Vor einem halben Jahr hat die damals 13jährige Hanna Jones ihr Recht durchgesetzt, eine Herztransplantation zu verweigern. Jetzt hat sie vor kurzem ihre Meinung geändert: de rEingriff ist Ende Juli erfolgt und sie hat ihn, soweit das schon zu beurteilen ist, gut überstanden. Die Geschichte von Hanna Jones ist bemerkenswert – nicht nur weil sie tragisch ist und doch auch Mut macht, ein junges Mädchen im zähen Kampf gegen die Krankheit zeigt. Auch, weil sie sehr unterschiedliche, grundsätzliche ethische Fragen aufwirft.
Als sich die 13jährige im November letzten Jahres gegen die vom Krankenhaus geplante Operation zur Wehr setzte, stand die britische und die internationale Medienöffentlichkeit auf ihrer Seite. Auch die Eltern unterstützten die Weigerung ihrer Tochter, noch einen schweren Eingriff durchführen zu lassen. Das Vorhaben des Krankenhauses, den Eltern das Sorgerecht entziehen zu lassen, um dann die lebensrettende Behandlung, gestützt auf die Einwilligung eines Vormunds, durchzusetzen, stand damals im Fokus der Kritik. Auf Hanna wurde als „Right to die-Teenager“ in der auch an anderen Punkten in Gang gesetzten bioethischen Kontroverse verwiesen. Die Entscheidung der 13jährigen, die an Leukämie erkrankt war, seit acht Jahren von einem Krankenhausaufenthalt zum nächsten lebte, bis zuletzt durch die vielen Therapien ihr Herz massiv geschädigt war, jetzt in Ruhe sterben zu wollen, wurde als Problem des Rechts auf den eigenen Tod von Kindern und Jugendlichen verstanden. Dabei strichen die meisten Kommentatoren heraus, dass auch Kindern und Jugendlichen eigene Entscheidungsrechte zustehen, wenn sie erfassen können, worum es bei ihren Behandlungen geht. Das finde ich grundsätzlich auch – und bin der Ansicht, dass die Möglichkeiten von Kindern und Jugendlichen gegebenenfalls selbst in ihre Behandlung einwilligen oder nicht-einwilligen zu können im deutschen klinischen Alltag viel zu wenig beachtet wird.
Allerdings war der Fall von Hanna Jones schon damals nicht ganz typisch, denn es ging ja nicht um das Recht eines Kindes, sich anders zu entscheiden, als seine sorgeberechtigten Eltern. Die Eltern konnten Hannas Behandlungs- und damit auch Lebensmüdigkeit verstehen und respektierten sie. Umstritten war dagegen, ob bei einem Kind eine belastende Maximaltherapie, die Aussichten auf Erfolg hatte, auf dessen Wunsch bzw. auf Wunsch der Eltern unterlassen werden durfte. Die Antwort lautete – auch hier finde ich: prinzipiell richtigerweise – ja. Das Krankenhaus bemühte sich schließlich auch nicht mehr darum, eine Gerichtsentscheidung herbeizuführen und einen Pfleger bestellen zu lassen, der anstelle der Eltern entscheiden sollte.
Aber waren das überhaupt die richtigen Fragen? Hatte die bioethische Debatte damals den richtigen Fokus? Der Fortgang von Hannas Geschichte bringt einen zum Zweifeln.
Hanna hat Monate ohne die Transplantation überlebt. 2009, kurz nach ihrem 14. Geburtstag, kam sie erneut ins Krankenhaus, wieder erschien ihr Zustand lebensbedrohlich – diesmal diagnostizierten die Ärzte ein Nierenversagen. Aber Dialyse war keine Therapieoption für die 14jährige, weil dafür ihr Herz zu schwach war. Nach erneuten Gesprächen mit den Ärzten entschied sich Hanna deswegen jetzt (auch hierin wieder unterstützt von ihren Eltern), die Herztransplantation doch zu wagen. Medienberichten zufolge war ausschlaggebend, dass di e Ärzte ihr diesmal eine bessere Prognose mitteilten. Hatte es im November 2008 noch geheißen, die Operation wäre höchst riskant und auch eine erfolgreiche Transplantation würde ihr maximal zehn Jahre Ruhe geben, klärten die Ärzte sie jetzt dahingehend auf, dass sie gute Chancen auf eine erfolgreiche Transplantation habe und mit dem Transplantat auch länger als zehn Jahre leben könnte. Der Wechsel in der Beratung wurde damit begründet, dass Hanna heute physisch in besserer Verfassung wäre, als im November 2008.
Deutlich wird an dem Fall aber, in wie hohem Maße die ärztliche Beratung den Ausgang einer kritischen Entscheidungssituation beeinflußt. Patienten, seien sie 14 Jahre alt oder 44 Jahre, müssen sich letztenendes auf die ärztliche Beratung verlassen – und ob diese unterstützend ist und die positiven Perspektiven herausstreicht, oder ob sie sich vornehmlich an den Risiken und Gefahren orientiert, kann den Unterschied von Ja zu Nein leicht ausmachen.
Möglicherweise illustriert der Fall auch, wie unterschiedlich eine Entscheidung angegangen wird, je nachdem, ob es sich um eine akute Lebensbedrohung handelt, wie das im Sommer 2009 der Fall war oder ob akut vor allem die Angst vor einem neuen massiven medizinischen Eingriff ist, wie es bei Hanna im Herbst 2008 war.
In der Debatte über Bioethik wir oft mit dem dort allgegenwärtigen Konzept von Rechten und der Betonung der Entscheidungsmöglichkeiten des Individuums auf den Moment gesetzt: Durfte im Herbst 2008 auf den Eingriff bei Hanna verzichtet werden? Der Dynamik eines Behandlungsprozesses und eines (jungen) Lebens wird diese Herangehensweise aber nicht immer gerecht: Zwar musste die Frage geklärt werden, ob der Eingriff damals verweigert werden durfte, aber wichtiger wäre auch damals schon gewesen zu klären unter welchen Bedingungen er verweigert wurde, warum die Entscheidung von Hanna damals negativ ausfiel und ob nicht mit Eröffnen einer anderen Perspektive auch damals – ungeachtet des prinzipiellen Right to Die – der Lebenswille nicht hätte bestärkt werden können.
Sie können dieses Blog gerne kommentieren (Sie müssen sich nicht anmelden)
Interessanter Aspekt, über...
Interessanter Aspekt, über den man in dem Zusammenhang sicher zu selten redet. Man mag gar nicht darüber nachdenken, was für Konsequenzen Missverständnisse zwischen Ärzten (die man manchmal bekanntermaßen echt gut missverstehen kann) und Patienten (die bekanntermaßen oft nicht mal richtig zuhören) in solchen Situationen haben können.
Spontan wünscht man sich Schulungen für die Ärzte, die es betreffen könnte, aber das wird auch nicht immer die große Lösung für alles sein.
Verehrter Herr Tolmein.
Die...
Verehrter Herr Tolmein.
Die besondere Würze Ihres aktuellen Eintrags liegt wohl in dem letzten Absatz, in dem Sie erneut dem Versuch unterliegen, Ihre Bedenken gegen die Übertonung des Selbstbestimmungsrechts in dem „bioethischen Diskurs“ zu plausibilisieren. Entgegen der von Ihnen vertretenen Auffassung war es auch seinerzeit nicht wichtiger, bis ins letzte Detail die Modalitäten der „Verweigerung“ einer Transplantation abzuklären. Ohne Frage ist bei solchen vitalen Entscheidungen die Arzt-Patienten-Kommunikation (freilich mit Einbindung der Eltern) von größter Bedeutung, ohne dass es aber darauf ankäme, ggf. einen Lebenswillen zu bestärken. Dies erinnert mich doch sehr stark an das Argumentationsmuster in der Palliativmedizin, die sich nicht selten davon leiten lässt, dass ggf. der Patientenwille mit seinem konkreten Sterbewunsch in einen entsprechenden Lebenswillen abzuändern sei. Es bedarf insoweit keiner großen Worte, dass ein solcher Ansatz eines gut gemeinten Paternalismus wohl zu viel wäre und unmittelbar auf eine Instrumentalisierung der Patienteninteressen im Sinne eines Fürsorgeanspruchs der Ärzteschaft hinausläuft. Eine Konsequenz, die ich für höchst despektierlich erachte.