Biopolitik

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Samenspenden mit Garantie: bewährt und geprüft – ein kleines Justizdrama

| 5 Lesermeinungen

In-vitro-Fertilisation boomt - und damit auch die Rechtsstreitigkeiten, die sich aus Samenspenden ergeben. Auf einen bemerkenswerten Konflikt bin ich im Health...

In-vitro-Fertilisation boomt – und damit auch die Rechtsstreitigkeiten, die sich aus Samenspenden ergeben. Auf einen bemerkenswerten Konflikt bin ich im Health Blog des Wall Street Journal gestoßen, wo Jakob Goldstein über ein Verfahren berichtet, das gerade vor dem  District Court for the Eastern District of Pennsylvania inszeniert wird (hier finden sich die ersten zwei Entscheidungen, aber noch kein endgültiges Urteil). Da gibt es alles, was für Aufmerksamkeit sorgen könnte: einen anonymen Samenspender mit dem schönen Namen G 738, ein behindertes Kind, eine notleidende Mutter und ein gewinnsüchtiges Biotech-Unternehmen – sowie den Richter Thomas O‘Neill Jr., den man sich als weisen älteren Herren vorstellt, der den Widrigkeiten des Lebens wenigstens ein sorgfältig formuliertes Urteil abgewinnen will.

Der Plot ist kurz und dramatisch: Die in Pennsylvania lebende Donna Donovan und ihre 13jährige geistig behinderte Tochter verklagen eine New Yorker Samenbank  (Idant Laboratories) wegen Körperverletzung, Vertragsbruch, Verstößen gegen Produkthaftungsrecht und weiterer Delikte. Die Samenbank Idant Laboratories, Teil hat der Klägerin 1994 Sperma des Spenders G738 verkauft, der, wie sich später herausstellte, Überträger des Fragile-X-Syndroms ist – und damit Verursacher der Behinderung seiner ihm unbekannten Tochter Brittany. Im Katalog der Samenbank war sein Sperma als „sicher getestet“ beworben und über den Spender selbst ausgesagt worden, dass er seit zwei Jahren erfolgreich für Idant Laboratories tätig sei.

In dem Prozess, der seit über einem Jahr läuft und in dem durch den aktuellen Beschluss vom 31. März 2009 nur ein Zwischenstand erreicht ist, stehen eine Vielzahl komplizierter Rechtsfragen auf der Tagesordnung: Schon der Frage ob das Recht des Staates New York oder das Recht von Pennsylvania anzuwenden ist, kommt erhebliche Bedeutung zu, weil Sperma nach dem Recht von Pennsylvania unter das so genannte „Blutschutz-Gesetz“ fällt, das Produkthaftungsverfahren für Produkte aus allen Körperflüssigkeiten ausschließt, während das entsprechende New Yorker Gesetz diesen besonderen Schutz nur Herstellern von Blutprodukten zubilligt (Blut ist eben doch ein ganz besonderer Saft). Auch Verjährungs- und Zurechnungsprobleme machen die jetzt veröffentlichte erste Entscheidung des Bezirksgerichts zu einer wahren Fundgrube für detailverliebte Juristen.

Mit beträchtlichem Gewinn nachzulesen ist beispielsweise die Auseinandersetzung des Gerichts mit der Frage, ob Brittany Donovan, die Tochter, bewußt begünstigte Dritte des Vertrages zwischen der Samenbank und ihrer Mutter war (was ihr einen Schadensersatzanspruch geben könnte), oder ob sie nur zufällig in diesen Vertrag einbezogen war, weil eben irgendein Kind gezeugt werden sollte (dann: kein Schadenersatzanspruch).

Die Kernfrage aber ist, ob und inwieweit die Samenbank rechtlich in jeder Hinsicht für die Qualität des von ihr verkauften Spermas verantwortlich ist. Im konkreten Fall rechtsethisch besonders heikel ist diese Frage, weil das Gericht die Klagen der Mutter wegen Verjährung abgewiesen hat – die Samenbank also rechtlich lediglich noch dem mit dem verkauften Samen gezeugten Kind gegenüber haften kann. Was könnte das Kind aber geltend machen? Denn seine individuelle Existenz ist an die konkrete Samenspende des Spender G738 geknüpft – ein Dilemma, das unversehens zu den „wrongful life“-Fällen führt, den Klagen von behinderten Kindern gegen Gynäkologen und Humangenetiker, die ihre pränatal ihre Behinderung übersehen und ihre Geburt damit nicht verhindert haben.

Diese Parallele hat auch das Bezirksgericht gesehen – und hat die Klage des Kindes insoweit zurückgewiesen. Allerdings sieht Richter Thomas O’Neill Jr. da er den Verkauf von Samen als Verkauf eines Produkts und nicht als Verkauf einer Dienstleistung wertet, im Produkthaftungsrecht ausreichende Aussichten auf  Erfolg der Klage der Tochter, ohne dass sich sein Gericht auf das dünne Eis des „wrongful life“ wagen müsste….  Derweil schlagen sich in Deutschland Samenspender und Samenbanken noch mit ganz anderen, grundlegenderen, fast könnte man sagen Anfänger-Rechtsproblemen herum, insbesondere die erbrechtlichen Konsequenzen von Samenspenden sind hierzulande noch keinesweges geklärt. Von juristischen Hochseilakten wie in den USA, ist das deutsche Bioethikrecht noch weit entfernt….

Wie immer freue ich mich über Ihre Kommentare. Sie müssen sich nicht vorher anmelden.


5 Lesermeinungen

  1. shd sagt:

    Bestimmt nur die Spitze des...
    Bestimmt nur die Spitze des Eisbergs was im Zuge des Bioethikrechts in Zukunft zu erwarten ist. Erinnert mich an die Kurzgeschichte von Lem, in der ein Rennfahrer seinen Körper wegen diverser Unfälle mittlerweile vollständig aus Prothesen besteht, und weil er nicht bezahlen kann die Herstellerfirma die Prothesen zurückverlangt…

  2. nu sagt:

    Abseits der nicht absehbaren...
    Abseits der nicht absehbaren rechtlichen Verästelungen, die, je nach Ausgestaltung der nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung, logisch, bizarr oder auch tragisch in ihrer Konsequenz sein können, stellt sich am Ende (?), bzw. manchmal auch schon während solcher juristischen Auseinandersetzugen die Frage: „War es das wert?“ Das „Ja“ auf diese Frage zu Beginn wird stark relativiert, und die unterdrückte (?) Komplexität der Zusammenhänge wird mit solchen Prozessen schonungslos offenbar.

  3. ghs sagt:

    Wenn folgende Aussage stimmt:...
    Wenn folgende Aussage stimmt: „Im Katalog der Samenbank war sein Sperma als „sicher getestet“ beworben und über den Spender selbst ausgesagt worden, dass er seit zwei Jahren erfolgreich für Idant Laboratories tätig sei.“, ist m.M. nach der Verkäufer des fehlerhaften „Produkts“ haftbar. Das Produkt ist eindeutig NICHT sicher getestet – also mangelhaft.
    Andererseits treten überhaupt in Zukunft mehr Fragen bei Samenkäufen auf. Das Menschenrecht kann es einem Kind nicht verwehren, seinen leiblichen Vater kennen zu lernen. Egal, ob der das auch will oder nicht. Jeder Mensch hat das Recht zu erfahren, wer seine Vorfahren sind. Wie das je gelöst wird, ist mir schleierhaft. Einmal ganz abgesehen von den Erbstreitigkeiten, die Sie ansprechen.

  4. samenspender sagt:

    Die Rechtsunsicherheit bei...
    Die Rechtsunsicherheit bei diesem ganzen Thema führt dazu, dass Menschen wie ich sich dreimal überlegen, ob sie den altruistischen Akt wagen, kinderlosen Paaren zu helfen. Die Tonlage in der Berichterstattung geht viel zu oft in die Richtung „Geld für Samenspende – und nachher zahl der doofe Spender doch noch drauf“, richtig was Schadenfreudiges hat das oft. Dabei ist das Geld sicher der kleinste anreiz, wenn sich einer zum Samen spenden entschließt. Haben sie mal den Stundenlohn ausgerechnet, wenn man Anfahrt, Wartezeit, gesundheitliche Kontrollen, psychologische Testgespräche etc mit einbezieht … mit der schnellen Mark ist da nicht viel! Weiterführende Infos gibts auch hier zur Samenspende: Infos zur Samenspende.

  5. Jens sagt:

    Diese Themen sind nachwievor...
    Diese Themen sind nachwievor interessant und werden wohl immer Bestand haben. Das Problem der Anonymität und der daraus sich erschließenden Folgen aber auch wenn eine Spende nicht anonym durchgeführt wurde, ist schon heikel. Jeder sollte für sich abwegen, welche möglichen Folgen entstehen können.

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