Biopolitik

Suizidbeihilfe, Schweizer Grenzen und die Vernichtung der Juden

Eine Home-Story der ganz besonderen Art hat die renommierte englische Tageszeitung „Guardian“ über Dignitas-Chef Ludwig Minelli veröffentlicht. „Inside the Dignitas House“ ist ein sehr ausführlicher, präziser, wenngleich eher unkritischer Bericht über den Sterbehelfer-Alltag des Schweizer Suizid-Papstes. Immerhin: Ein paar Informationen über die in die Tausende gehenden Kosten des assistierten Suizids werden gegeben und ein Eindruck über das Ambiente des Sterbehauses mitten im Industriegebiet entsteht.

Versteckt im Fließtext von Amelia Gentleman (einer früheren Indienkorrespondentin, die sich heute in ihrer Berichterstattung auf Menschenrechtsfragen spezialisiert) ist eine erhellende Äußerung Minellis: „Im Zweiten Weltkrieg haben sie die Grenzen für Juden geschlossen und Juden, die kommen wollten, wurden zurückgewiesen und in Konzentrationslagern ermordet. Jetzt haben wir Menschen, die ihre Leben in der Schweiz beenden wollen und sie werden zurückgeschickt und gezwungen weiter zu leben. Wo liegt der Unterschied? Was ist grausamer?“

Das freundlichste Verständnis dieses Satzes, den die englische Autorin gelassen als „inflammatory comment“ (aufrührerische Bemerkung) qualifiziert, setzt voraus, dass Minelli NS-Vergleiche offenbar für rhetorisch besonders wirksam und deswegen nach Belieben einsetzbar hält. Eine andere Deutung hat die „Deutsche Hospizstiftung“ , die die Bemerkung wach aufgegriffen hat und den Antisemitismus Minellis geißelt. Man kann sich sicherlich darüber streiten, ob nun Außenminister Westerwelle sich tatsächlich aufgerufen fühlen sollte, sich einzuschalten. Der Verweis lenkt immerhin die Aufmerksamkeit darauf, dass die FDP in der Vergangenheit eine gewisse Affinittät zu „Dignitas“ verspürte. Das spielt heute nicht nur eine Rolle, weil man sich fragt, wie die Koalition das strafbewehrte Verbot der gewerbsmäßigen Suizidbeihilfe (das in der Schweiz übrigens leer läuft) umsetzen will, sondern auch, weil wir ja nunmehr einen Gesundheitsminister aus der FDP haben (der auch katholisch ist: eine brisante Mischung).

So oder so: offenbar gehen – zumindest bei einer Leitfigur der deutschsprachigen Sterbehilfebewegung wie Minelli – Geschichtsvergessenheit und rückhaltloses Engagement für die Ausweitung von Sterbehilfemöglichkeiten Hand in Hand – kein überraschender, aber doch ein erwähnenswerter Befund.

Mehr zu den bemerkenswerten Entwicklungen in der Schweiz, die auf eine Eindämmung der Aktivitäten von Sterbehilfeorganisationen hinauslaufen könnten, in den nächsten Tagen in der Printausgabe. Hier schon mal ein Link zum entscheidenden Bericht des Schweizer Justiz- und Polizeidepartements über die tatsächlichen Entwicklungen in diesem Bereich, auf dessen Basis die Empfehlungen zur Einschränkung der Möglichkeiten zur Suizidbeihilfe verfasst worden sind.   

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