Biopolitik

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Dieses Blog ist geschlossen. Es ist als Archiv über die biopolitische Debatte 2008 bis 2012 hier weiter einzusehen. Aktuelle Entwicklungen zum Thema

Patientenverfügungen – im März, im Januar, im Dezember

Es tut sich was in Sachen Patientenverfügungsgesetz, der Rechtsausschuss wird sich morgen mit dem Thema befassen. Die einen klagen zwar noch: „Wieder ein...

Es tut sich was in Sachen Patientenverfügungsgesetz, der Rechtsausschuss wird sich morgen mit dem Thema befassen. Die einen klagen zwar noch: „Wieder ein vertaner Monat“ und meinen den Dezember, weil die ursprünglich einmal für den 19. Dezember geplante Debatte des Entwurfes von Wolfgang Bosbach, Rene Röspel, Harald Terpe und fast hundert anderen aufs nächste Jahr verschoben wurde (weil die Fraktionen erst diese Woche ihre internen Beratungen abgeschlossen haben).  Dafür zeigt der Bundestag derzeit aber was eine kluge Geschäftsordnungspolitik alles kann, wenn es dann doch mal eilig gehen soll. Zum Beispiel: die Zukunft vorwegnehmen.

Üblicherweise wird ein Antrag ins Parlament eingebracht, dort diskutiert (1. Lesung) und dann an die zuständigen Ausschüsse überwiesen. Nicht so die aktuellen Entwürfe eines „Gesetzes zur Verankerung der Patientenverfügung im Betreuungsrecht“ (Bosbach und Co.) bzw. eines „Gesetzes zur Klarstellung der Verbindlichkeit von Patientenverfügungen“ (Zöller, Faust und andere): sie werden zuerst am 17. Dezember im Rechtsausschuss beraten werden „unter dem Vorbehalt eines späteren Überweisungsbeschlusses“, der dann nach politischem Ermessen bei der ersten Lesung um den 21. Januar 2009 herum – sozusagen rerospektiv – erfolgen wird. Zweck der Übung: Es soll bei der Sitzung des Rechtsausschusses noch in diesem Jahr die Anhörung aller drei vorgelegten Gesetzentwürfe im Rechtsausschuss für Anfang März 2009 konzipiert und beschlossen werden.

Eine Anmerkung erscheint mir noch angebracht und eine Beobachtung mitteilenswert: die zügige Verabschiedung einer Norm im Bundestag ist kein Wert an sich, wie paradoxerweise leider gerade die letzte Gesundheitsreform gezeigt hat. Die dabei mit beschlossenen Verbesserungen der Finanzierungs- und Versorgungsmöglichkeiten in der Palliativmedizin sind bis heute so gut wie nicht in die Praxis umgesetzt, weil der entsprechende gesellschaftliche Umsetzungswille und der nötige Druck dafür fehlt. Dass ein Patientenverfügungsgesetz sinnvoll und wichtig ist, wird zwar gerade wieder eindrucksvoll vor dem Landgericht in Magdeburg demonstriert – die beiden führenden Gesetzentwürfe in der aktuellen Debatte sind heute aber auch beide deutlich ausgereifter und genauer, als sie es vor zwei Jahren waren. Da Justiz und Gesellschaft mit den entsprechenden Gesetzen jahrelang leben und sterben müssen, sollte sich der Bundestag aber den Luxus der ausführlichen Beratung leisten (das gilt übrigens auch für den Rechtsausschuss, der derzeit erwägt, die für März 2009 geplante Anhörung auf drei Stunden zu begrenzen).

Bemerkenswert finde ich derzeit auch das politische Agieren der Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener, die sich besonders nachdrücklich und mit scharfen Worten für den Stünker-Entwurf einsetzt. Die Motivation der Psychiatrie-Erfahrenen ist einleuchtend: Sie hoffen mit einer umfassenden Wirkung von Patientenverfügungen erreichen zu können, dass medikamentöse Behandlungen gegen den Willen der zwangsweise in pychiatrischen Kliniken untergebrachten Patienten erschwert oder gestoppt werden können. Sie übersehen dabei allerdings dass auch nach einem Patientenverfügungsgesetz die Möglichkeiten der betreuungsrechtlichen Zwangsunterbringung und der Einweisung nach Psychisch-Kranken-Gesetzen (PsychKGs) möglich sein werden. Dass Vormundschaftsgerichte und Ärzte mit diesen Maßnahmen bisweilen leichtfertig umgehen, trifft zu – ist aber ein Problem, das nicht über ein Patientenverfügungsgesetz zu regeln sein wird. Wie übehaupt die Vorstellung, dass mit einem solchen Gesetz schlagartig oder auch nur allmählich alle Rechtsprobleme verschwinden und die materiellen und psychischen Bedingungen des Sterbens verbessert werden nicht sehr nah dran an den Erfahrungen mit anderen Gesetzen und mit Patientenverfügungsregelungen in anderen  Ländern ist. Das heißt nicht, dass es egal wäre, was geregelt wird. Aber die Themen „menschenwürdiges Sterben“ , „Pflege“ und „Leben mit schweren Behinderungen“ werden auf der Tagesordnung bleiben.