Der Suizid von Robert Enke hat bewirkt, dass über ein Thema an herausragenden Stellen geredet und geschrieben wird, das sonst allenfalls am Rande Platz im öffentlichen Diskurs findet: Depressionen. Und ein weitere Thema, das in den letzten Monaten zunehmend präsent war – Suizid – wird nunmehr aus einer anderen Perspektive erörtert: Nicht als Akt der Selbstbestimmung, für den man fordert, dass der Arzt durch Verschreibung einer tödlich wirkenden Substanz helfen dürfen soll. Suizid in dieser Geschichte erscheint als Konsequenz einer dem Betroffenen verzweifelt erscheinenden Lage, die aber aus anderer Perspektive durchaus nicht aussichtlos wirken muss.
Dass Depressionen und Suizid eng zusammenhängen, ist in der Fachöffentlichkeit bekannt. In der allgemeinen gesellschaftlichen Debatte, so sie das Thema überhaupt streift, wird das Zusammenspiel von psychischer Erkrankung und Wunsch sich selbst zu töten dagegen nur selten wahrgenommen.
Der umgangssprachlich als Selbstmord in die Nähe einer strafbaren Handlung gerückte, andererseits auch als Akt der Autonomie zum Freitod verklärte Suizid, soll hier aber auch nicht pathologisiert werden. Damit sich ein Mensch entschließt, seinem Leben ein Ende zu setzen, kommt meistens einiges an medizinischen und sozialen, biografischen und gesellschaftlichen Faktoren zusammen. Die Geschichte von Robert Enke, soweit sie jetzt bekannt geworden ist, ist nicht nur von seiner Depression geprägt, sondern auch von der Angst darüber zu reden, von der Sorge, sie nicht öffentlich werden zu lassen – und auch wenn jetzt allgemein Anteil genommen wird, waren die Sorgen nicht gänzlich unbegründet. Depressionen wirken für die Betroffenen als Stigma, sie führen viel zu leicht zu Ausgrenzung und Diskriminierung.
Robert Enkes Schicksal ist allerdings nicht charakteristisch: Er war ein junger, leistungsstarker, beruflich und im Leben bei allen Schicksalsschlägen als erfolgreich angesehener Mensch. Es gibt zwar auch viele junge Menschen mit Depressionen. Die meisten Menschen mit Depressionen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen und es viel zu oft auch erfolgreich tun, sind aber alt. Sie sehen für sich keine Perspektive mehr, weil sie das Altersheim fürchten, weil sie keine Alternativen kennen, weil sie sich nicht Wert geschätzt fühlen. Viele dieser Menschen reden nicht über ihre Depressionen -ihre Depressionen werden auch nur in sehr geringem Umfang erkannt, weil ihr Todeswunsch der Außenwelt nachvollziehbar erscheint: „So würde ich auch nicht leben wollen.“
Wenn jetzt – auch infolge des Tods von Robert Enke – offener über Depression geredet und damit eine Voraussetzung dafür geschaffen wird, sie erfolgreicher behandeln und Selbsttötungen verhindern zu können, ist das ein wichtiger Schritt. Er sollte allerdings nicht gegangen werden, ohne auch an die zu denken, über die zu reden und sich für sie einzusetzen, deren Depressionen allgemein für erklärlich gehalten werden: alte Menschen, chronisch kranke Menschen, Menschen mit Behinderungen.
Die Entwicklungen in der Schweiz und in den Niederlanden, wo sich zeigt, dass die Legalisierung des Zugriffs auf das Leben schwerkranker Menschen, stets auch dazu führt, dass der Ruf nach Möglichkeiten lauter wird, auch psychisch kranken Menschen aus dem Leben helfen zu dürfen, sollten zudem ein Anlaß sein, am Rande der Beschäftigung mit dem Schicksal von Robert Enke und seiner Familie auch über die Bedeutung der Ermutigung zum Leben im bioethischen Kontext nachzudenken.
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Betroffene Lokführer tun mir...
Betroffene Lokführer tun mir auch Leid, wie in diesem Fall. Aber ein/e Depressiv Kranke/r denkt sicher nicht darüber nach, das ein unschuldiger mit reingezogen wird. Der Hauptgedanke ist hier, wie man am leichtesten aus dem Leben scheiden kann. Fakt ist, dass heute die Gesellschaft mit ihrer Ellbogenmentailtät und dem Mobbing in manchen Unternehmen hauptschuldig sind, um eine Depression aufkeimen zu lassen. Der Mensch tritt in den Hintergrund und nur Leistung zählt. Arbeitgeber die Altersgrenzen für Einstellungen festsetzen und Niedrigstlöhne zahlen, sollten sich überlegen, ob sie vielleicht unbewusst dazu beitragen in der Gesellschaft die Volkskrankheit „Depression“ entstehen zu lassen! was verursacht denn so eine Geschäfstpolitik bei den Betroffenen? Das Selbstwertgefühl wird beeinträchtigt. Denn was denkt man sich, wenn man hunderte Bewerbungen versendet und nur noch Absagen (trotz guter Ausbildung – Fortbildung etc.) bekommt, unter anderem mit dem Hinweis zu alt zu sein. Die gesamte Gesellschaft sollte ihr Verhalten ändern, aber jeder ist nur mit sich selbst beschäftigt. Ich denke auch, dass es jetzt eine Zeit lang um dieses Thema geht, aber man schnell wieder in die alten Verhaltensmuster zurück verfällt. Man kann die Gesellschaft nicht ändern, sie kann es nur selbst.
Wir sind auch die Kranken,...
Wir sind auch die Kranken, nicht nur die Suizidalen.
Die Gesellschaft ist nicht...
Die Gesellschaft ist nicht fähig über Depressionen zu reden. Depressionen sind Merkmale der „Schwächeren“. Wer identifiziert sich schon gerne mit den Schwächeren? In einer Leistungsgesellschaft ist jede Schwäche eine willkommene Einladung einen Menschen aus dem Rennen herauszukicken. Also Vorsicht! Jeder ist seines Glückes Schmied. Wer es nicht schafft, hat verloren. Leider.
Robert Enke wollte nicht...
Robert Enke wollte nicht wirklich sterben. Er wollte nur nicht mehr leben.
Nun – ich habe lange mit mir...
Nun – ich habe lange mit mir gerungen, ob ich einen Kommentar verfasse oder nicht! Das Schicksal Enkes ist ein Schicksal unter vielen und ich möchte unabhängig von der damit verbundenen Tragik nur zu bedenken geben, dass nicht gleich alle Suizidenten wieder für „depressiv“ oder in einer anderen Art und Weise „pathologisiert“ werden, so dass kein Raum mehr für die aufkeimende Debatte über die ärztliche Assistenz beim Suizid verbleibt. Hier sind Differenzierungen zwingend notwendig, die zu entfalten hier mir allerdings nicht der rechte Ort ist und zwar unabhängig davon, dass ich den Blog v. O. Tolmein durchaus schätze, auch wenn in ihm zeitweilig „Botschaften“ transportiert werden, die ggf. einer kritischen Reflexion bedürfen.
Hätte sich Robert Enke...
Hätte sich Robert Enke vertrauensvoll an Löw gewendet, und Löw hätte gesagt: Du bist trotz Deiner Ängste meine Nr. 1, soweit Du – und das hast Du drin – Deine Leistung bringst, und hätte sich Enke vertrauensvoll an das Jugendamt gewendet, und das Jugendamt hätte gesagt: „Sie als menschliches Vorbild können Ihre Tochter selbstverständlich trotz Ihrer Krankheit behalten, kein Problem.“ – : Er hätte sich wohl nicht getötet. Reden wir nicht nur – was auch sehr bedeutend ist – von der Krankheit Depression, sondern reden wir auch mehr davon, wie wir diese exogenen Faktoren – manchmal leicht – beheben können! Das können wir aber nur, wenn wir die Verschiedenheit aller Menschen anerkennen und auf jeden Einzelnen individuell (zu) reagieren (bereit sind).
Ich möchte nochmals die Frage...
Ich möchte nochmals die Frage wagen: Wenn ein Mensch weiß, dass er seit mindestens 6 Jahren schwer an Depressionen erkrankt ist, die er nicht in den Griff bekommt, handelt er dann wirklich allen Ernstes veranwortungsvoll, wenn er sich um eine Adoption bewirbt?
Als ältestes Kind eines schwer depressiven Vaters muß ich verneinen.
Das Leiden der Kinder seelisch erkrankter Menschen ist so unendlich groß,
viele schaffen es nie, ein eigenes Leben ohne Co-Abhängigkeit zu führen.
Die Bewegung “ Erwachsene Kinder seelisch kranker Eltern“ bräuchte solchen Zulauf , solche Medien Hype wie jetzt in Hannover.
Ich kann auch Frau Enke nicht einfach so freisprechen : „Wir schaffen das schon“ – und dann ein Kind – das ist schon recht grenzwertig.
Auch kann ich immer noch kein entschuldbares Verhalten darin sehen, zwar noch so klar zu sein, einen Entschuldigungs-Abschiedbrief auszuformulieren, dann aber den „schnellsten“ und „einfachsten“ und “ bequemsten“ Weg zu nehmen, direkt vor der Haustür, wo Nachbarn und Familien fast täglich vorbeifahren.
Alles recht verantwortungslos. Auch wenn ich dafür wieder von Fans beschimpft werde. Was die wohl gesagt hätten, wenn er sich am 96-Schal am Torbalken aufgehängt hätte…
Mein Vater ist immerhin ohne Belästigungen Dritter in die stürmische Nordsee gegangen –
Ich setzte mich seit Jahren...
Ich setzte mich seit Jahren für Aufklärung über psychische Störungen ein. Es fehlt schlicht an Wissen über Depressionen oder andere Störungen und es ist immer noch schwierig, Ansprechpartner zu finden. Ich bin zwar selber Arzt in einer psychosomatischen Fachklinik. Aber ich kann Patienten gut verstehen, wenn sie sich von Ärzten und Therapeuten in ihrer akuten Krankheitsphase nicht erreicht fühlen. Die Denkverzerrungen der Depressionen, aber auch die immer wieder und wieder einsetztende emotionale Qual wird auch durch Gespräche oder Antidepressiva nicht sofort besser. Sicher hätte man Enke aus dem Verkehr ziehen müssen, wenn man es nur geahnt hätte. Sich über die Gesellschaft Gedanken zu machen ist schön und gut. Fangen wir jeweils bei der Info für jeden Einzelnen an !
Sucht man in dem...
Sucht man in dem Leistungsprinzip des Spitzensports oder der Vermarktungsorientierung des Profifußballs, als Beispiele für die Entwicklung unserer Gesellschaft, ausschließliche Ursachen für eine Erkrankung an Depression, so muss auch hier, wie in jedem Bereich unserer Gesellschaft klar sein, dass letztendlich jeder für sich selbst verantwortlich ist. Dies bezieht sich sowohl auf die Konsequenzen des eigenen Handelns als auch auf die Rücksichtnahme auf sich selbst. Die Anforderungen die an einen Menschen gestellt werden, stehen in einem Verhältnis zu einer Gegenleistung; sei es durch Geld oder Geltung. Ist man der Meinung, dass dieses Verhältnis von Anforderung und Entlohnung in einem Missverhältnis steht oder die jeweiligen Anforderungen nicht zu bewältigen sind, besteht die Eigenverantwortung und mitunter auch der Kampf darin, sich diesen Anforderungen zu entziehen. Eine Möglichkeit dies zu tun zeigen die Beispiele Sebastian Deisler oder auch Lukas Podolski, eine andere das tragische Beispiel Robert Enke. Eine Bewertung dieser Beispiele scheint für mich einfach und doch ist sie es für manch anderen nicht.
Ob der Suizid aufgrund von Depressionen ein Ausdruck von Eigenverantwortung ist, oder umgekehrt durch Depressionen jegliches Gefühl für Eigenverantwortung verloren geht, ist eine Fragestellung an unsere Gesellschaft. Der Umgang mit der Krankheit Depression und Ihren möglichen Folgen wird wohl erst dann richtig erfolgen können, wenn wir uns mit der Klärung dieser Frage beschäftigen.
bin selbst seite jahrzehnten...
bin selbst seite jahrzehnten depressiv, suizidale gedanken und handlungen gehören zum alltag. der wunsch zu gehen ist allgegenwärtig. der wille zu leben existiert quasi nicht mehr, folgen sind: autodestruktives verhalten (alkohol, drogen, sozialer rückzug…)
ich hoff ich habs bald hinter mir, das ganze ist zuweilen unerträglich.
jürgen b.