Ein unscheinbares Papier, dessen Design den Charme einer bürokratischen Institution versprüht, liegt seit gestern abend auf meinem Schreibtisch: „Concluding observations of the Committee on the Elimination of Discrimination against Women (CEDAW).“ (Warum können Menschenrechts-Abkommen nicht auch mal einen schönen Titel haben….?). Auch wenn das Komitee, wie es diplomatischem Brauch entspricht und pädagogische Übung ist, zuerst lobende Feststellungen trifft, ist die Bilanz, die dort auf 20 Seiten über Deutschlands 6. Staatenbericht zur Umsetzung des „Abkommens zur Beseitigung der Diskriminierung von Frauen“ gezogen wird, wenig positiv. Schon im 4. Punkt wird „bedauert“, dass die Nichtregierungsorganisationen an den Vorbereitungen für die Erstellung des Staatenberichts nicht beteiligt wurden. Nicht weniger deutlich fällt die Kritik an der Antidiskriminierungsstelle des Bundes aus, deren personelle und finanzielle Ausstattung das Komitee für unzureichend erachtet. Außerdem sei geboten, der Stelle, die die Einhaltung insbesondere der Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes fördern soll, zusätzliche Aufgaben und vor allem auch Sanktionsmöglichkeiten an die Hand zu geben, damit sie ihre Aufgabe effizient erfüllen kann (derzeit ist die Stelle darauf beschränkt Öffentlichkeitsarbeit zu machen, in konkreten Fällen zu beraten; sie darf benachteiligte Menschen aber nicht bei der gerichtlichen Geltendmachung ihrer Forderungen unterstützen, wie das bei entsprechenden Stellen in anderen Ländern üblich ist).
Hier soll nicht die weitere, lange Liste der Versäumnisse nacherzählt werden (obwohl dort manches hübsche Stück zu finden ist und auch die wiederholte, fettgedruckte Ermahnung Eindruck hinterlässt, dass die Bundesregierung mit der Unterzeichnung des Abkommens rechtlich bindende Verpflichtungen auf sich genommen hat, die z.B. auch von der Justiz zu beachten seien).
Überraschend und bemerkenswert war bei der 43. Sitzung des CEDAW Komitees in Genf ja etwas anderes: Die Proteste von Zwittern aus mehreren Ländern, insbesondere aus der Bundesrepublik Deutschland und der Schweiz (mehr dazu in diesem Blog), die ja auch bereits letztes Jahr den Alternativbericht zur Lage intersexueller Menschen in Deutschland zur Kenntnis gegeben hatten. Mit diesem Dokument und einem weiteren NGO-Bericht zur Situation transsexueller Frauen in Deutschland , war beabsichtigt, den Blick des CEDAW-Komitees ergänzend auf andere Benachteiligungen wegen des Geschlechts zu richten. Das ist, wie den „Concluding Observations“ zu entnehmen ist gelungen.
Unter Punkt 61 (der irritierenderweise mit „Cooperation with non-governmental organizations“ überschrieben ist) wird ausdrücklich bedauert, dass das Verlangen von Organisationen intersexueller und transsexueller Menschen, den Dialog über die Wahrung ihrer Menschenrechte aufzunehmen, von der Bundesrepublik Deutschland nicht positiv aufgegriffen worden ist. Unter Punkt 62 verlangt das Komitee daher ausdrücklich, dass der Unterzeichnerstaat Deutschland mit den NGOs von intersexuellen und transsexuellen Menschen den Dialog aufnimmt, um deren Anliegen besser zun verstehen und „um effektive Anstrengungen zu unternehmen, deren Menschenrechte zu schützen.“
Das ist, auch wenn sich die betreffenden NGOs der Intersexuellen mehr erhofft hatten (nämlich eine direkte Verurteilung der Kastrationen und Genitalverstümmelungen, wie sie im Zuge medizinischer Behandlungen auch heute noch bei intersexuellen Menschen gängig sind- vergleiche Blog „Ärzte müssen umdenken„), eine im diplomatischen Kontext deutliche und unmissverständliche Aussage, die Konsequenzen haben sollte.
Der Fall macht deutlich, dass die Nutzung von Instrumenten, die die internationalen Menschenrechtsabkommen bieten, etwas bringen kann, dass es aber doch einen ziemlich langen Atem braucht, um den langen Weg von einer ersten Erwähnung zu dann irgendwann einmal konkreten Verbesserungen zu schaffen. Das ist eine Lektion, die derzeit auch deswegen spannend zu lesen ist, weil gerade Menschen mit Behinderungen landauf, landab Veranstaltungen und Kampagnen um mit dem vor kurzem ratifizierten Übereinkommen der Vereinten Nationen für die Rechte von Menschen mit Behinderungen seit langem erhobene Forderungen nach einem Ende von Benachteiligungen und voller Inklusion effektiver durchsetzen zu können.
Menschenrechte, zeigt sich in diesen Auseinandersetzungen, sind ein hohes und kostbares Gut, so hoch gehalten und kostbar gemacht, dass sie aus dem Alltag schnell entrückt werden. So wenig Sinn es macht, jede Benachteiligung und jedes Ärgernis gleich als „Menschenrechtsverletzung“ zu brandmarken, so wichtig erscheint es doch, immer wieder darauf hinzuweisen, dass viele Benachteiligungen und scheinbar normale Übungen in Medizin, Recht und Pflege im Zusammenhang mit den Menschenrechte der Betroffenen gesehen werden müssen.
Nun denn, das unscheinbare, aber bei genauer Lektüre recht brisante Papier auf dem Schreibtisch, wird jetzt erstmal weggeheftet (Wiedervorlage, wenn der Unterzeichnerstaat Deutschland sich bemüh, seiner Verpflichtung nachzukommen).
Die nächste Anfrage eines intersexuellen Menschen oder Zwitters, wie sie sich heute noch dagegen wehren kann, dass ihr vor 30 Jahren nach unzureichender (und unzutreffender) Beratung die Hoden entfernt wurden, wird dennoch schwer zu beantworten sein. Auch das ist ein Problem der Menschenrechte: Es gibt so wenig Möglichkeiten, ihre Verletzung im Fall eines Einzelnen oder einer Gruppe verbindlich festzustellen. So bleibt den Geschädigten oft nur der Weg vor die Zivilgerichte um dort in mühseligen, aufwändigen und oft auch kostspieligen Verfahren individuell Schadensersatz und Schmerzensgeld einzufordern – erschwert durch (mitunter wohl absichtsvoll) verschollene Behandlungsunterlagen, im Kampf gegen Verjährungsvorschriften, Beweislastverteilungen und schlechtes Erinnerungsvermögen der beteiligten Ärzte, die auch selten nur verstehen wollen, dass das, was sie dereinst für eine normale Heilbehandlung gehalten haben, für die Patienten im Ergebnis eine schwere Menschenrechtsverletzung war. Immerhin es gibt auch Erfolge….
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