Biopolitik

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Abschied vom dementen Vater: "Bild" ist dabei

| 4 Lesermeinungen

„Bild" ist dabei, aber die gnadenlosen Voyeure benötigen einen Türöffner, um das enthüllen zu können, was ich nicht lesen will (und zwar nicht, weil...

„Bild“ ist dabei, aber die gnadenlosen Voyeure benötigen einen Türöffner, um das enthüllen zu können, was ich nicht lesen will (und zwar nicht, weil ich es niht aushalte, die zu erfahren, wie brachial Alzheimer eine Biografie verändern kann) und was zu lesen auch sonst niemandes Recht ist:

In seinem neuen Buch beschreibt Tilman Jens (54) seinen Abschied vom geliebten und bewunderten Vater. Er erzählt von der Entdeckung eines ganz anderen hilflosen Menschen, von der Grausamkeit der Krankheit. BILD druckt Auszüge aus dem Buch.“

Der Text, der dort veröffentlicht ist, wirkt unangenehm, weil er Walter Jens behandelt, als hätte sich der große alte Mann der Rhetorik entschlossen den Weg in eine der brachialen TV-Shows zu gehen: „Ich bin ein Star – holt mich hier raus“. Aber Jens hat sich nicht aus freien Stücken entschlossen, der Medienwelt und den Leserinnen und Lesern des Boulevards, Einblicke zu eröffnen, dass er gewindelt wird, wie er spuckt, mit welch verzweifelter Routine er Nacht für Nacht zu fliehen versucht und warum der einstmals Friedfertige seine langjährige Frau nun schlägt und sie dafür feststellt:Er ist nicht mehr der Mann, den ich liebte.“

Vor gut einem Jahr schrieb Tilman Jens auf faz.net:Walter Jens, mein Vater, ist dement. Meine Mutter, mein Bruder und ich sind uns einig, wir wollen, wir werden sein Leid nicht verstecken.“

Das klang schon irritierend, blieb aber immerhin offen: Dass eine  Familie die Tabuisierung nicht mitmachen möchte, der eine Krankheit wie Alzheimer  heute noch unterliegt, mag lobenswert sein. Es kann der Entwürdigung, die die Kranken durch die Abkehr der Öffentlichkeit von Ihnen erleben, entgegenwirken. Es kann ein Beharren darauf sein, dass auch die mit der schweren, fortschreitenden Behinderung zu uns gehören.

Das setzt aber voraus, dass die, deren Leid nicht versteckt werden soll, dabei selbst Subjekt des Geschehens bleiben; dass nicht an ihnen Gegenteil von Verstecken exerziert wird, dass nämlich ein Mensch an eine Öffentlichkeit gezerrt wird, in der er nur noch als Schau- und Illustrationsobjekt herhalten kann: Schau, so leidvoll geht der große Walter Jens zugrunde. 

Der Grat ist schmal. Und Tilman Jens, so wirkt es nach Lektüre der ersten Portion in „Bild“ ist abgestürzt. Er hat dabei aber nicht sich verletzt, sondern seinen Vater bloß gestellt. Den Ton, den John Bayley in „Elegie für Iris“ gefunden hat, hat Jens nicht getroffen. Mag sein, dass sein Buch fairer mit dem dem Vater umgeht, dass es dem Autorensohn dort gelingt, die Balance zu halten, das Leid der Familie zu beschreiben, ohne es mit dem, was im Vater vorgeht umstandslos gleichzusetzen; zu reflektieren, wie heikel es ist, wenn der Sohn hier die Intimsphäre seines noch lebenden Vater beschreibt, der sich dazu nicht mehr verhalten kann, der keine Möglichkeit zum Rückzug hat.  Aber die Vorabserie in BILD folgt jedenfalls ihren eigenen Gesetzen – und wie hier der Sohn seinen Vater der Öffentlichkeit preisgibt, verletzt dessen Würde mehr als die Krankheit allein es könnte. 

Sohn Jens schreibt über einen Tag, als sein Vater sich schon nicht mehr im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte sah:Was ihm Angst machte, war die Vorstellung, einer unheilbaren Krankheit, einem endlosen Siechtum wehrlos ausgeliefert zu sein.“ Ob er sich damals auch vorgestellt hat, wie sein Sohn ihn in diesem Zustand in der Medien-Welt präsentieren wird? 

 

 


4 Lesermeinungen

  1. calistro sagt:

    <p>Der Text ist für mich sehr...
    Der Text ist für mich sehr angenehm, da endlich durch die Veröffenlichungen des Sohnes die Verlogenheit dieser Jungnazi-und späteren Bewältiungsoberlehrergeneration deutlich wird: Jens war zuerst Vollnazi mit natürlich auch dem Wunsch zum Judenmord, dann hat er das wie auch SS-Grass über Jahrzehnte nicht nur verschwiegen, sondern andere, die weniger oder gar nichts mit den zu tun hatten, belehrt, wie sie sich als anständige
    Deutsche aufzuführen hätten. Die nationale Selbstzerstörung Deutschlands mit der Tabuisierung des Inländerinnen-Geburtenstreiks ( Frau Herman durfte darüber bei Kerner nichts sagen, sondern mußte gehen) verdanken wir Zersetzern wie Jens und Grass. Die größten Kritiker der Elche waren selber welche, und dank dem Sohn von Herrn Jens wissen wir es nun definitiv.

  2. Tilman Jens sagt:

    <p>Ich sehe den Kommentar von...
    Ich sehe den Kommentar von calistro mit Entsetzen. Mein Vater war im schlappen Alter von 19 Jahren ein kurzzeitig Verführter – daran wollte er sich später nicht mehr erinnern. Mit „dem Wunsch nach Judenmord“ hatte er aber nun mit Gewissheit nie etwas zu tun. „Sympathieerklärungen“ wie die von Herrn C. widern mich an. Tilman Jens

  3. dariustom sagt:

    Spätestens nach der Lektüre...
    Spätestens nach der Lektüre der weiteren Folgen in der ansonsten naturgemäß degoutanten Blödzeitung dürfte feststehen, das Tolmeins Vermutung, „Mag sein, dass sein (tilman jens) Buch fairer mit dem dem Vater umgeht, dass es dem Autorensohn dort gelingt, die Balance zu halten, das Leid der Familie zu beschreiben, ohne es mit dem, was im Vater vorgeht umstandslos gleichzusetzen…;“ postiv zu bescheiden ist. Jens‘ Juniors Mut, ungeschönt zu berichten, was in ihm und seiner Mutter vorgeht, wikrt ermutigend und verdient Respekt. Anrührend sind szenen wie die, wo der gelhrte, nun demente Vater buchstabiert oder glücklich Kaninchen füttert.

  4. tolmein sagt:

    Mir hat Tilman Jens...
    Mir hat Tilman Jens freundlicherweise sein Buch geschickt. Ich werde es lesen. Dann mehr dazu!

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