Dass in der Welt irgendwie alles mit allem zusammenhängt, die Finanzkrise mit der Champions League und der Karikaturenstreit mit der NATO, wissen wir schon. In der Bio(ethik)politik erleben wir es, da sie sehr von dieser Welt und so gar nicht transzendent ist, kein bisschen anders.
Nach allem, was man aus Berlin so hört, sind die Debatte und Entscheidungen über Spätabtreibungen und die Debatte und Entscheidung der Patientenverfügungsgesetz-Entwürfe so auf kaum zu lösende Weise miteinander verbunden. Während die SPD vor allem darauf drängt, dass über die drei Entwürfe für Patientenverfügungsgesetze erneut debattiert und dann entschieden wird, wollen CDU und CSU verhindern, dass der erneute Anlauf die Lage bei den Spätabtreibungen zu verbessern durch Nichtbefassung scheitert. Der Kompromiss ist wohl, dass in der 20. Kalenderwoche das Thema „Spätabtreibungen“ in 2. und 3. Lesung debattiert werden wird, am 28. oder 29. Mai soll dann die Klärung des Themas „Patientenverfügungsgesetz“ erfolgen.
Inhaltlich sieht es so aus, dass in Sachen Spätabtreibung eine „weitestmögliche Einigung“ zwischen der Gruppe Kauder/Schmidt/Singhammer, der Gruppe Griese/Göring-Eckart/Nahles und der Gruppe Lenke/Laurischk/Flach erreicht wurde. Kernpunkte dieses gemeinsamen Kompromisses sind:
1.) die Pflicht des Arztes, die Schwangere umfassend zu beraten und an eine psychosoziale Beratungsstelle oder Selbsthilfegruppen/ Behindertenverbänden zu vermitteln. Die Frau hat dabei das Recht, die Beratung oder Vermittlung abzulehnen. Zudem ist es wichtig, dass die Frau über den Ablauf und die möglichen Folgen eines Abbruchs bereits frühzeitig und nicht erst kurz vor dem Abbruch aufgeklärt wird, wie es zurzeit oft der Fall ist.
2.) Wenn Schwangeren ein Befund mitgeteilt wird, dass ihr Kind behindert zur Welt kommen würde, führt das für viele Frauen zu einem Schockzustand. Soweit keine akute Gefahr für Leib und Leben der Frau besteht, soll daher eine mindestens dreitägige Bedenkzeit nach der ärztlichen Beratung eingehalten werden.
3.) Ein Arzt, der den vorgesehenen Pflichten nicht nachkommt oder die Bedenkzeit nicht einhält, begeht eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro geahndet wird.
4.) Weniger Einigkeit besteht in Sachen Statistik. Hier soll es eine gesonderte Abstimmung geben. Vorgesehen ist jetzt, dass erfasst wird, ob die Methode des Fetozids angewandt wurde. Auch die Abtreibungszahlen von behinderten Föten sollen ermittelt werden. Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar hat diese Erfassungen in einer Stellungnahme vom 1. April 2009 als unebdenklich bezeichnet.
Ein weiterer Gesetzentwurf der Gruppe Humme/Schewe-Gerigk/Ferner, der überraschend eingereicht wurde, will an der bestehenden Praxis nur wenig ändern.
In Sachen Patientenverfügungsgesetz ist derzeit bei den zuletzt diskutierten drei Entwürfen nur in einem Fall Änderungen bekannt (Zöller/Faust, die beispielsweise den Anspruch auf ärztliche Beratung für Patientenverfügungen aus dem Bosbach-Entwurf übernommen haben, mehr zu den Änderungen demnächst hier) und es ist offenbar auch nicht der von manchen prognostizierte gemeinsame Entwurf der Gruppen Zöller/Faust und Stünker/Kauch entwickelt worden, weil hier die grundsätzlichen Überzeugungen anscheinend doch zu weit auseinandergingen und die Gruppe Zöller/Faust befürchten musste, sonst zu viel Rückhalt in den Unionsparteien zu verlieren.
Jetzt freue ich mich wieder über Kommentare und Anmerkungenvon Ihnen. Sie müssen sich dafür nicht anmelden.
Die interessantere Frage die...
Die interessantere Frage die zu klären wäre ist: Was ist eine abtreibungswürdige Behinderung?
Doch das allein liegt also in Zukunft im Ermessen der werdenden Mutter – übrigens nicht des Vaters, der ja vielleicht auch noch ein Wörtchen mitreden sollte, wenn es darum geht das Kind später zu versorgen, zu lieben und zu pflegen.
Jedes Kind, auch wenn es behindert sein sollte hat ein Recht darauf zu leben. Nur weil die Eltern sich dem nicht gewachsen fühlen, darf es kein Maßstab für eine Spätabtreibung sein.
Manchmal frage ich mich, ob es bestimmte Politiker überhaupt gäbe, wenn es ein Abtreibungsrecht bereits vor 50, 60 oder 70 Jahren gegeben hätte.
<p>Die Frage erscheint mir...
Die Frage erscheint mir leicht zu klären: grundsätzlich gibt es wohl keine. Es liegt übrigens auch weder heute noch in Zukunft im Ermessen der werdenden Mutter, sondern es gibt eine klare, aber leider nicht immer befolgte Regelung im § 218a StGB: Entscheidend ist nicht die Behinderung des werdenden Kindes, sondern die Gefahr für Leib und Leben der werdenden Mutter. Daher macht es auch Sinn, dass der werdende Vater da nicht mitzureden hat, denn er kann ja nicht über Gesundheit und Leben der Mutter verfügen! Um die Mißbrauchsfälle zu minimieren, bei denen es leider doch mehr auf die Behinderung des Kindes ankommt, will der Bundestag jetzt ja das „Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten“ verändern – ein guter Ansatz also. (und noch eine Bemerkung zu den Vätern: auch mit Blick auf die Behinderung eines Kindes sind Väter in der Regel nicht behindertenfreundlicher als Mütter, vor allem bleibt die Erziehungs- und Pflegearbeit auch im 21. Jahrhundert leider in der Regel immer noch Sache der Frauen).
Oliver Tolmein
Die...
Oliver Tolmein
Die dreitägige Bedenkfrist liest sich anders. Wenn alles nach § 218a StGB geregelt ist, braucht auch die Mutter keine Bedenkfrist, sie hat dann schlicht nichts zu bedenken, sondern sich dem Recht zu beugen.
Das heißt aber auch, dass Spätabtreibungen im Falle einer Trisomie21 oder anderer Behinderungen des Kindes rechtswidrig sind.
Eventuelle Aussagen, dass die Mutter sich das Leben nehmen könnte, können abgewiesen werden mit dem Hinweis darauf, dass die Geburt eines Trisomie21 Kindes nicht risikoreicher ist als die eines „normalen“ Kindes. Abgesehen davon, wäre das schlicht eine Art der Erpressung, um den eigenen Willen durchzusetzen.
Danach steht der Weg der Adoption offen.
Ich bin da kompromisslos, weil ich Gott sei Dank noch vor dem Abtreibungsparagraphen geboren wurde und ihm durchaus hätte zum Opfer fallen können. Nicht als Spätabtreibung, aber das ist für das Kind gesehen ohnehin gleichgültig.
Nachwort: Meine Frau und ich würden ein behindertes Kind nicht abtreiben. Schon aus dem Grund nicht, um Behinderte, die es immer geben wird nicht noch weiter zu stigmatisieren.
VogtNuernberg, Sie können...
VogtNuernberg, Sie können natürlich versuchen das Recht an diesem Punkt neu zu erfinden, aber das geltende und wohl auch zukünftige Recht ist anders. Vor allem setzt es darauf, dass Frauen nicht besonders strafrechtlich bedroht werden, sondern sich für ihr Kind entscheiden können sollen. Die mindestens dreitägige Bedenkfrist soll ermöglichen, dass sich Frauen beraten und nicht unter Schock gegen ein Kind mit Behinderung entscheiden. Dass Suizidgedanken und -gefühle nicht mit allgemeinen Hinweisen abgewiesen werden können, erscheint einleuchtend. Es geht ja auch nicht um die Frage, ib die Geburt eines Kindes mit Behinderung riskant ist, sondern wie belastend das Leben mit einem behinderten Kind sein kann – und das Leben mit einem behinderten Kind kann erheblich belastend sein (ob das einen Abbruch rechtfertigt ist dann nochmal eine andere Frage). Das ist nicht „Schuld“ des Kindes oder der Behinderung, sondern ist Ergebnis einer wenig behindertenfreundlichen Gesellschaft, aber angesichts dessen erscheint es verfehlt, in erster Linie die Eltern ins Visier zu nehmen. Ihre persönliche Erfahrung ist da sicher wichtig, aber Sie sollten vielleicht akzeptieren, dass es aus unterschiedlichen Gründen auch andere Entscheidungen geben kann. Sache der Politik wäre es jedenfalls, die Bedingungen für Familien mit behinderten Kindern zu verbessern – durch längere Elternzeit, bessere soziale Leistungen etc. Das wäre nach der Reform des Schwangerschaftkonfliktgesetzes ein nächster wichtiger Punkt auf der politischen Agenda.
OLiver Tolmein
Sie...
OLiver Tolmein
Sie widersprechen sich: „Es liegt übrigens auch weder heute noch in Zukunft im Ermessen der werdenden Mutter, sondern es gibt eine klare, aber leider nicht immer befolgte Regelung im § 218a StGB“
Sprich: Was braucht die Mutter eine Bedenkfrist, wenn es nicht in ihrem Ermessen liegt die Abtreibung vornehmen zu lassen oder nicht.
Entweder es ist Gefahr für die werdende Mutter vorhanden, dann kann sie selber entscheiden, oder eben nicht. Dann braucht sie aber auch keine Bedenkfrist.
Die Bedenkfrist macht nur Sinn, wenn sie selber entscheiden muss, ob sie sich in Gefahr bringen möchte. In den meisten Diskussionen zu Spätabtreibungen liest es sich aber leider anders.
„Es geht ja auch nicht um die Frage, ob die Geburt eines Kindes mit Behinderung riskant ist, sondern wie belastend das Leben mit einem behinderten Kind sein kann“
Hier wird das Kindeswohl also doch nachrangig betrachtet.
Aber richtig, es hat auch mit der Behinderung des Kindes zu tun und den Problemen für die Mutter UND den Vater, für den Sie das Mitspracherecht in Bezug auf die Problematik abgesprochen haben.
Der Vater spielt in diesem Zusammenhang durchaus eine wichtige Rolle, schliesslich entlastet er die Mutter ja auch bei der Erziehung eines behinderten Kindes.
Diese zu negieren mit dem pauschalen Urteil – Männer würden sich ja eh nicht ausreichend kümmern – ist eher schon diskriminierend für Väter im Allgemeinen.
Wenn es also um das Wohl der Mutter auch bei der Erziehung eines behinderten Kindes geht, wenn von Konfliktberatung die Rede ist, dann muss der Vater mit betrachtet werden.
Mal davon abgesehen: Was wäre, wenn der Vater gegen die Abtreibung ist, die dann durchgeführt wird und er psychische Probleme bekommt?
Oder interessieren Männer dann nicht mehr?
„Das wäre nach der Reform des Schwangerschaftkonfliktgesetzes ein nächster wichtiger Punkt auf der politischen Agenda. “
Nein, das wäre ein Punkte gewesen BEVOR man das Schwangerschaftkonfliktgesetz auf den Weg gebracht hat, denn das stellt das Wohl des Kindes/Behinderten in den Mittelpunkt der Diskussion, nicht die Auswirkungen auf Leib, Leben und Psyche ausschliesslich der Mutter.
VogtNuernberg, die Fragen im...
VogtNuernberg, die Fragen im Umfeld der Abtreibungen wegen medizinischer Indikation sind recht kompliziert, weil es hier meist um schwer von außen zu erschließende innere Konflikte und Gefahren für die Mutter geht: wie lässt sich eine drohende psychische Erkrankung oder eine Suizidgefahr zuverlässig von Dritten erschließen? Aber ganz klar ist: Der gEsetzgeber hatte bei der Schaffung der medizinischen Indikation Leib und Leben der Schwangeren im Blick und ausdrücklich nicht das Kindeswohl. Die Bedenkzeit ist deswegen auch so zu verstehen, dass in dieser Zeit insbesondere Klarheit geschaffen werden soll, ob wirklich gesundheitliche Gefahren für die werdende Mutter aufgrund der pränatalen Diagnose bestehen und ob es Möglichkeiten gibt, sie zu reduzieren oder gar irrelevant werden zu lassen. Dass die medizinische Indikation sicher nicht selten als verdeckte eugenische Indikation mißbraucht wird, ist nicht zu leugnen – aber vermutlich auch schwer zu verhindern. Deswegen soll im neuen Schwangerschaftskonfliktgesetz ja neben der Beratung auch eine statistische Erfassung geregelt werden, damit hier die Dimensionen wenigstens bekannt werden.
Ausgehend von dieser Überlegung des Gesetzgebers – es geht um den Schutz der (auch psychischen) Gesundheit der schwangeren Frau und werdenden Mutter – macht es auch Sinn, dem Vater hier keine Rolle einzuräumen (und glauben Sie mir: als Vater habe ich die Probleme, die damit verbunden sein könenn durchaus im Blick). Dass Väter die von Ihnen beschriebene entlastende Rolle meistens nicht spielen, ist übrigens keine böse Unterstellung von mir, sondern vielfach nachgewiesene und dokumentierte Praxis. Ausnahmen bestätigen hier leider nur die Regel.
Es ist erstaunlich, daß so...
Es ist erstaunlich, daß so viel um die Patientenverfügung noch diskutiert wird. Es ist doch eine Verletzung des Grundgesetzes, wenn sie nicht respektiert wird. Warum nehmen die Deutschen (und die Franzosen ) nicht das Schweizer Modell an. Da muß kein Arzt die tödliche Spritze geben, sondern ein Rezept ausstelllen. Wenn ein erwachsener Mensch entscheidet, daß sein Leben nicht mehr lebenswert ist, soll er doch die Möglichkeit haben , sanft einzuschlafen. Jeder kennt das Mittel: Natrium von Pentobarbital…Es wird soger in Deutschland hergestellt und nur für Tiere verwendet. Womit haben die Tiere es verdient, sanfter einzuschlafen als wir Menschen ? Worüber wird denn diskutiert ? Über die Selbstbestimmung des Menschen muß diskutiert werden , sonst gar nichts.