In Großbritannien, dem Land der zunehmend entgrenzten biotechnologischen Möglichkeiten, wird es in Zukunft Kinder geben, deren in der Geburtsurkunde ausgewiesenen Eltern zwei Frauen sind. Für die einen ist das ein großer Erfolg im Kampf gegen die Benachteiligung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Für andere ist es eine fatale familienpolitische Entwicklung, die Kindern das Recht auf den Vater nimmt. Jedenfalls ist es eine rechtliche und soziale Entwicklung, deren Komplikationen im Internet anschaulich nachzulesen sind: Man klicke auf den Wortlaut des „Human Fertilisation and Embryology Act 2008″ , der vor kurzem in Kraft getreten ist. Dort werden – soweit ich es sehe (aber für Belehrungen bin ich, zumal kein familienrechtlicher Experte empfänglich(!)) erstmals – die Begriffe „Mutter“, „Vater“ beziehungsweise als Alternative dazu „anderer Elternteil“ im Gesetz bestimmt. Paragraph 41 regelt beispielsweise, dass es leibliche Väter gibt, die künftig keine Väter mehr im Sinne des Gesetzes sind – die Vorschrift bezieht sich insbesondere auf Samenspender. Die Paragraphen 42 und 43 normieren dagegen die Fälle, in denen Frauen in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften künftig als „anderer Elternteil“ anerkannt werden mit der in Paragraph 45 ausgesprochenen Konsequenz, dass in diesen Fällen kein Mann mehr als Vater der Kinder behandelt und anerkannt werden kann.
In der britischen Öffentlichkeit wurde diese gesetzliche Änderung wahrgenommen, entfachte aber keine nennenswerten Diskussionen. Auch international hat dieser Versuch, das Konzept von Elternschaft und damit den Familienbegriff von, je nach Perspektive, seinen biologischen Wurzeln zu befreien vergleichsweise wenig Resonanz hervorgerufen.
Bemerkenswert ist auch, dass mit diesem Schritt zwar das Konzept des biologischen Vaters ersetzt wird, an der Idee der biologischen Mutter aber festgehalten wird. Wenn aber die Gleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare entscheidender Ansatzpunkt für die Neudefinition von Elternrollen ist, fragt sich, warum nicht auch schwule Partner das Recht darauf haben sollen, alleinige Eltern eines Kindes zu sein: als „Vater“ und als „anderer Elternteil“? Möglicherweise ist hier sogar der britische Gesetzgeber vor seinen Möglichkeiten zurückgeschreckt.
Auch wenn es im Ergebnis wahrscheinlich nicht allzuviele Fälle geben wird, in denen diese neue Bestimmungen Anwendung finden, nach denen soziale Beziehungen die biologische Wirklichkeit suspendieren sollen, könnten die langfristigen Folgen doch erheblich sein – wobei zu untersuchen sein wird, wie sich neuen Möglichkeiten auf Kinder und deren soziales Umfeld auswirken. Denn der Ansatzpunkt der neuen Gesetzgebung ist die Lage der Eltern. Das Kindeswohl taucht in dem umfangreichen Gesetzesentwurf in diesen Zusammenhang als Bezugspunkt gesetzgeberischer Überlegungen nicht auf. Um die Auswirkungen dieser Gesetzgebung zu überprüfen wird es naturgemäß Zeit brauchen, denn so verfügbar biologische Realitäten auf der großen europöäischen Insel auch sind, gänzlich lassen sie sich nicht durch normative Vorgaben ersetzen.
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Das ist eine der grausigsten...
Das ist eine der grausigsten Meldungen aus einem Staat der zur EU gehört.
Aber auch der Zerfall anderer Imperien ist an der Verwirrung von Grundbegriffen ablesbar – und an der sich verbreitenden Weigerung die Realität zur Kenntnis zu nehmen.
Biologische Realität ist...
Biologische Realität ist auch, dass in so einigen „normalen“ Ehen trotz Trauschein und kirchlichem Pomp mit ewigem Treueversprechen am Ende Kuckuckskinder großgezogen werden – und der angebliche Vater bis vor kurzem keine legale Möglichkeit hatte, seine Vaterschaft überprüfen zu lassen.
Und man darf noch hinzufügen, dass inzwischen wirklich genügend Studien durchgeführt wurden, um das Märchen zu widerlegen, dass Kinder aufgrund von gleichgeschlechtlichen Eltern Defizite erleiden würden.
@cyris: Darf ich um Quellen,...
@cyris: Darf ich um Quellen, und zwar direkte, bitten?
<p>Cyris, die entscheidende,...
Cyris, die entscheidende, direkte Quelle ist im Text verlinkt: „Human Fertilisation and Embryology Act 2008.“ Da steht alles web-auf-weiß…..
Mir scheint, Ihrem letzten...
Mir scheint, Ihrem letzten Kommentar, Oliver Tolmein, liegt ein Missverständnis zugrunde: meine Bitte um Quellen bezog sich nicht auf das britische Gesetz sondern auf die recht selbstsichere Aussage, dass es genügend Studien für die Widerlegung eines Märchens gäbe. (Ich ging davon aus, dass hier die Kurznotation „@XYZ: …“ für „Bezugnehmend auf den Kommentar von XYZ, …“ geläufig ist. Naja, typischer Blog-Neuschreib halt, den ich da verwendete.)
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An Quellenangaben von cyris (oder auch sonst jemand qualifiziertem) zur von ihm ins Spiel gebrachten Märchen-Widerlegung bin ich immer noch sehr interessiert.
Pius, da bin ich an den...
Pius, da bin ich an den modernen Kommunikationskürzeln gescheitert und habe nun auch noch wieder was gelernt. Für diese Quellenangaben – „Märchen“ – bin ich nun allerdings nicht zuständig. Wobei „Märchen“ doch schöne Geschichten sind, die sich nicht widerlegen lassen (wie ließe sich Schneewittchen widerlegen???) Immerhin aus meiner Sicht so viel dazu: Ich nehme nicht an, dass Kinder aufgrund der Gleichgeschlechtlichkeit Ihrer Eltern Schäden erleiden. Möglicherweise könnte sogar in Studien das Gegenteil herauskommen, weil gleichgeschlechtliche Paare sich vermutlich im Durchschnitt bewußter für Kinder entscheiden und einen durchschnittlich besseren sozio-ökonomischen Status haben werden. Meine Bedenken zielen nicht darauf, dass gleichgeschlechtliche Paare keine Kinder haben sollten oder sie nicht erziehen könnten. Mich beunruhigt, dass ein Gesetz normiert, dass es künftig Kinder gibt, die keinen Vater mehr haben, sondern nur noch „Mutter“ und „anderes Elternteil“, dass also eine biologische Realität normativ für unbeachtlich erklärt wird. Das dürfte auch nicht zum Besten der Kinder sein und möglicherweise auch das Verhältnis „Kind“ – „anderes Elternteil“ unschön beeinflussen. Etwas anderes wäre es gewesen, Samenspender wenn jemand an die Stelle des biologischen Vaters tritt, dauerhaft von Unterhaltsverpflichtungen freizustellen. Aber dafür bedarf es keiner Vorschrift, dass der Vater nicht mehr der Vater ist, weil es einen „anderen Elternteil“ gibt….
Ich muss dazu sagen, dass die...
Ich muss dazu sagen, dass die Bundesjustitzministerin Brigitte Zypris sich sehr für mehr Rechte in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften einsetzt. Sie hat eine Studie in Auftrag gegeben anhand derer sie beweisen möchte, dass es nicht schlecht ist, wenn Kinder von 2 Frauen oder 2 Männern großgezogen werden. Diese Studie endet bald.
https://www.bmj.bund.de/enid/0,15359c636f6e5f6964092d0935373330093a095f7472636964092d0931363039/Reden/Brigitte_Zypries_zc.html
Wenn man bei Wikipedia nach „Regenbogenfamilie“ sucht, findet man einen Artikel, in dem Studienergebnisse kurz aufgelistet werden.
Desweiteren muss ich erwähnen, dass meist der Vater in der Geburtsurkunde als unbekannt gilt, wenn es ein Samenspender war, der keine Rechte und Pflichten übernehmen will. Nach einer Stiefkindadoption steht in der Geburtsurkunde dann der Stiefelternteil. Es heißt ja nicht, dass bloß, weil der Vater in der Geburtsurkunde nicht aufgeführt ist, dass Kind ihn zwangsläufig nicht kennt. Dieser anonyme Vater erleichtert bloß die Bürokratenwege. Viele Kinder in gleichgeschlechtlichen Beziehungen kennen ihren Vater, weil er entweder ein Bekannter ist oder ein schwule Freund, der Vater sein mlchte, ist.
@Oliver Tolmein (ich kann den...
@Oliver Tolmein (ich kann den Blog-Aküfi nicht lassen;-)): Ja, der Artikel selbst und Ihr Kommentar zeigen nochmal deutlich und nachvollziehbar Ihre Bedenken gegenüber der im Act vorgenommenen Neudefinition der Kindesrolle.
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(Nur vorab: aufgrund meiner weltanschaulichen Prägung halte ich wenig von dem Versuch, den Begriff der Elternschaft auf gleichgeschlechtliche Paare auszuweiten. Auch daher rührt dann meine Skepsis bezüglich der forschen Behauptung von Studien über nichtauftretender Defizite aufgrund gleichgeschlechtlicher Elternpaarung.) Davon abgesehen finde ich es aber im Sinne des Gleichstellungsgedankens irritierend, dass schwule und lesbische Paare unterschiedlich behandelt werden (etwas, das im Artikel im 3. Absatz einleuchtend ausgeführt wurde).
Eine sehr gute und faire...
Eine sehr gute und faire Meldung aus England. Wer behauptet, dass nur heterosexuelle Menschen Kinder erziehen können, der lügt und diskriminiert.
Ich kenne mehrere Frauenpaare, die sehr gute Eltern sind und glückliche Familien bilden. Sie lassen ihre Kinder nicht in der Pizzeria in Italien zurück und was weiß ich, was da alles an Schrecklichkeiten bei Vater-Mutter-Kind jeden Tag in den Boulevardmedien zu lesen ist.
Frauenpaare sind perfekte Eltern und da lobe ich doch die Entwicklung im England, Schweden, Niederlande, Belgien oder Norwegen.
Die Ehe ist diesen Familien mit Kindern zu öffnen. Nur das ist ehrlich.
Was ist da so großartig...
Was ist da so großartig anders als in Deutschland?
Der Samenspender wird auch in Deutschland von der Vaterschaft ausgeschlossen: „Ist das Kind mit Einwilligung des Mannes und der Mutter durch künstliche Befruchtung mittels Samenspende eines Dritten gezeugt worden, so ist die Anfechtung der Vaterschaft durch den Mann oder die Mutter ausgeschlossen.“ (§ 1600 Abs. 5 BGB)
Auch bei uns wird also eine biologische Realität normativ für unbeachtlich erklärt. Letztlich ist das doch nur eine Abkürzung gegenüber dem in diesen Fällen unnütz komplizierten Weg über die Adoption. Denn da liegt noch der einzige Unterschied zwischen Deutschland und Großbritannien: Wenn’s um eine zweite Mutter geht, dann muss man halt den Weg über die Stiefkindadoption gehen, aber Geburtsurkunden, wo schlicht zwei Mütter statt einem Vater und einer Mutter angegeben werden, gibt’s eben auch in Deutschland schon seit einigen Jahren.
@Oliver Tolmein: Man merke: DAS Geschlechtsteil, aber DER Elternteil, sonst liest sich das ganz grauslich…