Die Tage werden wärmer, das Bier kühler. Doch eignet sich nicht jede Sorte als Durstlöscher. Warum manche Biere so richtig gut nur warm schmecken, erklärt Aromaforscher Thomas A. Vilgis im Interview.
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Herr Vilgis, Pils, Kölsch, Weizenbier werden meist sehr kalt getrunken. Sie scheinen mit 6 bis 8 Grad Celsius am besten zu schmecken. Woran liegt das?
Thomas A. Vilgis: Pils ist ein relativ einfaches Bier, das im Wesentlichen von den Bitterstoffen lebt, den Polyphenolen. Die Hopfenaromen stehen nicht im Vordergrund, anders als beim Craftbier. Beim Pils gibt es lediglich leicht harzige und leicht florale Noten. Pils, Kölsch und Weizen sind typische Durstlöscher, sie eignen sich nicht so sehr als Essensbegleiter. Insofern ist die Temperatur zwischen 6 und 8 Grad angebracht.
Welches sind die temperaturabhängigen Geschmacksgeber im Bier?
Im Grunde sind es nur zwei: zum einen die Bitternoten, die durch den Hopfen und dessen Humulone ins Bier kommen. Sie werden bei kalten Temperaturen stark betont. Der zweite Hauptgeschmacksgeber ist die Süße, die vom Restzucker aus den Malzen im Bier herrührt. Das Weizenbier zum Beispiel ist im Grunde hochgradig süß. Wenn Bier wärmer wird, werden die Süßnoten stärker betont, bis zu einem Maximum bei 30 Grad Celsius etwa. Umgekehrt wird die Süße durch die Kälte zurückgenommen, was beim Weizenbier angenehm wirkt.
Durch den Gärprozess, durch die Enzyme, die durch Hefen und den Keim eingebracht werden, durch Proteasen, also proteinspaltende Enzyme, kommt auch ein Umami-Geschmack hinzu. Aber der ist eher temperaturunabhängig.
Welche Rolle spielt der Alkohol? Alkoholreiche Biere werden ja oft etwas wärmer getrunken.
Wärmer, aber nicht ganz warm, nicht wärmer als etwa 13 bis 14 Grad. Alkohol ist zum einen ein Aromastoff, Alkohol riecht, wenn er auch eine hohe Geruchsschwelle hat. Auf der Zunge ruft Alkohol einen eher süßlichen Eindruck hervor, er unterwirft sich aber nicht der Temperaturabhängigkeit – so wie die Restzucker. Hinzu kommt, dass Alkohol bei höheren Temperaturen leichter flüchtig ist. Je höher die Temperatur, desto mehr trägt der Alkohol zum Aroma bei. Alkoholreiche Biere sind zudem in vielen Fällen mit schwereren, flüchtigen Aromen verbunden, zu denen auch Röstmalze und Holztöne beitragen. Auch hier führt eine höhere Temperatur zur Freisetzung der Aromen. Die Temperatur darf aber nicht zu hoch werden.
Man kennt das vom Rotwein. Wenn man einen Rotwein mit 15 oder 16 Prozent bei echter Zimmertemperatur, bei 20 Grad, trinkt, hat man eine richtige „Alkoholnase“, sobald man am Glas schnuppert. Beim Bier ist das ähnlich. Man riecht durch die übermäßige Alkoholnote bei zu hoher Temperatur nicht mehr das eigentlich gewollte Aromenspiel. Man sollte Bier daher nur bis zu einer Temperatur von 13, 14 Grad Celsius trinken. Man muss ja auch miteinrechnen, dass die Temperatur des Getränks im Mund nochmal etwas steigt.
Lassen sich bei manchen Bieren besondere Effekte erzielen, wenn man sie gegen die Normaltemperatur trinkt – Rotwein kann ja auch kalt ein Erlebnis sein?
Ja, das ist tatsächlich so. Einen jungen Rotwein aus dem Stahltank kann man gut gekühlt trinken. Bei Rotweinen von der Loire wird das zum Teil sogar empfohlen. Auch Weine, die man zu lange gelagert hat, kann man bei niedriger Temperatur zum Teil noch gut trinken.
Beim Bier kann man durchaus Sauerbiere mal etwas wärmer trinken. Viele gewinnen dadurch, weil die Säure und die Aromen dann feiner herauskommen. Bei Sauerbieren kann man schön mit der Temperatur spielen. Zwischen 8 und 12 Grad gibt es ganz unterschiedliche Geschmacks- und Aromabilder.
Gibt es noch andere Biere, die kalt und warm interessant schmecken?
Da fällt mir eigentlich nur ein weiteres Beispiel ein. Ich habe kürzlich einen Weizenbock zum Käsegang serviert. Weil ich nur wenig ins Glas geschenkt hatte, wurde das Bier schnell warm. Doch das Ergebnis hat mich begeistert. Zum „Normaltrinken“ wäre die Temperatur falsch gewesen, aber zum Käse war sie genial. Wenn man Bier kombiniert mit Essen, kommt nochmal eine andere Komponente mit hinein. Wenn sich die Temperatur des Käses der des Biers annähert, passieren im Mund erstaunliche Sachen. Besonders bei sehr reifen Käsen ist das so. Dann gehen auch mal 12 bis 14 Grad beim Bier.
Werden Ales in Deutschland nicht zu kalt getrunken? IPAs werden zum Teil wie Erfrischungsgetränke behandelt. Fehlt den Deutschen möglicherweise der Mut zum warmen Bier, wie ihn die Engländer haben?
Ja, das ist schon so. Bei den Pale Ales ist ja die zum Teil erhebliche Bittere mit einem Aromenfeuerwerk verbunden. Wenn sie zu kalt getrunken werden, ist das Bittere zu stark betont, wobei die Bittere aus sehr großen Molekülen besteht, die die Zunge bei kühlen Temperaturen stark bedecken. Das führt dazu, dass man retronasal – im Mund also, wenn die Aromen über den Nasenrachenraum wahrgenommen werden -, eigentlich keinen Raum mehr hat, um die übrigen Aromen wahrzunehmen. Wenn man mit den Temperaturen etwas höher geht, wird das Bitter-Potential gesenkt, dafür hat man viel mehr von den Zitrus-Aromen und den floralen, grasigen Noten. Besonders wichtig ist das beim Essen, denn da möchte man diese Aromen ja haben und zur Begleitung einsetzen.
Die Fragen stellte Uwe Ebbinghaus