Biopolitik

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Kusch muss leben lassen: Suizidbeihilfe kein erlaubtes Gewerbe

| 3 Lesermeinungen

Gerichte arbeiten nicht gerne allzulange, Freitags schon gar nicht. Wenn das Verwaltungsgericht Hamburg also einen Beschluss im Eilverfahren, das sich nun...

Gerichte arbeiten nicht gerne allzulange, Freitags schon gar nicht. Wenn das Verwaltungsgericht Hamburg also einen Beschluss im Eilverfahren, das sich nun allerdings schon recht lange hinzieht, weil die Polizei mit ihren Stellungnahmen nicht rechtzeitig fertig geworden ist, deutlich nach den üblichen Büroschlußzeiten, also am späten Freitagnachmittag absetzt, dann will es uns damit auf jeden Fall etwas sagen. Zum Beispiel: Wir finden, das ist kein Fall für die ganz große Medienaufmerksamkeit. Also kommt vorerst ins Blog, was für die üblichen Printabgabezeiten nicht mehr hat rechtzeitig ankommen sollen. 

Uninteressant oder routinemäßig ist die Entscheidung der drei Hamburger Verwaltungsrichter nämlich ganz und gar nicht. Und das nicht nur, weil es um Sterbehilfe, Roger Kusch und eine Polizeiverfügung geht, eine Mischung, die an sich schon für boulevardeske Neugier sorgt.

Im Ergebnis hält das Verwaltungsgericht Hamburg mit seiner ausführlich begründeten, knapp 28 Seiten langen Entscheidung die Polizeiverfügung, mit der die die Behörde für Inneres der Freien und Hansestadt Hamburg  dem ehemaligen Justizseantor Dr. Roger Kusch am 27. November 2008 jegliche Form der Sterbehilfe im gesamten Bundesgebiet untersagt hat, aufrecht. Damit darf Kusch bis zu einer eventuellen positiven Entscheidung über seine Klage in der Hauptsache gegen die Verbotsverfügung, die von ihm praktizierte Suizidbegleitung in keiner Weise mehr fortsetzen – immerhin haben Polizei und Verwaltungsgericht ihm aber erlaubt, seine Homepage weiter zu betreiben, weil die nur ganz allgemein und abstrakt über seine Arbeit als Sterbehelfer informiere. Das Klageverfahren in der Hauptsache kann sich über Monate, wenn nicht sogar über Jahre hinziehen.

Interessant ist vor allem die rechtliche Begründung für die Eilentscheidung – sie wirft nämlich die Frage auf, ob es die gegenwärtig von mancher Seite geforderten Verbotsgesetze gegen „kommerzielle Suizidbeihilfe“ überhaupt braucht, oder ob nicht das gegenwärtige Recht ausreicht, zumindest krasse Formen einer gewinnorientierten Suizidbeihilfe zu stoppen.

Das Verwaltungsgericht stellt in seinem Beschluss fest, dass Roger Kusch als Suizidbegleiter kein erlaubtes Gewerbe betreibe, denn „Sozial unwertige und gemeinschaftsschädliche Tätigkeiten“ seien verboten. Zwar sei die Beihilfe zur Selbsttötung selbst nicht strafbar, Kusch betreibe aber „die sozial unwertige Kommerzialisierung des Sterbens durch Beihilfe zum Suizid gegen Entgelt.“ Der Antragsteller biete zum Selbstmord bereiten Personen gegen ein Honorar von 8000 € ein Dienstleistungspaket an, um ihnen die Selbsttötung zu erleichtern. Er leiste konkrete Hilfe, die erforderliche tödliche Mischung verschreibungspflichtiger Medikamente zu beschaffen. Dadurch würden die Schutzvorschriften des Arzneimittelgesetzes unterlaufen.

Diese Form der Sterbehilfe widerspreche den allgemein anerkannten moralischen und sittlichen Wertvorstellungen und dem Menschenbild des Grundgesetzes. Diese ließen es nicht zu, die existentielle Not lebensmüder Menschen wirtschaftlich oder zum Zwecke gesellschaftlicher Provokation auszunutzen. Es gehe gerade nicht um die in großen Teilen der Öffentlichkeit positiv bewertete und diskutierte Sterbehilfe in Einzelfällen, in denen Nahestehende oder behandelnde Ärzte aufgrund humanitärer karitativer Zuwendung Schwersterkrankte erlösten.

Das Verwaltungsgericht führte auch als Argument an, dass Dr. Roger Kusch sich nicht nur an den Personenkreis der Todkranken oder Schwerstleidenden, sondern an jeden, der sein Leben beenden möchte und dafür Unterstützung suche – was allerdings die Frage aufwirft, ob bei einem anderen Adressatenkreis das Tun rechtlich positiver bewertet werden könnte: wohl kaum!

Roger Kusch hat angekündigt gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht einzulegen. In einer Pressemitteilung haben er und sein Anwalt, der als Alpmann-Schmidt-Repetitor bekannt gewordene Holger Schwemer sich zum einen darüber gefreut, dass das Gericht das Recht auf Suizid grundsätzlich anerkannt habe. Rechtlich wenden sie sich vor allem dagegen, dass die Hamburger Polizei befugt sein soll, mit einer Verfügung bundesweit Suizidbeihilfe von Roger Kusch zu verbieten. Außerdem habe das Gericht nicht überzeugend dargelegt, dass durch die Suizidbeihilfe eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestehe, da der Suizid selber doch nicht verboten sei. (Az.: VG Hamburg 8 E 3301/08) 

 

 


3 Lesermeinungen

  1. werbitte sagt:

    <p>Endlich ist nun dazu...
    Endlich ist nun dazu gekommen! Nicht auszuschliessen was sich sonst daraus entwickelt hätte! Vieleicht hätte Schlachtermeister X sowas auch machen wollen und dann können.Welch ein komplex grauenvoller Gedanke ansich!

  2. Johannes S. sagt:

    <p>Ohne die zweifelhaften...
    Ohne die zweifelhaften Praktiken von Roger Kusch beschönigen zu wollen – gibt Art. 2 II 1 GG wirklich nur das Recht auf Selbsttötung bei schweren Krankheiten? Sicherlich ist für ein solches Recht nur die Einsichtsfähigkeit, also die Fähigkeit zur Willensbildung ohne Einfluss psychischer Krankheiten, zu verlangen. Es kann also gerade nicht auf „allgemein anerkannte moralische und sittliche Wertvorstellungen“ ankommen. Die bittere Ironie ist dabei, dass alle die in dieser Frage Wertkonservativen durch ihre Abwehrhaltung gegen jeder Form von institutionalisierter Beihilfe zum Suizid, den Wunsch zu sterben tabuisieren und somit eine wirksame Bekämpfung der immer höher werdenden Zahl von Selbsttötungen unmöglich machen. Denn auch um seiner Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG gerecht zu werden, muss der Staat nicht nur diejenigen erreichen, die aus psychischen Gründen sterben wollen, sondern auch diejenigen, welche zwar nicht psychisch Krank sind, aber denen der Blick für Alternativen fehlt. Durch das bloße Einschlagen auf zwielichtige Gestalten wie Herr Kusch, oder auf Institutionen wie Dignitas ist niemandem geholfen, vielmehr sollte nach anderen Möglichkeiten einer institutionalisierten Sterbehilfe gesucht werden. Aber so eine Debatte würde viele leider überfordern, und mit Hilfe von Horror Szenarien der Selbstötung am Fließband polemisiert werden.

  3. tolmein sagt:

    Johannes S.: Mir scheint...
    Johannes S.: Mir scheint zweifelhaft, ob hier überhaupt von einem „Recht auf Selbsttötung“ gesprochen werden sollte bzw. welchen Gehalt dieses „Recht“ hat (derzeit doch nur: kein strafbewehrtes Verbot, das allerdimgs umfassend, d.h. nicht nur auf Fälle schwerer Krankheit beschränkt ). Eine institutionalisierte Sterbehilfe erscheint mir der falsche Weg. Richtig ist es, den Blick für Alternativen zu öffnen und mehr Alternativen anzubieten (Verbesserung der Pflege beispielsweise). Der Horror der institutionalisierten Suizidbegleitung wäre aus meiner Sicht nicht die Selbsttötung am Fließband, sondern die Bürokratisierung einer extremen und notwendig einsamen Entscheidung (dazu: Jean Amery, Diskurs über den Freitod). Es kann aus meiner Sicht nicht Aufgabe der Gesellschaft sein, umfassend alles anzubieten, was Menschen wünschen, einschließlich einer Möglichkeit sich unkompliziert zu töten. Die Unterscheidung in erwünschte und unerwünschtes Verhalten sollte auch dazu führen, dass unerwünschtes Verhalten zwar eventuell toleriert wird, nicht aber noch gefördert werden muss. Das Signal einer Institutionalisierung des Suizids, selbst wenn dieser effizient in dem Sinn wäre, dass dadurch weniger Suizide pro Jahr verübt würden und diese einen „besseren Verlauf“ nähmen, wäre aus meiner Sicht ganz falsch.

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