Die Deutschen trinken immer weniger Bier. Warum wächst dann die Nord-Brauerei seit Jahren? Es liegt nicht nur an der Comicfigur Werner.
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Die Kunst, eine Bierflasche lässig genug zu öffnen, treibt die wildesten Blüten: Kronkorken können viele auch mit Feuerzeugen, Löffeln und manch Verrückter sogar mit den Zähnen öffnen. Aber Lässigkeit kennt keine Grenzen: Jüngst hantierte ein junger Mann in einem Osnabrücker Kino mit einer Pfefferspraydose am Kronkorken der Bierflasche seiner Begleiterin. Mit zweifelhaftem Erfolg. Nicht sein Bier, sondern die Spraydose war nachher offen, die Feuerwehr musste anrücken, um den Saal mit 200 Besuchern zu evakuieren, weil Reizgas ausgetreten war.
Mit einem Flens wäre dem jungen Mann die Peinlichkeit erspart geblieben. Die Flaschen mit ihrem Drahtbügel und dem Porzellandeckel lassen sich auch ohne gefährliche Hilfsmittel standesgemäß öffnen. Das Ploppen ist zum akustischen Erkennungsmerkmal der Brauerei geworden. Das Geräusch wird heute auch in den Werbespots mit stets wortkargem norddeutschen Humor gehegt und gepflegt. Dabei kam die Brauerei eher zufällig dazu. Einst war der Bügelverschluss der Normalfall. Als sich Anfang der 70er Jahre dann überall der billigere Kronkorken durchsetzte, blieb der damals schon über 70 Jahre alte Flensburger-Brauerei-Inhaber Emil Petersen dickköpfig. Er wollte nicht in eine neue, teure Abfüllanlage investieren, und auch seine Nachfolger zögerten. Berater warnten damals, der deutlich teurere Bügelverschluss sei langfristig ökonomischer Selbstmord.
Als alle anderen Brauereien umgesattelt hatten, erkannte die Brauerei, unverhofft zu einem Alleinstellungsmerkmal gekommen zu sein. „Anfangs war das keine gezielte Strategie“, sagt Brauereichef Andreas Tembrockhaus im Gespräch mit der F.A.Z. und witzelt: „Marketingleute würden heute sagen, der Bügelverschluss sei ,Teil unserer DNA‘.“ Billig ist er nicht. Während eine Kronkorkenflasche im Einkauf 12 Cent kostet, schlägt eine Flasche mit Bügelverschluss mit 38 Cent zu Buche. Auch die Abfüllung und die Reinigung des Leerguts gestaltet sich schwieriger. Wenn Zigarettenkippen in den Flaschen sind, muss der Gummi ausgetauscht werden, sonst könnte er womöglich den Geschmack annehmen.
Der Erfolg aber zeigt, dass es nicht zwangsläufig von Nachteil sein muss, einen Trend zu verschlafen. Seit die Retrowelle in der Bierbranche rollt, hat Flens etliche Nachahmer. Mittlerweile gibt es wieder rund 150 Biermarken mit Bügel. Die Flensburger Brauerei hat es in den vergangenen Jahren geschafft, sich gegen den allgemeinen Trend in der Branche zu stemmen. Während der deutsche Biermarkt seit Jahren schrumpft, wachsen die Geschäfte im hohen Norden solide. 575 000 Hektoliter Bier hat die Brauerei im vergangenen Jahr in Deutschland verkauft – inklusive ein paar tausend Hektoliter „Bölkstoff“. Die neuesten Umsatzzahlen zeigen in den ersten zehn Monaten dieses Jahres ein Umsatzwachstum von rund 7,5 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Rund 200 Mitarbeiter arbeiten heute in der Brauerei.
Das Unternehmen hat im vergangenen Jahr kräftig investiert: Rund 20 Millionen Euro steckte das Management in die Technik der Brauerei, den größten Anteil daran in eine neue Abfüllanlage. Sie läuft rund um die Uhr im Dreischichtbetrieb, nur sonntags steht sie still. Rund eine Million Flaschen können damit am Tag abgefüllt werden. Solch große Investitionen sind für Brauereien in Zeiten rückläufigen Bierkonsums eine heikle Angelegenheit, denn die Abfüllanlagen gehören zu den teuersten Gerätschaften. Bleibt die Anlage nachher unausgelastet, kann schnell eine Abwärtsspirale in Gang kommen, sagen Branchenkenner. Etwa dann, wenn das Management der Versuchung erliegt, den Ausstoß zu erhöhen, um die Kapazitäten auszulasten, das Bier aber nur zu Schleuderpreisen in den Markt gedrückt werden kann. So manche Brauerei ist auf diese Weise schon ins Schlingern geraten.
Gerade beim Pils tobt in den Getränkemärkten aus Sicht der Brauereien eine bedrohliche Rabattschlacht. In den vergangenen Jahren haben viele Brauereien bemerkt, dass sie nur für Spezialitäten noch höhere Preise verlangen können, daher kommen immer mehr „Landbiere“ und andere Bierspezialitäten auf den Markt. Auch Flensburger hat seit Anfang des Jahres zwei teurere Spezialbiere im Angebot. „Das war eine aufwendige Entwicklung“, sagt Tembrockhaus. „Wir haben im Vorfeld 60 bis 80 Sude ausprobiert, übrig geblieben sind zwei Sorten. Die ersten Verkaufszahlen sind vielversprechend.“
Dass der Biermarkt schwierig geworden ist, bekommt freilich auch Flensburger zu spüren. Doch der Familienbetrieb profitiert von der Sehnsucht vieler Biertrinker nach „ehrlichem“ Bier. Das Marketing ist in der Branche heute entscheidend. Geschmacklich können viele Verbraucher die einzelnen Marken in Blindtests ohnehin kaum mehr unterschieden. Nachdem die Branche jahrelang mit Übernahmen für Furore gesorgt hat und die Brauunternehmen zu immer größeren Bierkonzernen verschmolzen sind, setzen die verbliebenen Traditionsbetriebe auf Heimatverbundenheit und Unabhängigkeit. Der Drang, sich von den großen, internationalen Bierkonzernen wie AB Inbev und Heineken abzusetzen, die in den vergangenen Jahrzehnten unzählige Traditionsmarken aufgekauft haben, ist groß. Auch davon profitiert die Flensburger Brauerei Emil Petersen: Sie ist bis heute selbständig geblieben. Das Unternehmen befindet sich noch immer im Besitz der Familie Dethleffsen-Petersen, der außerdem einige andere Unternehmen gehören. Zur Familienholding zählt das Pharmaunternehmen Queisser (bekannt für Doppelherz), die Reederei FRS, der Computerhändler Comline, ein Gebäudereiniger und ein ambulanter Pflegedienst.
Die Sehnsucht nach dem Unverfälschten lässt einige Traditionsmarken heute tatsächlich gut leben. Der Nostalgiewelle ihren Erfolg verdanken unter anderen das „Tannenzäpfle“ der Rothaus-Brauerei, das Tegernseer oder das Augustiner-Bier aus München. Die Münchner hielten so lange hartnäckig an der dickbauchigen Bierflasche fest, bis sie wieder schick wurde. Auch Biere wie das Hamburger Astra, das sein prolliges Unterschichtenimage mit Rotlichtnähe ins Positive wenden konnte, weil sich so mancher brave Angestellte nach Feierabend gerne mit einem Hauch Verruchtheit schmückt, profitieren von diesem Trend.
Der Flensburger Brauerei half allerdings auch der Zufall. Bis Anfang der 80er Jahre gab es Flensburger Bier nur in Schleswig-Holstein. Sachte bereitete die Brauerei aus dem Norden eine Expansion in den Süden vor. Zum nationalen Durchbruch verhalf dem Unternehmen dann aber unverhofft der Comiczeichner Brösel mit seinen Werner-Episoden. Der Held der Comicserie, ein durstiger Klempner, trank stets das seltsame Bier mit dem Bügelverschluss, den „Bölkstoff“. Schlagartig wurde das „Flens“ mit Hilfe der kostenlosen Werbung in Comics und Kinofilmen in ganz Deutschland bekannt. Die Brauerei zögerte erst, erkannte dann aber die Chance und forcierte die Verbreitung der Marke im Süden. Heute gibt es Flensburger in ganz Deutschland.
In die Erfolgswelle mischten sich aber auch Misserfolge. Vor einigen Jahren hatte die Brauerei versucht, Speisepilze anzubauen. Ein Mitarbeiter war auf den Gedanken gekommen, man könne doch die Malzreste nach dem Brauen, den sogenannten Treber, weiterverwenden, etwa zum Züchten von Champignons und Shiitake. Die Geschäftsführung war angetan, denn bis dahin wurde der Treber ohnehin nur als Viehfutter verkauft. In den Bunkern eines ausgemusterten Munitionsdepots der Bundeswehr an der Grenze zu Dänemark züchtete die Brauerei Pilze mit Bio-Zertifikat. „Wir hatten eigens eine ,Glückspilz-GmbH‘ dafür gegründet und sogar 400 000 Euro investiert“, sagt Tembrockhaus. Die Idee sei gut gewesen, aber man habe die Rechnung ohne den Markt gemacht. Der Pilzmarkt sei schwierig. „Wir hatten am Ende viel zu viele Pilze für den lokalen Markt, und mit der Konkurrenz aus dem Ausland konnten wir dennoch nicht mithalten. Deshalb haben wir das Projekt still und heimlich wieder beerdigt.“