braustätten effizienter auslasten kann. Fragen Sie nicht, wo genau welches Bier heute gebraut wird. Das geht hin und her zwischen den Braustätten, wo gerade eben Kapazitäten im Konzern frei sind. Zudem haben große Unternehmen günstigere Einkaufspreise, etwa beim Erwerb der Brauanlagen, aber auch beim Malz und Hopfen.
Ist der Konzentrationsprozess zu Ende?
Die große Konsolidierung im Biermarkt dürfte jetzt eigentlich zu Ende sein. Aber Großfusionen von Bierkonzernen und Softdrink-Konzernen werden irgendwann kommen. Davon bin ich zutiefst überzeugt.
Wie hat sich die Bierbranche sonst noch während ihres Berufslebens verändert?
Früher – als ich anfing – war der Techniker (oder Braumeister), der meist im bayrischen Weihenstephan ausgebildet worden war, der oberste Kriegsherr einer Brauerei. Er war im Regelfall auch der Vorstandsvorsitzende. Der Verkäufer war nur Prokurist, der Finanzchef war die Nummer drei. Das hat sich dann verändert: Plötzlich wurden die Vertriebs- und Marketingleute die Chefs; und die Techniker haben kaum mehr einen Sitz im Vorstand bekommen. Heute haben die Controller und Finanzleute das Sagen. Marketing ist Chefsache.
Wahrscheinlich zu Recht. Wenn die Biere ähnlich schmecken, kommt vieles auf das Marketing an. Wie hat sich die Bierwerbung in ihrem Berufsleben verändert?
Als ich anfing, war Brauwasser nur ein Thema für Alpirsbach. Die Natur als Thema wurde durch unsere Beratung für Licher als erstes belegt: „Aus dem Herzen der Natur“. Es ist für die Werber viel schwieriger geworden, sich zu differenzieren, weil schon so viele Felder besetzt sind.
Immer wieder schafft es ein Bier zu einer „Kultmarke“ zu werden …
… zum Beispiel Tannenzäpfle von der badischen Staatsbrauerei Rothaus …
Das ist ja das Beste, was einer Brauerei passieren kann. Das Bier kann dann teuer in der Szene-Gastronomie der Großstädte verkauft werden. Wie gelingt einer Brauerei so ein Coup?
Tannenzäpfle hatte immer einen hervorragenden Ruf als Bier aus dem Hochschwarzwald. In Freiburg gab es überall Tannenzäpfle in den Kneipen. Die Studenten haben es getrunken und wollten es auch trinken, wenn sie am Wochenende nach Hause fuhren. Als sie später mit dem Studium fertig waren und woanders hinzogen, wollten sie es auch dort trinken. So hat sich das Bier nach und nach in Deutschland verbreitet. Besonders durch die rebellischen und aufmüpfigen Schwaben in Berlin. Inzwischen hat Tannenzäpfle aber den Höhepunkt überschritten. Wichtig bleibt: Die Meinungsbildung passiert immer in Universitäts- und Großstädten. Da sitzt das meinungsbildende Publikum, das seine Ideen weitergibt.
Und Werbung?
Mit Werbung kann man Kultmarken nur schaden. Die sollte man nicht bewerben. Rothaus, Tegernseer und Augustiner haben ihren Status ohne Werbung erreicht. Und auch das belgische Trappistenbier Chimay wurde ganz ohne Werbung ein belgischer Klassiker. Kult kann man nicht kreieren, das muss von innen heraus wachsen. Wenn man eine Marke bewirbt, muss man ihr ein Kleid anziehen. Damit verändert sich aber für die Biertrinker das Wesen des Bieres. Das gilt übrigens nicht nur für Bier, sondern auch für andere Getränke: Bionade war auch einmal ein „Kultgetränk“. Die Begeisterung hat angefangen bei links-intellektuellen, grünen Damen in Hamburg, die sozial anspruchsvoll waren. Die haben das Produkt groß gemacht. Als dann Oetker kam und die Marke in einen Getränkekonzern integrierte, war es schnell vorbei. Als die Stammkunden erfuhren, dass Bionade von einem Konzern aufgekauft wurde, war Bionade für sie tot. Da ist also Vorsicht geboten.
Augustiner spricht nicht einmal mit der Presse.
Das verstehe ich auch. Die haben Recht. Augustiner ist ein Phänomen für sich. Das Bier hat eine alte Historie in München. Augustiner-Fans haben sogar Verständnis wenn ein Sud einmal daneben geht. Folgender Dialog ist verbürgt. Fragt der Kunde den Besitzer des Getränkeabholmarktes in München: „Schmeckt’s heut?“ – Seine Antwort: „Nein“. „Dann komme ich halt nächste Woche wieder und nehme mir zwei Kästen Augustiner mit.”
Aber in Hamburg wird auch für die Marke Astra geworben. Und dennoch gilt das Bier als kultig.
Ja, das stimmt. In Hamburg ist Astra sehr populär geworden. Aber das ist eine andere Art von Kult. Das hat mit Sankt Pauli und Fußball zu tun. Da funktioniert die Werbung. Astra wurde von einer „Prollmarke“ zur „Kultmarke“. Aber auch dahinter steckt eine lange Produktgeschichte. Astra war schon vor 60 Jahren „Proll” in Hamburg. Jever war die noblere Marke, die Marke für das Hamburger Establishment.
Das meistgetrunkene Bier in Deutschland war 12 Jahre lang die Billigmarke Oettinger. Was sagt das über die deutsche Bierkultur?
Nicht viel. Oettinger war lange einfach mit Abstand das günstigste Bier. Aber die Preisunterschiede sind geringer geworden.
Rüdiger Ruoss ist seit 50 Jahren als Berater in der Narungsmittel- und Getränkebranche tätig. Er startete seine Laufbahn in den 60er Jahren als Werbekaufmann bei der Henninger-Brauerei in Frankfurt, machte sich nach 3 Jahren als Berater für Markenartikel selbständig und beriet unter anderem Alpirsbacher, Licher, Maisel, Nestle, Procter, Underberg, Unilever und Vitamalz.