Biopolitik

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Patientenwunsch befolgt: Doch ein Freispruch – und ein nach-weihnachtlicher Nachtrag

Der Bundestag hat das Thema voraussichtlich für nächste Woche auf die Tagesordnung gesetzt, eine gesetzliche Regelung für Patientenverfügungen und...

Der Bundestag hat das Thema voraussichtlich für nächste Woche auf die Tagesordnung gesetzt, eine gesetzliche Regelung für Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten steht in Aussicht; einige Politiker zweifeln noch daran, ob man in diesem Bereich der Behandlung am Lebensende wirklich als Gesetzgeber tätig werden muss, da führt die bundesdeutsche Justiz die Ärzteschaft, ihre Patienten und die Öffentlichkeit nochmal durch ein kleines Wechselbad der Strafverfolungsmaßnahmen. In Magdeburg wird immer noch vor dem Landgericht wegen Totschlags gegen einen ehemaligen Chefarzt verhandelt, weil er auf Anweisung der Betreuerin eines Patienten und auf dessen mutmaßlichen Wunsch hin die lebenserhaltende maschinelle Beatmung abstellte. In Berlin ermittelte dagegen die Staatsanwaltschaft jahrelang gegen einen Krankenhaus-Oberarzt, der die maschinelle Beamtmung eines Patienten auf der Intensivstation gerade nicht beendete – obwohl eine wirksame Patientenverfügung vorlag. Der Intensivmediziner qualifizierte das Abstellen der Beatmung aus seiner Sicht damals als „Mord.“

Jetzt ist vom Anwalt, der die Ehefrau des Patienten vertreten hat, die Mitteilung der Staatsanwaltschaft Berlin bekannt gemacht worden, mit der sie das Verfahren gegen den Arzt eingestellt hat: Nach § 153 Abs. 1 Strafprozessordnung ohne Auflagen, wegen geringer Schuld und fehlenden öffentlichen Interesses. Das könnte ein schöner Anlaß sein, darüber zu sinnieren, was „öffentliches Interesse“ im strafrechtlichen Sinne meint. Der hier erwähnte Fall hatte zum Zeitpunkt der Tat immerhin einige Medien beschäftigt und es sogar ins Fernsehen gebracht, das Thema „Beachtung von Patientenverfügungen“ wird seit Jahren intensiv und kontrovers debattiert – aber letzten Endes ist sich die Staatsanwaltschaft wohl Öffentlichkeit genug: Was sie interessiert, interessiert auch öffentlich und umgekehrt. Überraschend ist immerhin, dass auch der Rechtsanwalt der Anzeigenden mit der Einstellung des Verfahrens zufrieden ist und behauptet, man habe das Ziel erreicht, zu zeigen, dass Patientenverfügungen beachtlich sind. Das stand nämlich eindeutig schon vorher fest und ist seitdem – wenngleich, wie sich zeigt, mit nicht gerade durchschlagendem Erfolg – oft genug wiederholt worden. Das verhaltene Interesse mag mit Besonderheiten des Falls zu erklären sein (es hatte auch bereits ein zivilgerichtliches Verfahren gegeben und die Tat liegt Jahre zurück).

Irritierend an dem Berliner Verfahren ist noch eines: Die Staatsanwaltschaft erklärt klar und deutlich, dass die Weiterbehandlung trotz entgegenstehender Patientenverfügung eine Körperverletzung darstelle, dass dem Beschuldigten aber das Verhalten der Berliner Ärztekammer zu gute zu halten sei. „Die seitens der Berliner Ärzteschaft verabschiedete Berufsordnung (schafft) diverse Unklarheiten in der Ärzteschaft.“ Das ist hübsch formuliert. In Paragraph 16 Absatz der zuletzt im September 2006 geänderten Berufsordnung heißt es über die grundsätzlich als wirksam qualifizierten Patientenverfügungen:

„Unbeachtlich sind Verfügungen und Erklärungen, die den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen verlangen, obwohl der Zustand des Patienten nach allgemeiner Erfahrung eine Besserung im Sinne eines umweltbezogenen Lebens, die Wiederkehr der zwischenmenschlichen Kommunikation und ein Wiedererstarken des Lebenswillen erwarten lässt.“

Auf meine Nachfrage hin teilt die Ärztekammer mit, dass die Formulierung „unbeachtlich“ „unglücklich gewählt sei“, man diskutiere das derzeit im Haus. Ein guter Tipp für schlechte Schüler: „3 + 7 = 11“ solltet Ihr künftig als „unglücklich gewähltes“ Ergebnis bezeichnen und es intern noch etwas weiter diskutieren, irgendwann wird schon noch „10“ herauskommen.

In dem konkreten Fall hätte der Arzt wohl das Vormundschaftsgericht einschalten müssen (das hätte übrigens auch im Magdeburger Verfahren wahrscheinlich die Anklage verhindert). Die Berliner Ärztekammer dagegen kann jetzt ihre Berufsordnung ganz alleine zügig in eine rechtsverträgliche Form bringen. Denn wie auch immer das Verfahren des Abbruchs lebenserhaltender Behandlungen am Lebensende zukünftig genau geregelt werden wird und wie auch immer man die heutige Rechtslage in Einzelfragen bewertet: „Unbeachtlich“ sind Verfügungen und Erklärungen des Patienten oder seines Betreuers für Ärzte grundsätzlich nie. Dass man auch in der Musterberufsordnung der Ärzteschaft zu diesem Thema keine klare Aussage findet (allerdings auch keine ausdrücklich falsche), ist dann, angesichts einer jahrelangen Auseinandersetzung mit dem Thema, eines der Aha-Erlebnisse, auf die man auch gut hätte verzichten können.

Nachtrag am 27. Dezember 2008: Der Prozess wurde vorzeitig mit einem Freispruch beendet, auch die Staatsanwaltschaft hatte schließlich auf Freispruch plädiert. So weit so erfreulich. Trotzdem hat das Verfahren die Situation von Ärztinnen und Ärzten, die lebenserhaltende Behandlungen abbrechen wollen auf wenig sinnvolle Weise erschwert. Einzelheiten zu den rechtlichen Problemen des Freispruchs und zu den praktischen Konsequenzen für den Klinikalltag finden Sie hier.