Für die Boulevardmedien ist es heute die Topmeldung des Tages: „Professor begeht Selbstmord im TV“, andere Medien vermelden es unter „Vermischtes“. Auf dem großen, wenig scharfen Foto sieht man das, was wir seit Julius Hackethals Videoaufnahmen von seinen Suizid-Assistenzen in den 1980er Jahren kennen: Das Gesicht eines schwerbehinderten, pflegebedürftigen Menschen, ein paar Schläuche, ein Kopfkissen, alles wirkt authentisch, trostlos und läßt etwas ratlos zurück. Es bleibt die Gewißheit: für Auflage und Quote ist gesorgt. „Wir amüsieren uns zu Tode“ hatte 1985 der US-amerikanische Kommunikationswissenschaftler Neil Postman kritisiert. Mittlerweile muss man ergänzen: „Der Tod amüsiert uns auch gut.“ Ob das eine Bestätigung der Postmanschen These ist oder deren Verstärkung, sei hier dahingestellt, eine Widerlegung ist es jedenfalls nicht.
Letzte Lebens-Minuten, letzte Worte, vor allem darüber, was Schlimmeres als der Tod drohen könnte, dann ein Glas mit einem tödlichen Mix – so wird heute das Recht auf Selbstbestimmung interpretiert. Man möchte gar nicht so genau wissen, wie die Mitwirkendenverträge für die Teilnahme an diesem Spektakel genau ausgestaltet sind. Es ist aber weniger paradox, als es auf den ersten Blick scheinen mag, dass gerade die Sterbehelfer, die sich den Kampf für einen „würdigen Tod“ auf die Fahnen geschrieben haben, mit der Videokamera auf dem Stativ die letzten Minuten von Menschen, die an ihrem Leben mit schweren Krankheiten verzweifelnd den schnellen Tod wählen, statt ihnen Intimität und Beistand zu gewähren, digital erfassen und dann anschließend Fernsehanstalten und Youtube zur Verwertung überlassen. Suizid-Assistenz bzw. „Sterbehilfe“ dieser Art geht davon aus, dass jeder über sich und sein Leben verfügen kann und soll, wie er gerade mag und wie es ihm ergiebig zu sein scheint – was also sollte daran problematisch sein, die letzten Minuten des eigenen Lebens als Exempel, wofür auch immer, zur Schau zu stellen.
Das Leitbild des vor der Kamera mit Hilfe semiprofessioneller Sterbehelfer seinem Leben ein Ende setzenden Suizidenten ist nicht der autonom handelnde, dabei aber in soziale Zusammenhänge eingebundene Mensch, der auch Abhängigkeit zulassen kann, ohne sich deswegen aufgeben zu wollen oder müssen. Er stellt sich dar als intelligenter Selbstoptimierer, als einer, der erkannt hat, dass das Leben nicht ein Geschenk ist, an dem man sich freut, sondern vielmehr ein Wert, den es einzusetzen und zu steigern gilt. Den Tod wählt er, nachdem er Bilanz gezogen hat, mit dem Ergebnis , dass in der aktuellen Lage nichts mehr zu optimieren oder zu entwickeln wäre; ein Eindruck, der schnell und gern bestätigt wird: „So möchte ich auch nicht leben“ ist der meistgehörte Satz zur Situation. Der angesichts der Lebensbilanz zur Entscheidung gekommene Sterbewillige will dem Schlimmsten entgehen: dem vollständigen Wertverlust. Der kurz vor dem selbstgewählten Ende inszenierte Auftritt vor den Kameras, mit dem die Selbstaufgabe durch eine Botschaft erhöht wird, gewinnt offenbar diesem letzten Abschnitt, der ansonsten nur noch als Anhängsel des eigentlichen produktiven Lebens verstanden wird, – wenigstens – noch etwas Sinnstiftendes ab, die Botschaft an die Bleibenden, es gegebenenfalls nach zu tun, jedenfalls aber diesen Weg zu asphaltieren und bequemer auszubauen.
So wird der durch Verzicht auf die Würde der eigenen Initimität verstärkte öffentliche Appell, das „menschenwürdige Sterben“ in Form des assistierten Suizids als gute Lösung zu akzeptieren, zum letzten Akt der Selbstverwirklichung – der allerdings auch das Scheitern in sich birgt: Denn der Appell richtet sich doch wieder an die soziale Gemeinschaft der Menschen, setzt hier auf Evidenz des eigenen Auftritts und Empathie für die Aussichtslosigkeit des Weiterlebens, die zuvor als Empathie und Unterstützung für das Weiterleben gerade nicht abgefordert werden sollten.
Menschen wie Craig Ewert, die angesichts einer furchtbaren Krankheit keinen anderen Ausweg mehr sehen als den Suizid, wird es immer geben, die Frage, die wir immer wieder beantworten müssen, ist, ob wir die Rolle annehmen, die uns in Akten wie diesem zugeschrieben wird: Als bestätigende Beobachter…. Eine Alternative wäre deutlich zu signalisieren, dass auch Menschen mit höchstem Pflege- und Versorgungsbedarf am Leben der Gesellschaft weiter teilhaben sollen. Davon allerdings sind wir derzeit weit entfernt, wenn nichtmal die grundlegenden Menschenrechte in der Pflege gewahrt werden.