Eine Weihnachtsgabe der besonderen Art, schafften die Reproduktionsmediziner des University College Hospital in London: sie selektierten pränatal unter elf in vitro erzeugten Embryonen einen, der keine Anlage für die Mutation des so genannten Brustkrebs-Gens BRCA 1 in sich trägt und implantierten ihn dann seiner Mutter. Das Kind soll in dieser Woche entbunden werden. Ob es ein Junge oder ein Mädchen ist, haben die Wissenschaftler den Eltern noch nicht mitgeteilt. Es ging bei dieser Präimplantationsdiagnostik nämlich nicht nur darum, bei dem Kind selbst die Gefahr einer Erkrankung an Brustkrebs zu senken, es sollte auch erreicht werden, dass die Weitergabe der Mutation des BRCA-1-Gens in der Familie überhaupt gestoppt wird – dafür musste Sorge getragen werden, dass auch ein eventueller Sohn die Mutation des Gens nicht in sich trägt, damit er sie später nicht weitergeben kann.
Mutationen von BRCA1 sind für etwa 5 bis 10 Prozent der Brustkrebserkrankungen verantwortlich. Sie befördern auch Darm-, Eierstock- und Prostatakrebs. Allerdings entwickeln Trägerinnen der entsprechenden Mutation auf BRCA1 nicht zwangsläufig einen Krebserkrankung. Die Wahrscheinlichkeit liegt bei 60 bis 80 Prozent. In dem konkreten Fall hatten sich Familie und Ärzte zur Durchführung einer In-vitro-Fertilisation mit anschließender Prä-Implantationsdiagnostik entschlossen, weil in der Familie des Kindsvaters die Großmutter, die Mutter, eine Schwester und eine Kusine an Brustkrebs erkrankt waren.
Genehmigt worden ist dieses Vorgehen durch eine Erlaubnis der Human Fertilisation und Embryology Authority (HFEA) die für die Durchführung von Präimplantationsdiagnosen, aber auch für die Erzeugung von Mensch-Tier-Hybriden oder andere Experimente mit Embryonen zuständig ist. Bis 2006 waren Präimplantationsdiagnosen nur in vereinzelten Fällen erlaubt, wenn es darum ging zu verhindern, dass in einer Familie ein Kind mit schweren Behinderungen wie Huntinton`sche Chorea oder Mukoviszidose erzeugt werden würde. Vereinzelt wurde allerdings auch erlaubt, kontrolliert Kinder zu erzeugen, die ihren bereits geborenen Geschwistern als lebensrettende Nabelschnurblut- oder Knochenmarkspender zur Verfügung stehen sollten. 2007 fand eine Anhörung der HFEA statt, in deren Folge erlaubt wurde in besonderen Fällen auch nach Genveränderungen zu selektieren, die nur mit einer hohen Wahrscheinlichkeit in späteren Lebensphasen zur Ausprägung einer Krankheit führen können. Das jetzt kurz vor der Entbindung stehende Ungeborene ist das erste Kind, bei dem diese neue Lizenz Anwendung gefunden hat. Dr. Paul Serhal, der Reproduktionsmediziner, der diese Schwangerschaft erzeugt und überwacht hat, spricht deswegen von einem „großen Durchbruch“, obwohl das Verfahren der Präimplantationsdiagnose in Großbritannien bereits Routinecharakter hat. Er unterstrich, dass künftig nach jeder Genveränderung gescreent werden könnte, die die Wahrscheinlichkeit einer späteren Krebserkrankung erhöht. Andere Reproduktionsmediziner wiesen darauf hin, dass dieses sehr teure und aufwändige Verfahren aber nur für Familien in Betracht komme, die ein deutlich erhöhtes Risiko für solchen Genvarianten hätten. Außerdem handele es sich nicht um eine Therapie. Auch das jetzt erzeugte Kind könne zudem, wenn es ein Mädchen sei, später an Brustkrebs erkranken, da längst nicht alle Brustkrebserkrankungen mit der BRCA1-Mutation verbunden seien. Die feministisch ausgerichtete Kampagnegruppe Comment on Reproductive Ethics äußerte sich kritisch zu dem Vorgehen: Es dürfe nicht vergessen werden, dass hier viele Embryonen erzeugt und zerstört worden wären. Der Schritt von der Verhinderung schwerer Erkrankungen zur Senkung von Wahrscheinlichkeitsraten für bestimmte Erkrankungen berge in sich die erhebliche Gefahr, dass zunehmend Desginer-Babies geschaffen werden sollten.
In Deutschland ist die Präimplantationsdiagnostik durch das Embryonenschutzgesetz verboten, allerdings gibt es immer wieder Bestrebungen von Eltern und Reproduktionsmedizinern, dieses Verbot zu durchbrechen.
Die Entwicklung in Großbritannien illustriert dabei eindrucksvoll, wie hier die Indikationsstellungen in recht überschaubaren Zeiträumen erheblich ausgeweitet werden können.
Erfreulich ist die Nachricht aus Großbritannien auch für die Universität von Utah/Salt Lake City, die nämlich mittlerweile Inhaberin des europäischen Patentes für den Gentest auf das mutierten BRCA1-Gen ist. Um dieses Patent hatte es einen jahrelangen Streit vor dem Europäischen Patentamt in München gegeben, weil Wissenschaftler zum Beispiel des Instituts Curie in Paris und Greenpeace kritisiert hatten, dass den umfassenden Ansprüchen nur eine geringe technische Leistung der us-amerikanischen Forscher zugrunde lag: Bereits vor der Entdeckung durch die Firma war bekannt, auf welchem Chromosom und in welchem Abschnitt des Chromosoms die Mutationen zu suchen sind. Sie hatten lediglich das Gen aus dem Erbgut von Patienten isoliert, bei denen eine familiäre Häufung von Brustkrebs-Erkrankungen bekannt war. Nur aus dieser Leistung leitet das Unternehmen seine Patentansprüche an dem gesamten Gen, sämtlicher seiner Anwendungen und den daraus abzuleitenden Medikamenten ab.
Durch die Lizenzgebühren, die nunmehr auf die entsprechenden Gentests zur Identifizierung des mutierten Gens entfallen, werden sich die ohnehin schon über 1000 EUR teuren Tests erheblich verteuern.