Die Debatte über Patientenverfügungen ist im Gange, die spezialisierte ambulante Palliativversorgung, die die Lage Schwerstkranker deutlich verbessern würde, wird noch und noch verzögert, da schwappen neue Stellungnahmen zum Thema „ärztlich assistierter Suizid“ durch die Medienwelt. Google-Alert meldet mir alle paar Stunden Neues. „Sterben lassen“ scheint ein In-Thema zu sein.
Der Initiator dieser neuerlichen, wenig ergiebigen Debatte ist der Mannheimer Medizinrechtler Jochen Taupitz, der sich in der Vergangenheit verschiedentlich für diese Suizidform stark gemacht und der sich auch ansonsten gerne als freundlicher Technokrat profiliert, der machen (lassen) möchte, was er für Fortschritt hält: Taupitz hat sich schon für die Erlaubnis ausgesprochen, Chimären zu schaffen, er ist ein Anhänger der fremdnützigen Forschung an Einwilligungsunfähigen, wie sie die Biomedizin-Konvention des Europarates (die Deutschland deswegen nicht unterzeichnet hat) vorsieht und auch bei anderen bioethischen Streitfragen stets auf der Seite derer die ethische Bedenken beseitigen und Begehrlichkeiten aller Art nachkommen möchten.
Aber zurück zum ärztlich assistierten Suizid. Solange es darum geht, dass einzelne Ärzte hier vereinzelt Patienten helfen, ist die Debatte längst nicht so brisant, wie oft behauptet wird. Suizid ist in Deutschland straffrei. Eine Behilfe oder Assistenz zu straffreien Handeln ist in Deutschland grundsätzlich nicht verboten (Beihilfe zum Autofahren steht ja auch trotz der Gefährlichkeit dieses Tuns nicht unter Strafe). Probleme schaffen allein das ärztliche Berufsrecht und gegebenenfalls das Betäubungsmittelgesetz bzw. die Betäubungsmittelverschreibungsverordnung, die die Abgabe von entsprechenden Medikationen zur Patiententötung nicht erlauben. Außerdem gibt es natürlich keine Abrechnungsziffer für Ärzte.
Möchte man allerdings, wie Taupitz, dass die Beihilfe zum Suizid Bestandteil des regulären Behandlungsangebotes wird, erhält die Debatte eine grundsätzliche Dimension: Es geht hier ja nicht mehr, wie bei Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten, um die Abwehr von medizinischen Behandlungsmaßnahmen, nicht darum, dass jemand sagt: ich möchte mein Leben leben und auch über die Behandlung meiner Krankheit bestimmen, selbst wenn ich dadurch sterbe. Beim ärztlich unterstützten Suizid nimmt nicht die Krankheit ihren Lauf, es handelt sich um einen Suizid, der Patient möchte, dass der Arzt ihm hilft, sich aktiv das Leben zu nehmen. Der Suizid wird dadurch erheblich erleichtert und auch aufgewertet: Es ist eine Behandlungsoption neben zum Beispiel der Palliativmedizin oder einer auf Heilung zielenden Behandlung. Diese Gleichbehandlung von Hilfe zum Suizid und Sterbebegleitung bedeutete einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel. Taupitz argumentiert, es gebe bei vielen Menschen, die in der Krankheit den Tod suchten „gute Gründe“ für den Suizid. Nur: warum sollen dann nich auch andere „gute Gründe“ berechtigen, Suizidbeihilfe herbeizuführen. Der nach 30 Jahren verlassene Ehemann, der gescheiterte Geschäftsmann, die Frau, die ihr Kind verloren hat – sie alle haben „gute Gründe“ nicht mehr leben zu wollen, weil sie möglicherweise tatsächlich die „besten Jahre“ hinter sich und keine Zukunftsperspektive mehr vor sich haben.
Jemandem „gute Gründe“ zuzubilligen ist ein schlechter Grund, ein Recht auf ärztlich assistierten Suizd einzuräumen. Der Fall Roger Kusch ist ein Lehrstück dafür: Auch hier gab es Menschen mit „guten Gründen“, aber nach polizeilichen Befragungen, Unterstützung durch die Angehörigen, Hilfsangeboten von Organisationen entschieden sich etliche derer, die Suizidhilfe beanspruchen wollten für das Weiterleben.
Unweigerlich wird jetzt das Beispiel Oregon angeführt werden. Die Zahl derer, die hier Suizidbeihilfe durch den Arzt in Anspruch nimmt ist vergleichsweise gering. Aber ist das schon beruhigend? Ließe sich dann nicht auch argumentieren: Eine solche Freigabe ist gar nicht erforderlich?
Mir erscheint etwas anderes bemerkenswert – was sind die Gründe, die die amtliche Statistik für den Wunsch, das Leben zu beenden erfasst? Autonomieverlust, geringere Fähigkeit, zu Aktivitäten, die das Leben lebenswert machen; Verlust der Würde; Verlust der Kontrolle über Körperfunktionen; eine Last für Familie, Freunde und Pflegende zu sein; nicht ausreichende Schmerzkontrolle oder Angst davor; finanzielle Konsequenzen der Behandlungen. Mehrfachnennungen sind jeweils möglich. Das Bild sowohl der einzelnen Jahresberichte als auch das des gesamten Zeitraums ist eindeutig: Autonomieverlust, Verlust der Würde und Verlust an Aktivitätsmöglichkeiten werden von jeweils 80 bis 90 Prozent der Betroffenen als Grund für den Todeswunsch benannt, das Gefühl, für andere ein Last zu sein, motiviert immerhin noch 36 bis 38 Prozent, die Angst vor unkontrollierbaren Schmerzen haben dagegen über all die Jahre gleich bleibend nur etwa 22 Prozent.
Die Hauptgründe für die Entscheidung für einen assistierten Suizid sind aber eher ein Alarmsignal für die Gesellschaft und die Wertevermittlung hier, in meinen Augen jedoch kein besonders guter Grund, diese Auffassung zu bestätigen, indem man den Suizidwunsch einfach und institutionell abgesichert erfüllt.
Herr Tolmein, Sie...
Herr Tolmein, Sie schreiben:
„Der Suizid wird dadurch erheblich erleichtert und auch aufgewertet“
Heißt dass, Sie sind gegen eine Aufwertung des Suizids? Soll er als niedrig eingeschätzt werden, gar verpönt sein? Habe ich das so richtig verstanden?
In der Antike zogen es viele freie Germanen, Gallier und Britannier vor, in Kampf und Widerstand zu fallen, statt unter römische Herrschaft zu kommen oder gar in die Sklaverei verkauft zu werden, obwohl man sich, wenn man sich anpasste, im Römischen Reich oft passabel oder sogar gut leben konnte und auch Sklaverei nicht immer trostlos sein musste (man konnte sich nützlich machen und freigelassen werden). Trotzdem galt vielen der Tod im Kampf für ehrenvoller. Verurteilen Sie diese Einstellung? Und war es nicht Frau Schardts gutes Recht, das Leben als Pflegefall einer unwürdigen Sklaverei vergleichbar zu empfinden? Hat nicht jeder Mensch aufgrund seiner Selbstbestimmung das Recht, für sich – nicht für andere! – zu entscheiden, ob Suizid eine wertvolle oder zu verurteilende Option ist?
Sehr geehrter Herr Kollege...
Sehr geehrter Herr Kollege Tolmein!
Es erscheint mir ein wenig verfrüht zu sein, von einer „unergiebigen Debatte“ auszugehen, befinden wir uns doch auch inmitten eines „Wertewandels“, der nun allerdings wenig mit einem Blick in die berühmte „Glaskugel“ gemein haben dürfte.
„Wertewandel“ deshalb, weil nunmehr sich auch das „Sterben“ als rein philosophischer Vorgang seit geraumer Zeit sich in einem Prozess der Säkuläisierung befindet und das ethische und moralische Monopol etwa der Kirchen in dieser Frage längst nicht mehr besteht! Das zweifelhafte ethische „Kartell“, dass zwischenzeitlich von namhaften Verbänden geschmiedet worden ist, ändert hieran nichts, so dass die künftige Debatte sich darauf konzentrieren wird, ob die ärztliche Assistenz beim Suizd über eine ethisch und moralisch vertretbare Option hinaus auch verfassungsrechtlich geboten ist. Wir werden akzeptieren müssen, wenn sich ein „Wertewandel“ abzeichnet – der – wie unbestritten sein dürfte – auch ganz maßgeblich über die Grundrechte hinaus die Verfassungswirklichkeit widerspiegeln wird. Insofern kommt das Statement von J. Taupitz zur rechten Zeit, eröffnet es uns allen doch die Perspektive, etwas konsequenter über das Gebotene kritisch zu reflektieren. Dass dies auch gefordert ist, zeigt das aktuelle Statement des Medizinethikers Heffels, der da meint, die Debatte um die Patientenverfügung mit dem Hinweis auf eine gewisse „Trivialisierung“ rügen zu müssen. Es sind genau diese Botschaften, die nicht wenige von uns veranlassen, nicht darauf zu vertrauen, dass die „Ethik“, geschweige denn die Philosophie in der Lage ist (vielleicht auch gar nicht willens ist?), unser aller Freiheit zu sichern.
In der Tat: ein Paradigmenwechsel ist zwingend notwendig, denn es erscheint mehr als beängstigend, wenn der gelegentliche Blick in die „Glaskugel“ dazu führen sollte, dass ethische „Supergrundrechtsschranken“ – je nach interpretatorischen Künsten der Hobbyphilosophen – generiert werden.
An dieser Stelle erlaube ich mir den Hinweis, dass wir ebenfalls einen Blog zur Thematik freigeschaltet haben und ich werde nunmehr einen Link auf Ihren Blog setzen.
In der Sache selbst besteht für mich kein Zweifel: die ärztliche Assistenz beim Suizid zwingend als Handlungsoption möglich; weder das Standes- noch das Berufsrecht der Ärzteschaft spricht dagegen und mit Verlaub, noch weniger die Glaubensbotschaften und Bekenntnisse von Ärztefunktionären oder Theologen.
Mit freundlichen Grüßen
L. Barth
Gert Hans Wengel, ich bin in...
Gert Hans Wengel, ich bin in der Tat der Auffassung, dass eine Gesellschaft sich nicht damit abfinden sollte, wenn ihre Mitglieder Suizid begehen wollen. Und ich halte es für besser, eine selbstbestimmte Pflege zu ermöglichen und zu erstreiten), als den Zustand der Pflegebedürftigkeit als „Sklaverei“ zu empfinden. Das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen wird dadurch nicht eingeschränkt. Das sehe ich viel eher dadurch eingeschränkt, dass plötzlich „gute Gründe“ für einen Suizid dekretiert werden, denn das wirft die Frage auf, warum denn andere Menschen in gleicher Lage, diese „guten Gründe“ nicht sehen wollen….
Stichwort Oregon: man muss gar...
Stichwort Oregon: man muss gar nicht spekulieren, warum sich nur so wenige Menschen für den ärztlich assistierten Freitod entscheiden, man kann das aus erster Quell erfahren: von den Menschen selbst. und die sagen, dass allein die Möglichkeit, sich „verabschieden“ zu können, wenn sie es denn unbedingt möchten, eine immense Beruhigung darstellt – und so manchen davon abhält, aus lauter Angst quasi „verfrüht“ den Selbstmord zu wählen. EIn Gedanke der mir zumindest ziemlich einleuchtend erscheint. UNd natürlich ist es extrem wichtig, für menschenwürdige Pflege, Palliativmedizin, etc. zu sorgen. Und natürlich täte ein gewisser Wertewandel der Gesellschaft nicht schlecht, und lasst uns bitte alle daran arbeiten, und lasst uns alle Möglichkeiten therapeutischer und sonstiger Art ausschöpfen, um Menschen dabei zu helfen, am Leben bleiben zu wollen – aber all das ist kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als auch – zumindest solange wir uns noch auf dem Weg befinden.
die "auffassung" oder these, ...
die „auffassung“ oder these, die tolmein formuliert, verdiente als imperativ begriffen zu werden: „dass eine gesellschaft sich nicht damit abfinden sollte, wenn ihre Mitglieder Suizid begehen wollen“.
Wie fahrlässig über den Komplex „Sterbehilfe“ zuweilen geplaudert, mit bildungsbürgerlicher Attitüde eine „Ars moriendi“ propagiert wird, offenbarte kürzlich die Causa Jens/Küng. Dass da 1996 ein Zölibatär und ein hochdepressiver, psychopharmaka-gedopter Rhetor unverblümt für eine Ausdehnung der Sterbehilfe warben, lässt noch nach 13 Jahren erschrecken, zumal nach dem verdienstvollen Buch vin Tilman Jens. (Vergleiche die einschlägigen Beiträge von Tolmein).
Was glauben Sie, was im...
Was glauben Sie, was im Beitrittsgebiet ein Arbeitnehmer im gewerblichen oder kaufmännischne Bereich bekommt? Nur mal so, 10,00 EUR /Std oder 1.600,00 EUR/mon brutto sind da schon ganz gut. Die Arbeitslosen stellen sich schlechter.
Was prognostizieren Sie der in diesen Bereichen berufstätigen Altersgruppe zwischen 45 und 55 Jahren als spätere Rente? Die Faustformel war 60% vom letzten Netto, aber auch nur dann, wenn die letzten Jahre ununterbrochen eingezahlt wurde.
Wer bezahlt diesen Rentnern später das Pflegeheim? Die Gemeinde über sie Sozialhilfe.
Eben.
Eine Beratung kann ergebnisoffen erfolgen, muss es aber nicht. Vor allem dann, wenn bis dahin die Krankenkassen angestellte Ärzte haben.
Die anderen erhalten ihre ersehnte Abrechnugsnummer, und einem sozialverträglichen Ableben in Eigenregie des Versicherten steht nichts mehr im Wege.