Es gibt spannende Bewegungen in der englischen Debatte über assistierten Suizid. Colin Pillinger, wissenschaftlicher Leiter des Beagle-2-Projekts zur Erforschung des Mars und seit vier Jahren an Multipler Sklerose erkrankt, hat sich in der BBC sehr kritisch über die von Debbby Purdys Schicksal forcierte öffentliche Diskussion um Sterbehilfe geäußert. Gleichzeitig hat der britische Chefankläger Keir Starmer einen Kriterienkatalog veröffentlicht, aus dem hervorgeht, unter welchen Voraussetzungen die Staatsanwaltschaft in Fällen der Beihilfe zum assistierten Suizid Anklage erheben wird, insbesondere, wenn es um die Begleitung schwerkranker sterbewilliger Menschen in die Schweiz geht, wo sie sich angeleitet von einer Sterbehilfeorganisation umbringen lassen wollen.
Der Astronom Pillinger hält es für fatal, dass durch den mit reichlich medialer Unterstützung betriebenen Vorstoß von Debbie Purdy in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, Multiple Sklerose wäre eine Erkrankung, bei der man in erster Linie das eigene Sterben vorbereiten müsste. „Es ist überhaupt nicht so, dass wir an Multipler Sklerose erkrankten Menschen alle zu Hause sitzen und nur darauf warten, dass wir hören: jetzt dürft ihr zum Sterben in die Schweiz fahren. Sehr viele von uns wollen aber weiterleben und das tun, was uns Spaß macht, ob es wissenschaftliche Arbeit ist oder auch nur im Garten sitzen und das Gras wachsen sehen.“
Pillinger befürchtet, dass es zukünftig schwerer werden wird, Gelder für die Unterstützung der wissenschaftlichen Forschung zur Bekämpfung der Krankheit zu sammeln, weil die Menschen meinten, diese Unterstützung lohne sich nicht mehr.
„Die Debatte über Sterbehilfe und Multiple Sklerose ist völlig vom Schicksal dieser einenFrau bestimmt – das ist unverantwortlich. Wir brauchen eine positive Perspektive. Wir wollen darüber reden, wie wir leben können, nicht wie wir sterben.“
Gegen diesen flammende Appell eine neue Perspektive einzunehmen, der den Blick auch darauf lenkt, dass in der britischen Spitzenforschung, die auch durch Stephen Hawking geprägt ist, anscheinend mehr Menschen mit schweren Behinderungen aktiv sind, als in anderen Staaten, kommt der Kriterienkatalog mit dem Keir Starmer erläutert, wann seine Behörde in Zukunft das Gesetz gegen Beihilfe zum Suizid durchsetzen wird, nüchtern daher. Die Veröffentlichung entsprechender Grundsätze, die nicht bedeuten, dass Beihilfe zum Suizid in Großbritannien künftig straffrei wäre, wurde von den Richtern des House of Lords verlangt. die Existenz dieser Richtlinien erinnert an das kürzlich getroffene Übereinkommen zwischen Zürcher Staatsanwaltschaft und Sterbehilfeorganisationen über die Durchführung von assistierten Suiziden und auch an das so genannte Groningen Protokoll, mit dem Staatsanwälte in den Niederlanden deutlich machten unter welchen Bedingungen sie Euthanasie an Kindern, die auch in den Niederlanden verboten ist, nicht verfolgen wollen: Offenbar gibt es im Bereich der medizinischen Behandlung am Lebensende einen hohen Bedarf, trotz bestehender Rechtsnormen konsensuale Klärungsmechanismen zur Geltung zu bringen.
Kriterien aus dem britischen Katalog, deren Erfüllung dafür spricht, dass Anklage erhoben werden wird:
Das Opfer ist unter 18 Jahre alt; das Opfer war aufgrund von Lernbehinderungen oder geistigen Behinderungen nur eingeschränkt fähig einen eigenen Willen zu bilden; es gab keine klaren, wiederholten Forderungen des Opfers, dass es Suizid begehen wollte; das Opfer hatte keine unheilbare, tödlich verlaufende Krankheit oder schwerste Behinderungen; der Helfer war kein Verwandter, Ehepartner oder enger Freund des Opfers; der Helfe wurde für die Durchführung des Suizids bezahlt oder wurde bezahlt Pflege für den Suizidenten zu leisten; der Helfer war Mitglied einer Gruppe, die als zentrales Ziel hat, den Suizid durch Bereitstellung von Räumlichkeiten zu ermöglichen.
Faktoren, die gegen eine Anklageerhebung sprechen sind demgegenüber (unter anderem): Das Opfer hatte einen klaren, wiederholt geäußerten Wunsch Suizid zu begehen, das Opfer hat den Helfer persönlich um Hilfe gebeten und litt an einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Erkrankung oder Behinderung; der Verdächtige handelte nur aus Mitleid und hatte versucht den Suizidenten vom Suizid abzubringen, der Helfer unterstützte die Polizei bei der Aufklärung der Umstände des Suizids (die vollständige Liste auf Englisch findet sich hier.)
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Danke. Der Mann hat...
Danke. Der Mann hat offensichtlich recht: Wie sooft verhindern Einzelschicksale den Blick aufs große Ganze
Sehr geehrter Herr Tolmein,...
Sehr geehrter Herr Tolmein,
ich schreibe jetzt „out of topic“ und erwarte auch nicht, daß Sie dies veröffentlichen. Was ich nur sagen wollte, ist dies: Daß Sie den Blog moderieren, dagegen ist ja gar nichts zu sagen. Nur haben Sie das Prinzip eines Blogs, entschuldigen Sie, wenn ich es sage, offenbar noch nicht so ganz verstanden, wenn Sie die „Blog“-Einträge ähnlich wie Leserbriefe erst einmal ein paar Tage (oder Wochen?) „schmoren“ lassen.
Zu Ihrem Eintrag zum Amtsgericht Schweinfurt hatte ich einen Kommentar geschrieben. Mittlerweile, habe ich gesehen, ist er auch von Ihnen freigegeben worden. Wie lange das nun schlußendlich gedauert hat, vermag ich nicht nachzuvollziehen, denn ein paar Tage nach Absetzen des Kommentars habe ich schlicht aufgehört nachzuschauen, ob er in der Zwischenzeit veröffentlicht wurde. Ich gehe aber mal davon aus, daß die Leserbriefredaktion in der gedruckten FAZ das etwas schneller geschafft hätte als Sie in Ihrem „Blog“.
Das Prinzip „Blog“ ist geprägt von schneller und spontaner Rede und Gegenrede. Falls Sie es aus Zeitgründen nicht einrichten können, Ihren „Blog“ zeitnah auf neue Einträge zu überprüfen, dann möchte ich dringend dazu raten, von diesem Medium Abstand zu nehmen und zu den gewohnten „normalen“ Artikeln (auch gerne online) zurück zu kehren. Ein „Blog“, bei dem die Einträge nur alle paar Tage mal überprüft und ggf. veröffentlicht werden, verfehlt seinen Zweck.
Mit besten Grüßen
Ihr
Thilo Brandner (schlevian)
Der assistierte Suizid sieht...
Der assistierte Suizid sieht vordergründig wie ein Akt der Menschlichkeit aus, in Wirklichkeit ist er aber eine Flucht der Gesellschaft vor ihrer Verantwortung. Nicht die kostengünstige (Selbst)tötung von Menschen, sondern die Erleichterung des Schicksals schwerkranker Menschen und die Schaffung einer lebenswerten Umgebung ist die eigentliche Aufgabe. Dies ist schwieriger und teurer, aber es ist der einzige Weg für eine Gesellschaft, die sich human nennen darf.
Gruß
Stefan Grieser-Schmitz
[Ob das bei diesem erneuten...
[Ob das bei diesem erneuten Startversuch ankommen wird? Die Technik fordert heraus … ]
Sehr geehrter Herr Dr. Tolmein,
zwischendurch nach kleiner Sonntagslektürezeit Ihnen nur einmal ein großes DANKESCHÖN für Ihre Artikel, Ihre (manchmal – wohl unterwegs – auch recht schnell geschriebenen) Mitteilungen und Denkanstöße, für diesen Blog und vor allem für Ihre kompetente Arbeit, von der auch ncihtbetroffene Leser profitieren.
Uns nicht mehr ganz so jungen Interessierten zeigen Sie, wie – ohne perfekte Beherrschung aller Kommunikationstechniken – sinnvoll auf viele Informationen und Meinungsbeiträge zu hochwichtigen Themen zugegriffen werden kann. Danke.
Mit sonntäglichen Grüßen, Ignatius Th. Kordecki
27. September 2009
@Schlevian - besten Dank für...
@Schlevian – besten Dank für Ihre kritische Anmerkung, mit der Sie insoweit Recht haben, als Sie schnelle Freischaltung anmahnen. Üblicherweise mache ich das sofort. Tatsächlich hat es in Ihrem Fall des Kommentars zum Amtsgericht Schweinfurth-Blog ein technisches Problem gegeben, so dass die Freischaltung spät erfolgte. In diesem Zusammenhang ein Tip: In meinem Blog können, anders als bei manchen anderen Blog auch nicht registrierte Leserinnen und Leser kommentieren – die Beiträge müssen dann aber von mir freigeschaltet werden, was manchmal etwas dauern kann (idealerweise nicht länger als einen Tag). Wenn Sie registriert sind, wird Ihr Kommentar ohne Freischaltung durch mich automatisch veröffentlicht. Registrierung hat also auch Vorteile. Kommentieren Sie also bitte gerne weiter. Beste Grüße
Oliver Tolmein