„Vernehmlassung“ ist schon ein schönes schweizerdeutsches Wort. Es handelt sich dabei um ein streng formalisiertes Verfahren, eine Art Anhörung gehobener Qualität (das deutsche Recht bietet dergleichen nicht), Gegenstand sind stets Angelegenheiten von großer Bedeutung: Verfassungsänderungen, internationale Abkommen, Gesetzesänderungen von erheblicher Tragweite…. Regelungen beispielsweise wie das geplante Gesetz über (die Einschränkungn der) organisierten Beihilfe zum Suizid.
Weil im Recht auch oder vielleicht noch weitaus stärker (wenngleich weniger deutlich formuliert) als im Design oder in der Architektur in rechtlichen Verfahren der Grundsatz „form follows function“ gilt, kann man den Ärger der organisierten Suizidbeihilfevereine „Dignitas“ und „Exit“ nachvollziehen, dass sie – anders als 150 andere Verbände, Religionsgemeinschaften und Interessengruppen – offiziell nicht zur „Vernehmlassung“ über die geplanten gesetzlichen Regelungen zur Suizidbeihilfe eingeladen wurden. Die vor kurzem nachgereichte Erklärung der zuständigen Bundesrätin, man habe „Exit“ und Dignitas“ „vergessen“, wirkt da nicht sonderlich überzeugend. Immerhin: Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hat sich nunmehr entschuldigt. „Exit“ seinerseits gibt sich beleidigt und beklagt damit habe sich „die Zeit für die Vernehmlassungsantwort für die direktbetroffenen Sterbehilfeorganisationen“ erheblich verkürzt. Angesichts der jetzt schon ausführlichen Erklärungen von Dignitas und Exit zum Thema und der noch bis Ende März 2010 laufenden Frist, dürfte das – jenseits aller Fragen von politischem Stil und fairem Verfahren – kein allzu großes Problem darstellen.
Dass der schweizer Bundesgesetzgeber, bei Mängeln seiner Darstellung und der Gesetzentwürfe im Detail, grundsätzlich in die richtige Richtung geht, wenn er die organisierte Suizidbeihilfe wegen der ihr innewohnenden Dynamik erschweren möchte, dokumentiert eindrucksvoll eine Auseinandersetzung um „Dignitas“ (die problematischere der beiden großen Organisationen) und ein Interview des selbstdarstellungsfreudigen Gründers Ludwig Minelli im April 2009 in der BBC. Der schweizer „Tagesanzeiger“ fasste damals das Interview zusammen:
„Der Dignitas-Chef bezeichnete den Freitod im Interview als «wunderbare Chance», die nicht nur todkranken Menschen mit schweren Krankheiten vorbehalten sein soll. Jedem Menschen mit intakten geistigen Fähigkeiten stehe es frei, eine Suizidunterstützung in Anspruch zu nehmen. «Der Freitod ist eine gute Möglichkeit, um einer Situation zu entkommen, die unabwendbar ist. Eine unheilbare Krankheit ist dafür keine Voraussetzung.» Als Vorteil nannte Minelli, dass der assistierte Suizid auch finanziell Sinn mache, da er zu grossen Einsparungen im Gesundheitswesen führe.
„Dignitas“ replizierte mit einer Stellungnahme und warf der BBC vor, seine Sätze „aus dem Zusammenhang“ gerissen zu haben. Die selbst vorgenommene Rekonstruktion des Zusammenhangs ergibt allerdings kein wesentlich anderes Bild. Zwar erläuterte Minelli, wie schon oft, dass erste Aufgabe der Suizidbeihilfe wäre eine offene Diskussion zu bewirken, die auch zur Abklehr von der Suizididee führen könnte, im Kern blieb er aber bei der Fomulierung der „wunderbaren Möglichkeit“ und nahm auch von der Idee im Prinzip jedem und jeder Beihilfe zum selbstgewählten Tod leisten zu wollen, nicht Abstand. Auch die These, dass assistierter Suizid finanziell „Sinn macht“ wird in der Erklärung von „Dignitas“ ausdrücklich aufrecht erhalten – als Bezugsgröße werden die (sehr grob auf 1,3 bis 2,4 Milliarden Franken geschätzten Kosten genommen, die durch gescheiterte Suizidversuche (und anschließende Behandlungen und Pflege) aufgewendet werden müssten. Keinen Gedanken verschwendet „Dignitas“ dabei an die Menschen, die nach einem gescheiterten Suizidversuch weiterleben und froh sind, weiter leben zu können (auch wenn sie vielleicht bestimmte Kosten verursacht haben oder verursachen).
In dem BBC-Interview ging es auch um den geplanten Suizid einer Kanadierin, die ihrem krebskranken Mann mithilfe von Dignitas in den Tod folgen will, wenn dieser stirbt. Minelli kündigte an, diesen Fall exemplarisch durchfechten zu wollen.
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<p>Bei aller Liebe zu...
Bei aller Liebe zu persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung: Der Freitod als „eine gute Möglichkeit“ zu entkommen zu bezeichnen, ist in meinen Augen schon sehr grenzwertig.
Ich denke da an den Ausspruch des fantastischen Gregory House: „Living in agony sucks marginally less than dying in it“, auch wenn der hier vielleicht nicht vollkommen passt.
Mit schweizer Offenheit...
Mit schweizer Offenheit präsentiert Herr Minelli Dignitas als Wirtschaftsunternehmen, welches sich neue Kundenschichten – hier sind es Lebensmüde, welche keine tödliche Krankheit haben – erschließen möchte. Außerdem weist er auf den finanziellen Nutzen seines Unternehmens für die schweizer Gesellschaft hin. Leider wird wohl auch dieser Artikel den deutschen Befürwortern der Sterbehilfe nicht die Augen öffnen, dass sie nicht für eine angebliche Selbstbestimmung der Menschen seinen Tod frei zu wählen sondern schlicht für die Geschäftsidee des gewerblich organisierten Selbstmordes kämpfen.
Gruß
SGS
Wenn es um das Töten...
Wenn es um das Töten menschlichen Lebens geht, haben wir in Deutschland uns ja seit nunmehr zwei Generationen engste Grenzen auferlegt. Wir führen keine Kriege (vielleicht ist Afghanistan ja doch bloss eine aberratio), haben keine Todesstrafe, und selbst Abtreibung gilt juristisch als Unrecht und es wird lediglich von Strafe abgesehen. Und die Hälfte unserer jungen Männer lernt nicht Leute totschiessen, sondern findet es besser, Kinder, Alte, Kranke, Behinderte, und andere „wirtschaftlich Wertlose“ zu pflegen – und die Mädchen finden solche Jungs genauso cool wie alle anderen. Das gibt’s nicht überall, auch nicht bei unseren Nachbarn.
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Man muss sich das einmal klarmachen: Ein ganzes Land, ein großes und nicht ganz einflußloses noch dazu (mächtig sind wir ja nicht so gern), hat gezeigt, dass man als wichtiger Staat in der Welt seinen respektierten Platz haben kann, ohne Leute totzumachen. Wenn es etwas gibt, woran Deutschland festhalten sollte, dann ist es genau diese seit 1945/89 neugeschaffene Tradition: Als Staat das Leben der Menschen zu garantieren. Und dazu können wir ein bißchen auch das einsetzen, was uns unser Gewicht an Einfluß (nicht: Macht) verschafft. Es wird nicht getötet, und wer es trotzdem tut (seien es „Indianer“ oder nicht), bekommt nicht unsere nicht vorhandene „Kavallerie“ zu spüren, sondern Schlimmeres: Nämlich Steuerfahndung und Staatsanwalt. Das ist Zivilisation, das Töten ist Barbarei.
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„Du sollst nicht töten“. Dahinter steht ein Punkt. Dahinter steht nicht, dass „das Nähere von einer Durchführungsbestimmung geregelt wird und Ausnahmen in Absatz x bis y geregelt sind, …“
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Dignitas ... hin oder her,...
Dignitas … hin oder her, selbstbestimmtrer Suizid in auswegslos empfunden Situatione sollte ein selbstverständliches Menschenrecht sein und jede Hilfe, dies schmerzfrei und würdevoll machen zu können ist willkommen,,,statt siehe Sportler Enke, sich vor einen Zug werfen zu müssen und damit anderen Qualen zu bereiten.
Lieber Heinz,
Sie beschreiben...
Lieber Heinz,
Sie beschreiben das Problem sehr korrekt, indem Sie die Formulierung „selbsbestimmter Suizid“ benutzen. Gerade an der freien und unbeeinflussten Selbstbestimmung kann man zweifeln, wenn man die Erfahrungen aus den Niederlanden sieht. Da wird ein starker Erwartungsdruck aufgebaut, sich fürs sozialverträgliche und erbenerfreuende Frühabgelebtwerden zu entscheiden. Dann hat man dann schnell mehr Leuten schneller auf dem Leben „geholfen“ als die das eigentlich wollten, damit man den „andern doch nicht zur Last fallen“ möge. Tun wir damit eigentlich denen einen Gefallen, die sich da ans Töten machen?
Darf ich fragen: Wie alt sind sie? Wie gesund? Wie sind Ihre finanziellen Rücklagen für eine gute Pflege? Wie scharf sind Ihre Erben auf Ihr Vermögen? Und wenn es soweit ist: Wie sieht es dann noch mit Ihrer Selbstbestimmung aus?
Die Saat der Ethikfürsten im...
Die Saat der Ethikfürsten im 21. Jahrhundert scheint aufzugehen: das Selbstbestimmungsrecht des Patienten wird ausgehöhlt und selbsternannte Ethikfürsten lassen uns nicht nur an ihrer wertkonservativen Moral und Ethik teilhaben, sonern versuchen diese, als verbindliche „Werte“ zu etablieren.
Das Philosophieren über den „Last-Diskurs“, das „sozialverträgliche Ableben“ und einiges mehr kommt über ein gewisses Stammtischniveau nicht hinaus. Entscheidend ist und bleibt, dass in ca. 3 – 5% auch die Palliativmedizin ihre Grenzen erfährt, wenn es darum geht, ggf. unerträgliches Leiden zu mildern; hier wäre dann der Weg in eine terminale Sedierung vorgezeichnet, in der Hoffnung, der „Tod“ würde alsbald einkehren.
Nochmals: es geht derzeit um die Frage, ob die ärztliche Assistenz beim Suizid eines Schwersterkrankten eine Option sein kann, die nicht nur human, sondern ggf. auch ethisch verpflichtend ist! Die Diskussion – jedenfalls auf Seiten der Befürworter einer eng begrenzten Sterbehilfe – wird weitaus seriöser geführt, als dies in den Medien und in manchen Fachbeiträgen den Eindruck hat. Herr Minelli steht nicht (!) für all diejenigen Diskutanten, die hier um eine Lösung nachsuchen, mal ganz davon abgesehen, dass ich es auch für reichlich unverschämt erachte, mit einem Argument aus der unrühmlichen deutschen Vergangenheit konfrontiert zu werden, dass letztlich nur dazu dienen soll, die Befürworter der Sterbehilfe zu diskreditieren. Es mag unpopulär sein, hier im Blog darauf hinzuweisen, dass unsere gemeinsame Vergangenheit uns nicht daran hindert, gegenwartsbezogene Debatten zu führen: wir sind nicht verpflichtet, irgendein „Erbe“ anzutreten und da ich persönlich der festen Überzeugung bin, dass unsere Verfassung gegenüber den gemachten Erfahrungen in der Vergangenheit verfassungsfest ist, erscheint mir dann auch der im Übrigen nicht selten unreflektierte Hinweis auf die „Euthanasie-Praxis“ lediglich die Funktion eines „Totschlag-Arguments“ zu erfüllen.
Der Rubikon ist jedenfalls in dem Maße zu überschreiten, als dass hiermit den Schwersterkrankten die Möglichkeit eröffnet wird, selbstbestimmt frei verantwortlich zu sterben und sofern diese hierzu selbst nicht in der Lage sind, mag ihnen ärztliche Suizidhilfe gewährleistet werden, die im Übrigen dann als Kassenleistung zu vergüten wäre.
Sehr geehrter Herr Barth, Ihre...
Sehr geehrter Herr Barth, Ihre Kommentare als vehementer Verfechter des „selbstbestimmten Sterbens“ in diesem Blog sind langsam, mit Verlaub gesagt, einfach nur nervig und kaum noch Ernst zu nehmen. So wie Sie bei jeder Gelegenheit unter Herrn Tolmeins Beiträgen zum Thema Sterben permanent kritisieren, dass Sterbehilfe- / Suizidbeihilfe-GegnerInnen Anderen ihre Meinung überstülpen wollen und kritisieren, diese würden glauben, sie hätten die Wahrheit gepachtet, machen Sie das Gleiche in grün – nur eben pro Sterbehilfe/Suizidbegleitung. Sie sprechen von „selbsternannten Ethikfürsten“ deren „Saat langsam aufgeht“ und erheben sich im Grunde genau zu solch einem „Ethikfürst“. Einem, der offenbar maßlos von sich und seinen Argumenten als das einzig Wahre überzeugt ist und der Anderen dabei gelegentlich die Kompetenz abspricht. Hauptsache Sie sind kompetent genug, um dazu etwas zu sagen/ zu schreiben… Hilfreich in den Debatten zu Fragen am Lebensende finde ich Ihre Beiträge schon länger nicht mehr. Aber erspart werden uns Ihre Beiträge leider auch nicht bleiben, befürchte ich.
Zur inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Beitrag von Herrn Tolmein kann ich mich nur den Kommentatoren davor (mit Ausnahme von Heinz und Herrn Barth) anschließen.
@Genervter: Sofern der...
@Genervter: Sofern der BLOG-Betreiber nicht von der ihm exklusiven Möglichkeit Gebrauch macht, den einen oder anderen Kommentar nicht zu veröffentlichen, liegen Sie durchaus richtig mit Ihrer Einschätzung, dass Ihnen weitere Beiträge von mir nicht erspart bleiben. Keineswegs habe ich die „Wahrheit“ gepachtet, sondern ich vertrete schlicht eine Rechtsauffassung, über die man/frau sicherlich diskutieren kann. Andererseits fällt eben halt auf, dass allen voran die Ethiker eine wissenschaftstheoretische Auseinandersetzung meiden und hierbei sehr virtuos mit dem Verfassungsrecht umgehen. Dies darf und muss gerügt werden. Ob meine Beiträge in der Debatte zu Fragen am Lebensende hilfreich sind, mag ein Jeder selbst beantworten, mal ganz abgesehen davon, dass diese eher zur Reflexion über ein zentrales Thema gerade unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten betrachtet einladen sollen. Im Übrigen spreche ich nicht Anderen die Kompetenz ab, sondern rüge vielmehr den unsäglichen Umstand, dass wenn und soweit sich andere Professionen zum Recht einlassen, diesbezüglich auch ein gewisser Standard zu wahren ist – ein Aspekt, der letztlich auch von einigen anderen Autoren so gesehen wird.
Dass es gelegentlich nicht (!) im Interesse der Diskutanten liegt, sich auch mit unbequemen Positionen thematisch auseinanderzusetzen, erfahren auch andere Autoren, die schlicht in der Debatte mit ihren Positionen ausgeblendet werden. Da darf denn schon mal kritisch nachgefragt werden, warum dem so ist? Meine Analyse dazu ist jedenfalls die, dass es nicht im Interesse bestimmter Kreise liegt, das Thema Sterben tatsächlich zu enttabuisieren und von daher haben es kritische Zeitgenossen durchaus ungleich schwerer, sich entsprechend Gehör zu verschaffen. Es scheint da schon ein wenig einfacher zu sein, Botschaften im verfassungsrechtlichen Freiraum zu transportieren, als angemessen und fundiert zu argumentieren.
Abschließend sei es mir gestattet, Sie darauf hinzuweisen, dass die diesseitige Position zur ärztlichen Assistenz beim Suizid einem Grundrechtsverständnis geschuldet ist, in dem die Grundrechte in erster Linie als individuelle Rechte Geltung beanspruchen und – dies darf Sie nicht verwundern – im Übrigen auch der ständigen Rechtsprechung des BVerfG und der derzeit immer noch herrschenden Lehre entspricht! Insofern erhebe ich mich nicht zum „Ethikfürsten“, sondern erinnere gelegentlich im Diskurs an die Bedeutung der Grundrechte, zu denen im Übrigen auch Art. 4 GG gehört und – auch dies dürfte verfassungsrechtlich unbestritten sein – den standesethischen Proklamationen oder Richtlinien deutliche Grenzen setzt, die zu akzeptieren aber offensichtlich den Standesvertretern einige Mühen bereitet.