In der deutschen Debatte über Sterbebegleitung, Patientenverfügungen und das bisschen Leben davor erscheint die Schweiz oft als eine Art gelobtes Land, Heimat von internationalen Hilfsorganisationen mit den wohlklingenden Namen „Exit“ und „Dignitas“… Dass in der Confoederatio Helvetica (CH) am 16. April diesen Jahres die Referendumsfrist für ein Gesetz mit dem schönen Namen „Erwachsenenschutzgesetz“ abgelaufen ist, ist dabei weitaus weniger bekannt. Dabei ist das 60seitige Gesetzeswerk, das das schweizerische Vormundschaftsrecht vollständig ersetzt und entgegen seinem Titel auch komplexe Sachverhalt, wie den Entzug des Sorgerechts von Eltern für ihre Kinder und andere Kinderschutzfragen regelt, gerade angesichts der deutschen Debatte zum Thema eine gewinnbringende Lektüre, wenn auch keine besonders unterhaltsame – was aber in der Natur des Gesetzestextes als solchem liegt….
Ohne jetzt hier auf die Schweizer Regelungen im Detail eingehen zu wollen ist doch interessant, dass die schweizer Regelung ganz andere Akzente setzt, als es in der deutschen Diskussion üblich war. Im Mittelpunkt des Erwachsenenschutzes steht nicht die gesetzliche Betreuung und auch nicht das schwer zu handhabende Instrument der Patientenverfügung. Die Vorsorgeverfügung wird vom Schweizer Recht als das zentrale Instrument des Selbstbestimmungsrechtes für Menschen behandelt, die nicht mehr selber entscheiden können. Der in Paragraph 360 geregelte Vorsorgeauftrag ersetzt dabei Betreuungen, aber auch Patientenverfügungen – es werden im Gesetz nicht nur detaillierte Formvorschriften entwickelt (beurkunden oder handschriftlich verfassen), sondern auch Möglichkeiten formuliert, dem Vorsorgebevollmächtigten Anweisungen zu geben. Der Bevollmächtigte seinerseits hat das Recht, sich an die „Erwachsenenschutzbehörde“ zu wenden, wenn er seinen Auftrag nicht gut auslegen kann. Es sind auch Regelungen getroffen, wie Vorsorgeaufträge zu hinterlegen sind und was Behörden zu tun haben, um festzustellen, ob ein Vorsorgeauftrag erteilt wurde. Zudem gibt es ein differenziertes Instrumentarium zur Kontrolle der Vorsorgebeauftragten, das von Berichtspflichten bis zur Installation von Kontrollinstanzen reicht.
Auch die Regelung der Patientenverfügung, die in dem Gesetz getroffen ist, erscheint gut handhabbar. Patientenverfügungen bzw. deren Vorliegen soll auf den Versichertenkarten eingetragen werden. Interessant ist die Regelung, unter welchen Voraussetzungen Ärztinnen und Ärzte Patientenverfügungen nicht entsprechen müssen und wie sie die Gründe dafür zu dokumentieren haben. In diesem Zusammenhang spielt auch eine verfahrensrechtliche Regelung eine wichtige Rolle: Menschen, die dem Patienten „nahestehen“, haben nämlich die Möglichkeit, sich an die Erwachsenenschutzbehörde zu wenden und geltend zuz machen, dass eine Patientenverfügung nicht beachtet wird, dass sie nicht auf einem freien Willen beruht oder die Interessen der einwilligungsunfähigen Person nicht (mehr) gewahrt sind. Wer sich an die Behörde wenden kann, hat später auch ein Recht gegen Entscheidungen Beschwerde einzulegen – eine Ausweitung des Beteiligtenkreises gegenüber dem deutschen Recht, die angemessen erscheint, auch wenn dadurch die Gefahr besteht, dass sich Menschen engagieren, die eigene Interessen und Motiver verfolgen.
Bemerkenwert ist, dass den Ehepartnern der betroffenen Menschen anders als im deutschen Recht eigenständige Befugnisse eingeräumt werden: Zum einen können sie in alltäglichen Fragen ohne weitere Förmlichkeiten die Vertretung übernehmen, zum anderen können ihnen auch Entscheidungsbefugnisse in medizinischen Fragen eingeräumt werden, wenn es keinen (anderen) Vorsorgebevollmächtigten gibt und keine gerichtliche Beistandschaft angeordnet ist. Das Schweizer Gesetz bezeichnet eine genaue Reihenfolge der Vertretungsmöglichkeiten und regelt auch Kollisionsfälle. Der mutmaßliche Wille der betroffenen Person spielt dagegen nur eine untergeordnete Rolle – was durch das ausgeklügelte Vertretungs- und Beschwerdemöglichkeitensystem auch gut möglich ist. Auch die möglichst weitgehende Einbeziehung der einwilligungsunfähigen Person ist durch das Erwachsenenschutzgesetz vorgeschrieben.
Die Schweiz hat mehr zu bieten als nur assistierten Suizid…..
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Ohne hier in eine...
Ohne hier in eine Interpretation des schweizerischen Rechts einsteigen zu wollen, würde ich allerdings Folgendes zu bedenken geben: Der in Art. 360 geregelte Versorgeauftrag ersetzt m.E. nicht (!) die Patientenverfügung. Diese ist vielmehr eigenständig und unabhängig in Art. 370 ff. geregelt und gilt freilich auch unverändert fort.
Ein solches ergibt sich aus Art. 369, da hier der Vorsorgeauftrag qua Gesetzes wegen seine Wirksamkeit verliert, wenn und soweit die Urteilsfähigkeit der auftraggebende Person wieder hergestellt werden sollte.
Insofern bleibt auch nach schweizerischem Recht die Patientenverfügung ein probates Mittel, um selbstbestimmt entscheiden zu können.
Im Übrigen sind die Unterschiede zur nunmehr in Deutschland geltenden Rechtslage nicht allzu gravierend: Auch die Schweiz setzt erkennbar auf eine Konsenslösung, auch wenn zunächst der Eindruck entstehen könnte, als dass die Ärzte „frei“ entscheiden können. Nach Art. 373 können nahestehende Personen die Erwachsenschutzbehörde anrufen, wenn u.a. die Gefahr besteht, dass dem Willen der nicht mehr urteilsfähigen Patienten nicht – auch auf der Grundlage einer Patientenverfügung – entsprochen wurde.
Dass im Übrigen die Ärztinnen und Ärzte auch zur Konsensfindung verpflichtet sind, ergibt sich aus Art. 377, 378, in dem die Vertretung bei medizinischen Maßnahmen geregelt ist. Bei zunächst kursorischer Betrachtung könnte nach Art. 372 der Eindruck entstehen, als sei hier eine „Lücke“ entstanden, wonach der Arzt „nur“ schriftlich ein Patientendossier abzufassen hat, wenn und soweit er der Patientenverfügung nicht zu entsprechen gedenkt. Von einer Mitteilung an die Erwachsenenschutzbehörde ist hier keine Rede, was ggf. zu vermuten anstand. Dies ist allerdings nicht notwendig, weil der schweizerische Gesetzgeber hier in den nachfolgenden Artikel hinreichend Sorge dafür getragen hat, dass der Arzt die in Art. 378 näher aufgeführten Personen beizuziehen hat, mit denen dann in der Folge die in Frage kommende Therapie zu erörtern und entsprechend zu planen ist.
Für den Fall, dass keine vertretungsberechtigte Personen vorhanden ist oder das Vertretungsrecht nicht ausüben will, ist nach Art. 381 ist eine Vertretungsbeistandschaft einzurichten. Problematisch erscheint mir diesbezüglich nur, dass hier die Erwachsenenschutzbehörde nur auf Antrag der Ärztin oder Arzt handelt, im Übrigen aber von Amts wegen oder einer anderen nahe stehenden Person.
Hier wäre es vielleicht um des Gebotes der Rechtsklarheit willen sinnvoll gewesen, dass die Ärzteschaft regelmäßig zur Information an die Erwachsenenschutzbehörde verpflichtet ist, wenn und soweit keine vertretungsberechtigte Person vorhanden ist.
Erst seit dem 16. Jahrhundert...
Erst seit dem 16. Jahrhundert gibt es in Europa den gesetzlichen Schutz des Lebens von Neugeborenen. Vorher galten Neugeborene als Nichtpersonen.
Die erste Form des Personenstandrechts begann mit einem Beschluss des Konzils von Trient: Alle Neugeborenen mußten getauft und in Taufbüchern registriert werden. Auch die Einführung der Sterbebücher wurde von der Kirche vorgeschrieben. Beides war ein wesentlicher Schritt zur Entwicklung des Rechtsschutzes für Menschen, der in Europa seither nicht zur Disposition stand. Dass wir noch einmal dahin zurückkommen würden war undenkbar.
Doch mit Änderung des § 218 StGB wurde der erster Schritt getan und aktive Sterbehilfe schon nicht mehr ausgeschlossen. Das die Schweiz Suizidhilfe Sterbewilligen auch anderer Staaten gewährt, wundert nicht… schon eher, dass man vorgibt – keinen Gewinn erzielen zu wollen. Doch indirekter Gewinn liegt darin begründet, dass für älteren Menschen keine Rente/Pension oder sonstige Gelder mehr aufgebracht werden müssen.
„Dass der mutmaßliche Wille der betroffenen Person nur eine untergeordnete Rolle spielt – was durch das ausgeklügelte Vertretungs- und Beschwerdemöglichkeitensystem gut möglich ist“ – läßt dies Art von Schweizer Sterbebegleitung, wenn nicht gerade in rechtsfreiem, so doch in einem ungesicherten Rechtsraum erscheinen.