Es ist wieder einmal soweit: am 21. Januar mittags debattiert der Bundestag zum Thema „Patientenverfügungsgesetz“ – in erster Lesung werden die Entwürfe der Gruppen Bosbach/Röspel/Göring-Eckardt einerseits und Zöller/Faust auf der anderen Seite verhandelt. Viel Neues gibt es zum Thema nicht zu sagen, auch wenn Bioethiker und Bioethikerinnen aller Fraktionen mit Erklärungen, Pressemitteilungen und Hintergrundberichten zum Thema im Vorfeld dieser Debatte nicht gegeizt haben (zugegeben: ich bin auch immer wieder dabei). Richtig zu stellen gäbe es dagegen manches, denn die – man muss wohl sagen: nicht immer ganz unbeabsichtigte- Verwirrung der Begriffe, die in dieser Debatte herrscht, ist beachtlich. Zum Beispiel „Selbstbestimmung“:
Dass das Selbstbestimmungsrecht ein zentraler Wert ist, gilt in der Diskussion als ausgemacht. Wie sollte es auch anders sein. Selbstbestimmungsrecht klingt schließlich nach Freiheit, Autonomie, Unabhängigkeit. Was genau allerdings mit „Selbstbestimmungsrecht“ in Zusammenhang mit der Debatte um Patientenverfügungen gemeint sein soll, bleibt eher vage. Im Gesetzentwurf von Joachim Stünker (SPD), Michael Kauch (FDP), Lukrezia Jochimsen (Linke) und Jerzy Montag (Grüne) macht es beispielsweise keinen wirklichen Unterschied, ob eine Patientenverfügung vorliegt oder ob der Betreuer und der Arzt selbst den mutmaßlichen Willen des Patienten ermitteln müssen. Auch eine Patientenverfügung muss nicht Ausdruck einer autonomen Entscheidung sein, sie kann aus Angst verfügt worden sein, aus Verzweiflung oder mit der Hoffnung, dass sich ihr doch jemand widersetzen möge. Politiker mögen der Auffassung sein, dass es auch Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts ist, wenn ich mich in einen Sachzwang füge – ich denke, dass das mit Autonomie bestenfalls noch am Rande zu tun. Entscheidungsfreiheit setzt auch voraus, dass es etwas zu entscheiden gibt – beispielsweise ob man im Rahmen einer guten Schmerztherapie keinen Schmerz spüren möchte (dafür dann aber im Extremfall auch die Umwelt kaum noch wahrnehmen kann), oder ob es mir wichtig ist, einen Rest Wirklichkeitswahrnehmung auf jeden Fall zu erhalten. Wenn aber kaum Ärzte in der Lage sind, meine Schmerzen so gezielt zu behandeln, kann ich trotz einer Patientenverfügung mein Selbstbestimmungsrecht nicht verwirklichen und muss mich mit dem groben Entscheidungsmuster „Schmerztherapie ja oder nein“ begnügen.
Immerhin – die Patientenverfügung, wie unvollkommen sie auch sein mag, ist doch wenigstens selbst verfasst worden und liegt damit zumindest irgendwie im Verantwortungsbereich des Betroffenen. Der mutmaßliche Wille dagegen wird von außen erschlossen: Der mutmaßlich Wollende oder Nicht-Wollende hat sich einstmals sogar entschieden, keine Patientenverfügung zu verfassen. Er wird jetzt aber – unter Ausblendung dieser entscheidenden Tatsache – so behandelt, als hätte er doch eine verfasst, nur dass deren Inhalt von anderen nur vermutet wird. Auch das soll aber Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts sein, weil die sehr pragmatisch orientierten Juristen eben größtenteils auch den „mutmaßlichen Willen“ als Ausdruck des Selbstbestimmungsrechtes interpretieren. Er ist es aber nicht. Da Patientenverfügungen aber vor allem als Instrument verstanden werden, lebenserhaltende Behandlungen abzubrechen oder gar nicht erst aufzunehmen, führt diese Gleichbehandlung des „mutmaßlichen Willens“ mit einer selbst verfassten Patientenverfügung tatsächlich zu einer Verringerung des Lebensschutzes für alle Menschen, die nie eine Patientenverfügung verfasst haben oder verfassen wollten: War früher eindeutig, dass sie mit medizinisch gebotenen Behandlungen versorgt und am Leben erhalten werden müssen, steht das heute in Frage – gegebenenfalls kann eine lebenserhaltende Antibiotika-Therapie bei einem dementen Menschen, der eine Lungenentzündung hat, aber noch eine Lebensperspektive von Jahren, auf Basis des „mutmaßlichen Willens“ vereinzelt sogar ohne Einschaltung eines Vormundschaftsgerichts abgelehnt werden: Im Namen des Selbstbestimmungsrechtes. Der einzige derzeit verhandelte Gesetz-Entwurf, der diesen Fall zuverlässig ausschließt ist der von Bosbach (CDU), Röspel (SPD), Göring-Eckardt (Bündnis 90/Grüne): Meiner Meinung nach, die an diesem Punkt in der Debatte aber bislang nicht von ausreichend vielen geteilt wird, schützt er damit nicht nur das Leben von behandlungsbedürftigen, schwerstkranken Menschen, sondern auch das Selbstbestimmungsrecht – das Selbstbestimmungsrecht der Menschen nämlich, sich auch die Freiheit nehmen zu können, bestimmte Entscheidungen eben nicht zu treffen und keine dieser Patientenverfügungen verfasst zu haben (da wiegen andere Einwände im Einzelnen gegen ihn vergleichsweise wenig).
Ähnlich rätselhaft ist mir, wie es mit dem Bedeutungszuwachs des Selbstbestimmungsrechts zusammenpasst, dass die Bevollmächtigten in den Gesetzentwürfen genauso behandelt werden, wie die Betreuer.Die Vollmacht hat das Individuum aber selbst erteilt, der Bevollmächtigte ist seine oder ihre Vertrauensperson. Der Betreuer wird dagegen von der Justiz eingesetzt, auch wenn es sich um einen Angehörigen handelt. Betreuer bekommen ihre Handlungsbefugnisse gerade nicht vom Betreuten, sondern von der Justiz, als vom Staat.
Wer einmal erlebt hat, wie erbittert bisweilen die Kämpfe in einer Familie darum laufen, wer die Betreuung innehat und wer Entscheidungen lesen musste, wie Gerichte engagierten Freunden die Betreuung weggenommen haben, weil sie sich nicht mit schlechter Pflege und medizinischer Versorgung begnügen wollten und deswegen von Einrichtungen als Querulanten behandelt wurden, hat sowieso Zweifel, ob im Bereich der Familien-und Vormundschaftsgerichte nicht viel eingehendere und substanziellere Weiterbildungen erforderlich wären, um die Qualifikation der Richter an die zusehends komplexeren Verfahren zu adaptieren.
Es gäbe also auch in Zusammenhang mit Patientenverfügungen einiges zu klären, aber diese grundsätzlichen Fragen sind in der pragmatisch orientierten Debatte wenig beliebt. Dabei würde eine Qualifizierungsoffensive im Bereich der Vormundschafts- und Familiengerichte sicher auch auf andere Bereiche – beispielsweise die Entscheidungen über zwangsweise Unterbringungen in der Psychiatrie – positiv ausstrahlen. Übrigens auch so eine Merkwürdigkeit des Engagements für Selbstbestimmung in der medizinischen Behandlung: So vehement dafür im Bereich der Patientenverfügungen gestritten wird, so nachhaltig ist das Desinteresse an den täglich stattfindenden und oft nur sehr oberflächlich begründeten, erheblich das Selbstbestimmungsrecht beschränkenden Zwangsbehandlungen in psychiatrischen Kliniken auf Basis des Betreuungsrechts oder der PsychischKranken-Gesetze der Länder. Aber mehr über die Notwendigkeit das Thema Psychiatriereform wieder auf die Tagesordnung zu setzen demnächst.
Apropos Tagesordnung: Der Gesundheitsausschuss diskutiert am heutigen Mittwoch das meines Erachtens für die medizinische Versorgung am Lebensende erheblich bedeutsame Thema, warum der Anspruch auf spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SPAV), den es gibt, nur so schleppend umgesetzt wird. Und auch das bioethisch brisante Gendiagnostikgesetz wird heute nachmittag (ohne große Medienresonanz) in zwei Stunden öffentlicher Anhörung im Gesundheitsausschuss behandelt.
PS.: Und so verlief die Debatte (wertende Zusammenstellung im Blog)
<p>Die Frage ist nicht nur, ob...
Die Frage ist nicht nur, ob wir rechtlich der Autonomie des Patienten am Lebensende nachkommen, sondern ob noch genügend ärztliches Personal in Anbetracht der Ärzteflucht aus Deutschland zur Beratung und Betreuung zur Verfügung steht, dazu siehe auch Ethikresolution Kloster Frenswegen/Euregio-Klinik Hannoverstraße, Nordhorn: Ärztliches und Pflegepersonal zwischen Kostendruck, Personalreduktion, überbordender Bürokratie und Fürsorge für die Patienten. http://www.euregio-klinik.de (Hannoverstraße)
Auch meiner Ansicht nach...
Auch meiner Ansicht nach schafft es nur der Bosbach-Entwurf, einen Ausgleich zwischen dem Selbstbestimmungsrecht und der staatlichen Fürsorge zu schaffen.
Wobei bei der Diskussion um die Patientenverfügung die medizinische Vorsorgevollmacht als sinnvoll Ergänzung oder sogar als Ersatz meist zu kurz kommt. Bei der Vorsorgevollmacht kann Bevollmächtigter situativ entscheiden und so im Sinne des Patienten auf Krankheitsbilder reagieren, die in der Patientenverfügung gar nicht angesprochen wurden.