Am Donnerstag diskutieren die Abgeordneten des Bundestags über „Spätabtreibung“ – im Netz ist es nicht schwierig Seiten aufzutreiben, die sich schon seit langen mit dem Thema befassen. Wer hier stöbert, kann gut nachvollziehen, wie sich die politischen Akzente verschieben, damit, dass neue Argumente die Debatte prägten, hat das aber wenig zu tun.
Schon die Definition des Begriffes „Spätabtreibung“ ist nicht eindeutig. Die Aktion Lebensrecht für Alle fasst darunter schon Schwangerschaftsabbrüche nach der 12. Woche. In den Anträge, die am Donnerstag im Bundestag verhandelt werden (hier die Tagesordnung mit Links zu allen Drucksachen), werden als Spätabtreibungen aber Schwangerschaftsabbrüche nach der 22. Schwangerschaftswoche angesehen; zu diesem Zeitpunkt wäre der Fetus außerhalb des Mutterleib nämlich bereits lebensfähig. Auf der Homepage der Aktion Lebensrecht für Alle findet man außerdem eine Fülle von Texten und Dokumenten zum Thema, allerdings zumeist älteren Datums. Auch die Seite der Interessengemeinschaft „Kritische Bioethik“ ist eine Fundgrube meist etwas älterer Materialien zum Thema. Meinungsstark, aber nicht gerade materialreich, nur mit einer Pressemitteilung, stemmt sich pro familia gegen den Trend, eine Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes herbeizuführen und verweist auf die Erfahrungen der eigenen Beraterinnen, die die Realität der betroffenen Frauen kennen – und die lasse sich durch eine Beratung nicht ändern. Wieso die Beratung so schädlich sein soll, bleibt allerdings offen.
Wer es gerne etwas wissenschaftlich hat, kann hier Auszüge einer Staatsexamenshausarbeit von 2006 zum Thema „Entwicklung der Spätabtreibung“ lesen und auch die gesamte Arbeit (allerdings nicht kostenlos) herunterladen.
Wie es klingt, wenn eine Frau nach der Diagnose „Down-Syndrom“ im 5. Schwangserschaftsmonat nicht qualifiziert beraten wird und deswegen um Rat im Internet nachsucht, kann man auf der Seite goFeminin lesen, vielleicht nicht gerade Repräsentativ, aber ein starkes Lesestück für eine gut Beratung durch Fachfrauen und Fachmänner (wozu vor allem auch die Eltern behinderter Kinder gehören können.
Etwas gehaltvoller ist eine Debatte unter Besucherinnen und Besuchern der Seite „die Gesellschafter“, die sich über die Verstaatlichung des weiblichen Körpers Gedanken machen. ein Internetprojekt der Aktion Mensch.
Der Klassiker unter den Webseiten, die sich mit den möglichen Konsequenzen eines späten Schwangerschaftsabbruchs auseinandersetzen ist „Tim lebt„: Tim ist nämlich Folge eines Behandlungsfehlers, einer mißlungenen Spätabtreibung, die zu einer erfolgreichen Geburt wurde. Für den Arzt drohte das ein fataler Haftungsfall zu werden, er ließ Tim liegen. Aber das behinderte, gleichwohl robusten Kind starb einfach nicht. Die Seite, die von der Stiftung „Ja zum Leben“ gemacht wird, hat zwar aktuelle Nachrichten, ist aber in ihrem Textteil nicht mehr brandneu – was ein Indiz dafür ist, dass die Kampagen seit längerem an Bedeutung verloren hat.
Heute geht „Tim“ übrigens, wie ich einem Artikel der Nordwestzeitung (29.11.2008) entnehme, der auch im Netz zu finden ist, zur Schule.
In der Debatte ist unter anderem umstritten, ob die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung künftig gezielt über Spätabbrüche und das Leben mit einem behinderten Kind bzw. mit Behinderung aufklären soll – sozusagen als Ermutigung für eine Entscheidung für das behinderte Kind. Wie die Aufklärungs- und Informationsarbeit der Bundeszentrale zu den allgemeinen Fragen des Schwangerschaftsabbruchs aussieht, können Sie hier nachlesen: Wissenswertes für Männer findet sich dort, aber derzeit noch gar nichts zum Thema „Spätabtreibung“. Auch nicht schön: In Sachen Barrierefreiheit erfüllt die Seite allenfalls den Mindeststandard, keine Gebärdensprachfilme für Gehörlose, keine einfache Sprache für Menschen mit geistigen oder Lernbehinderungen. Dabei ist das Thema Schwangerschaft auch für diese Gruppen höchst relevant.
Die Debatte ist übrigen keine Erfindung der Bundesrepublik. Spätabtreibung ist im englischen Sprachraum als Partial Birth ebenfalls heftig umstritten. Im us-amerikanischen Wahlkampf spielte das Thema keine bedeutende Rolle. Immerhin: die fundamentalistisch-christliche Rechte kritisierte Obama, weil er ungeborenes Leben nicht schützte. Eine Zusammenstellung von belegten Obama-Zitaten und ein Überblick über sein Abstimmungsverhalten als Senator, weist ihn aber eher als gemäßigten Unterstützer feministischer Positionen aus: Das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren spielt für ihn eine wichtige Rolle, Spätabtreibungen sieht er kritisch, aber die Gesundheit der Frau darf nicht gefährdet werden. Sehr zahlreiche, allerdings einseitige Informationen findet sich auf der Seite von National Right to Life, einen journalistisch guten Überblick gibt das National Public Radio (NPR): „Separating Fact from Spin“, die Seite Verfechter von weitgehenden Reproduktionsautonomie wird durch das Center for Reproductive Rights vertreten, das aus seiner Sicht auch umfassend über Spätabtreibungen informiert – und damit etwas liefert, was ich auf deutschsprachigen Internetseiten nicht gefunden habe: eine material- und argumentationsreiche Auseinandersetzung mit dem Thema aus der Sicht von Gegnerinnen einer wie auch immer zu charakterisierenden Reglementierung. Allerdings verläuft die Auseinandersetzung in den USA auch deutlich schärfer und Anträge wie der aus der CDU/CSU entwickelte, wären fundamentalistischen Abtreibungsgegnern in den USA nicht restriktiv genug. In diesem Zusammenhang ist übrigens ein Gastkommentar auf den Seiten der New York Times lesenswert, der sich der Frage stellt, ob die Pro-Life-Bewegung mit ihren starren Positionen im Konflikt um Abtreibung die Republikaner den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen gekostet hat – und ob daraus gegebenenfalls etwas zu lernen sein könnte (die Antwort lautet seiner Meinung nach: Nein!).