Biopolitik

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Erfolg! Erfolg? Mehr und weniger Kinder mit Down-Syndrom geboren

Zahlen spielen auch in der Biopolitik eine zentrale Rolle. Aber wer zählt eigentlich wen und wofür? In der Freitag (28. November 2008) veröffentlichen...

Zahlen spielen auch in der Biopolitik eine zentrale Rolle. Aber wer zählt eigentlich wen und wofür? In der Freitag (28. November 2008) veröffentlichen online-Ausgabe des Deutschen Ärzteblatts wird von deutschen Journalisten eine auf dänischen Zahlen basierende Erfolgsmeldung aus der britischen medizinischen Fachpresse präsentiert:

 „Dänemark: Screening halbiert Zahl der Geburten mit Down-Syndrom

In Dänemark ist die Zahl der mit einem Down-Syndrom geborenen Kinder seit Einführung eines landesweiten Screenings um fast die Hälfte gesunken. Einen deutlichen Rückgang gab es einer Studie im Britischen Ärzteblatt (BMJ 2008; 337; a2547) zufolge auch bei der invasiven Diagnostik.Seit 2005 bietet das dänische Gesundheitswesen allen Schwangeren im ersten Trimenon eine Risikoabschätzung auf eine Trisomie 21 an. Auf der Basis des Alters der Frau, der Nackentransparenz des Kindes im Ultraschall und eines Bluttests (sogenannter Double Test auf freies Beta-hCG und PAPP-A) wird den Schwangeren ab einem bestimmten rechnerischen Risiko zu einer invasiven Diagnostik geraten (Chorionzottenbiopsie oder Amniozentese). Die Zahl der Neugeborenen mit einem Down-Syndrom sank von 55 bis 65 pro Jahr im Zeitraum von 2000 bis 2004 auf 31 in 2005 und 32 in 2006. Ein weiterer Erfolg der Risikoabschätzung war, dass die Zahl der invasiven Untersuchungen von 7.524 in 2000 auf 3.510 in 2006 mehr als halbiert wurde.“

Kurz zuvor hatte die maßgebliche britische Eltern- und Betroffenenvereinigung, die „Down’s Syndrome Association“ ebenfalls einen Erfolg verzeichnet, aus dem die BBC einen Beitrag verfertigt hat (Übersetzung von mir, O.T.):

„Viele behalten Babies mit Down’s

Neue Zahlen zeigen, daß heute mehr Down-Syndrom-Babies geboren werden, als zu Zeiten, in denen das pränatale Screening weniger gebräuchlich war. Im Vereinigten Königreich wurden im Jahr 2006 749 Kinder mit Down-Syndrom geboren, während  es 1989, als die ersten Tests eingeführt wurden, nur 717 Kinder waren.“

In einer gleichzeitig veröffentlichten Befragung von tausend Eltern von Kindern mit Down-Syndrom, die die „Down’s Syndrome Association“ zusammen mit der BBC in Auftrag gegeben hatte, werden Gründe dafür deutlich, warum sich Menschen dafür entscheiden, ein Kind mit Behinderungen zur Welt zu bringen – trotz der Möglichkeiten der modernen Pränataldiagnostik: neben religiösen Motiven, spielt vor allem der Eindruck eine wichtige Rolle, daß die Behinderung von der Umwelt akzeptiert wird.

Das klingt erfreulich und überraschend. Auch Mitarbeiter der „Down’s Syndrome Association“ teilten ihre Verwunderung über den Trend mit, beurteilten die überraschend behindertenfreundlich wirkende Entwicklung aber als eine Art antizyklischen Erfolg. Schade, daß Professorin Joan Morris, Direktorin des britischen National Down Syndrome Cytogenetic Register, ein paar Klicks weiter die vorgelegten Zahlen ganz anders interpretiert: angesichts der Altersentwicklung der schwangeren Frauen könne man nicht einfach die Zahl der mit Down-Syndrom geborenen Kinder von 1989 mit der von 2006 (der aktuellsten Zahl) in Beziehung setzen und feststellen, heute würden trotz Pränataldiagnose sogar mehr Kinder mit Down-Syndrom geboren. Morris präsentiert eine bemerkenswerte Hochrechnung (Übersetzung von mir, O.T.):

„Aufgrund des ansteigenden Alters der schwangeren Frauen, wäre die Zahl der mit Down’s Syndrome geborenen Kinder von 1989 bis 2006 auf 1454 gestiegen. Nur aufgrund des vorgeburtlichen Screenings und der pränatalen Diagnosen liegt sie stattdessen bei 749. Die Rate von Schwangerschaftsabbrüchen nach positiver Diagnose liegt seit 1989 bei konstatnt 92 Prozent“

Als Statistikerin hält sich Professorin Joan Morris zurück: ob ihre Interpretation der Zahlen einen Erfolg als Mißerfolg entlarvt oder umgekehrt lässt sie offen…..

PS.: Ähnlich substanzielle Zahlen zu Deutschland habe ich im Netz nicht gefunden. Wer erfolgreicher fischt, kann sie mir gerne mitteilen. Mehr demnächst dann in diesem Blog….