Zufall kann man es wohl nicht nennen, wenn an einem Tag zwei Quellen mit Fakten zur Zukunft der Pflegeversicherung sprudeln: Aus der schwarz-gelben Koalitionsrunde dringen Informationen, dass die Finanzierung der Pflegeversicherung auf Kapitaldeckung und zusätzliche Prämienzahlungen umgestellt werden soll; das Allensbach Institut hat im Auftrag der Marseille Kliniken erforscht, dass die Bundesbürger Angst davor haben pflegebedürftig zu werden, denn nur zehn Prozent der Befragten fühlen sich für diesen Fall ausreichend abgesichert.
Auch die weiteren, von Allensbach ermittelten Daten machen deutlich, dass die Bundesbürger zumindest in dieser Frage eine realistische Weltsicht haben: 71 Prozent der Befragten sind der Auffassung, das Thema Pflege nehme in der Welt der Politik bislang nicht den Stellenwert ein, den es verlange. Ob ich es beruhigend finden soll, dass auch viele junge Menschen sich schon Sorgen über ihre Pflegeversorgung im Alter machen, weiß ich nicht. Dagegen wundert es mich nicht, dass die gut verdienenden Mittel- und Oberschichten-Angehörigen lieber Eigenvorsorge treiben wollen, während die ärmeren Bundesbürger den Staat in der Pflicht sehen.
Interessant zu klären ist dagegen die Frage, warum eigentlich die Marseille Kliniken diese Umfrage überhaupt in Aufrag gegeben haben? Wollen Sie das Augenmerk der Politik auf ihr Hauptgeschäftsfeld lenken – und wäre das klug? Zumindest solange wohl schon, wie Pflege im Alter mit stationärer Versorgung gleichgesetzt wird und als gute Absicherung der Pflege gilt, wenn man sagen kann, „ich habe ausreichend Geld, um das Heim bezahlen zu können“. Solange nämlich hat Pflege dann den richtigen, hohen Stellenwert in der Politik, wie sie sicherstellt, dass Pflegekonzerne gut verdienen können, ohne dass die Familien ihrer Bewohnerinnen und Bewohner durch die Kosten ruiniert werden.
Das ist natürlich ein wichtiges Ziel. Aber es liegt in der falschen Richtung. Wer sich anschaut, wie Menschen in stationären Einrichtungen ihre Selbstständigkeit verlieren, wie sie, statt dass Ihnen Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht wird, oft dazu genötigt werden, zu Leben, wie es die Heimordnung vorschreibt, weiß, dass die Probleme der Pflegepolitik keine reinen Kostenfragen sind.
Ganz aufschlussreich ist da eine Passage aus der Neuß-Grevenbroicher-Zeitung:
„Offizielle Statistiken gehen davon aus, dass die Zahl der Pflegebedürftigen von derzeit rund zwei Millionen bis 2050 auf vier Millionen steigen wird. Dabei tritt die Pflegebedürftigkeit derzeit im Schnitt im 85. Lebensjahr ein. Die Verweildauer liegt bei durchschnittlich lediglich 300 Tagen.“
Pflegebedürftigkeit wird als Vorstufe zum Tod gesehen, Menschen mit Pflegebedarf gestalten ihr Leben nicht mehr, sie „verweilen“ nur noch passiv darin – Vorstellungen, die übrigens nicht zuletzt auch die Debatte der letzten Monate um Patientenverfügungen munitioniert haben, wo ja auch der Zustand erheblicher Pflegebedürftigkeit regelmäßig mit „nicht lebenswert“, weil „nicht selbstbestimmt“ assoziiert wurde.
Ein wichtiger Schritt wäre daher: Alternativen zu den Heimen entwickeln. Menschen wollen nicht nur zu Hause sterben, sondern auch zu Hause leben. Auch wenn sie Pflege brauchen. Das wird nicht immer kostengünstiger sein. Aber auch Menschen mit Demenz oder körperlich hohem Assistenzbedarf haben das Recht ihr eigenes Leben leben zu können und nicht im Doppelzimmer sich dem Diktat von Heimordnung, Personalknappheit und Unverständnis unterwerfen zu müssen. Mit Schlagworten wie „Bürokratieabbau in der Pflege“ mit denen die FDP sich hervorgetan hat, wird in diese Richtung wenigerreicht. Ein wichtiger Schritt dagegen wäre den § 13 SGB XII abzuschaffen, der unter bestimmten Bedingungen die ambulante Versorgung nachrangig zur stationären Versorgung ausgestaltet.
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Verehrter Herr Tolmein,
auch...
Verehrter Herr Tolmein,
auch auf die Gefahr hin, dass Sie erneut rügen könnten, dass ich im Zweifel den Aspekt der Selbstbestimmung einseitig betone, möchte ich darauf hinweisen, dass die Debatte um die Patientenverfügung nicht überwiegend mit der von in auf den Punkt gebrachten Formel , dass der Zustand erheblicher Pflegebedürftigkeit gleich „nicht lebenswert“, weil „nicht selbstbestimmt“ assoziiert wurde. Gerade aus dem Selbstbestimmungsrecht folgt auch die individuelle Wertung eines jeden Einzelnen, dass das Leben im Zweifel nicht lebenswert resp. lebensunwert sei. Dies ist insofern ein qualitativer Unterschied, weil nach hiesiger Auffassung wir selbstverständlich das Recht haben, für uns die Kategorien des lebenswerten resp. lebensunwerten Lebens zu erschließen, ohne dass wir gehalten wären, uns einem moralischen und ethischen Konsens zu „unterwerfen“. Insofern kann freilich auch das Motiv resp. der Beweggrund für eine Patientenverfügung sich daraus ergeben, dass jemand bestimmte Situationen – gerade mit Blick auf Alterskrankheiten, z.B. Demenz – für nicht lebenswert bewertet und dadurch nur scheinbar im Begriff ist, einen sog. „Dammbruch“ zu begehen. Ein moralischer Konsens wirkmächtiger Gruppen und Institutionen hindert freilich an einer solchen „lebensfeindlichen“ – besser wohl gattungsfeindlichen – Entscheidung rein gar nichts und dies ist exakt ein wesentliches Element grundrechtlicher Selbstbestimmung.