Biopolitik

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Dieses Blog ist geschlossen. Es ist als Archiv über die biopolitische Debatte 2008 bis 2012 hier weiter einzusehen. Aktuelle Entwicklungen zum Thema

Sterbehilfe-Suizid-Mix bei "Anne Will"

Heute und morgen beschäftigt sich auch das Biopolitik-Blog mit der Fernsehwelt. „Anne Will", die in der ARD ja zu recht nicht in der Sparte...

Heute und morgen beschäftigt sich auch das Biopolitik-Blog mit der Fernsehwelt. „Anne Will“, die in der ARD ja zu recht nicht in der Sparte „Unterhaltung“ ausgestrahlt wird, an deren Qualifikation als „Informationsprogramm“ man allerdings gelegentlich Zweifel haben kann, befasst sich mit „Tabu Freitod“.

Bild zu: Sterbehilfe-Suizid-Mix bei "Anne Will"

(Quelle für ganz schön langes, auch leeres Logoband: ARD)

Wieso ein philosophisch angereicherter Begriff wie „Freitod“ im Titel steht? So hat es die Redaktion gar nicht gemeint, es ist doch nur ein Wort, der Pressetext rauscht auch schon munter weiter, es gehe um „Suizid“, „Selbstmordversuch“ und „Selbsttötung“ („Tabu Selbsttötung“ künden denn auch manche Printmedien die Sendung noch an) – mit dem Synonymwörterbuch arbeitet die Redaktion offenbar doch allemal routinierter, als dass ihre Mitglieder Jean Amery läsen.

Ausgangspunkt des Fernsehgesprächs soll der – nicht gerade typische – Suizid des Milliardärs Adolf Merckle (mehr dazu auf faz.net) sein, aber dann soll es irgendwie auch ein bißchen um Sterbehilfe gehen und weil das so schön verrucht klingt auch um „aktive Sterbehilfe“: „Sollte aktive Sterbehilfe in Deutschland zugelassen werden – und darf mit ihr Geld verdient werden?“

Man fragt sich, was die „Anne Will“-Redaktion unter „aktiver Sterbehilfe“ versteht. Vermutlich nicht, wie allgemein in der Debatte üblich, die Tötung auf (oder bei Menschen, die nicht einwilligen können, auch ohne ausdrückliches) Verlangen, die derzeit in § 216 Strafgesetzbuch bzw in § 212 StGB (Totschlag) unter Strafe gestellt wird. Denn dass mit aktiven Patiententötungen Geld verdient werden soll, vertritt hierzulande niemand. Geld wird dagegen verdient mit assistiertem Suizid, zum Beispiel vom früheren Hamburger Justizsenator Roger Kusch (8000 EUR Einnahmen pro unterstütztem Suizid), den „Anne Will“ dann auch prompt eingeladen hat, damit er seine Geschäftsidee im Talk angemessen propagieren kann. Assistierter Suizid ist allerdings in Deutschland (wie auch in der Schweiz) nicht prinzipiell verboten.

„Wer will Will?“ fragte neulich Blogger-Kollege Körte. Ich wäre schon ganz glücklich beantworten zu können, was Will will (und wenn es nur in dieser einen Sendung klar wäre). In der Ankündigung der Sendung geht es jedenfalls munter, ohne erkennbares Interesse an präzisen Fragen und dementsprechend weiterführenden Antworten weiter:

„Jährlich nehmen sich in Deutschland rund 10.000 Menschen das Leben, an die 100.000 unternehmen einen Selbstmordversuch. Besonders auffällig: Mehr ältere als junge Menschen entscheiden sich für einen Freitod. Und so gibt es Befürchtungen, ein liberales „Sterbehilfe-Gesetz“, wie es beispielsweise in den Niederlanden gilt, könnte diese Zahl noch erhöhen. Andere Stimmen plädieren hingegen für mehr Freiheit im Umgang mit der Sterbehilfe.“

Was ein Euthanasie-Gesetz nach niederländischem Vorbild, das unter bestimmten Voraussetzungen die Tötung schwerstkranker Patienten durch den Arzt ermöglicht, mit Alterssuiziden zu tun haben soll, bleibt vermutlich ein Geheimnis der „Anne Will“-Redaktion, das auch Sonntagabend nicht gelüftet werden wird (ich halte Sie da auf dem Laufenden). Wieso soll ein Euthanasie-Gesetz die Altersschere weiter öffnen? Alte Menschen wollen meistens sterben, weil sie einsam und pflegebedürftig sind, weil sie unter Depressionen leiden, sie sind zwar oft krank, aber gerade nicht unheilbar krank (mehr zum Zusammenhang von Alter und Suizid in dieser Studie von 2007 , Danke für den Hinweis an www.patientenverfuegung.de). In den Niederlanden hat es dehalb trotz des Euthanasie-Gesetzes und unabhängig davon eine erbitterte Debatte über Alterssuizid gegeben – mit dem Ergebnis übrigens, dass die sogenannte Drion-Pille, die alten Menschen einen schnellen Suizid ermöglichen sollte, nicht legalisiert worden ist.  

Wenn eine Magazin-Redaktion schon nicht in der Lage ist, den Ankündigungstext für Ihre Sendung halbwegs sinnvoll und fehlerfrei zu formulieren, wird auch die Sendung selbst die Gebührengelder, die dort einfließen, kaum wert sein.  

Der „Blog“ von Anne Will gibt schon einen aparten Vorgeschmack. Von einem „Tabuthema“ jedenfalls kann, bei so viel Redseligkeit – nicht nur hier – ganz sicher nicht gesprochen werden.

Morgen Abend hier im Blog mehr zur Debatte zwischen Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt, Bischof Walter Mixa, dem Publizist Oswalt Kolle (dem anschließend noch ein Chat bewilligt wurde), dem wenig gemeinnützigen Roger Kusch vom gleichnamigen, angeblich gemeinnützigen Sterbehilfeverein und Marion Weidner, die ihren Sohn durch Suizid verloren hat.