Biopolitik

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Babyklappen, Fans und Findelkinder

| 3 Lesermeinungen

Ich weiß nicht, wie es sonst so um den Hamburger Sozialsenator Dieter Wersich steht, ich weiß vor allem nicht, warum der Arzt, der sich auf seine...

Ich weiß nicht, wie es sonst so um den Hamburger Sozialsenator Dieter Wersich steht, ich weiß vor allem nicht, warum der Arzt, der sich auf seine altsprachlich-humanistische Schulausbildung etwas zugute hält, Sozialsenator geworden ist. Immerhin habe ich handfeste Indizien dafür, dass es nicht seine Liebe zur Sprache ist, die ihn ins politische Amt gebracht hat. „Ich bin kein Fan von Babyklappen“, verkündet der ciceroferne CDU-Politiker neuerdings engagiert, als ob jemand vermutet hätte, dass er mit „Babyklappen“-Schal durch die Gegend läuft, bei jeder Gelegenheit Fähnchen schwenkt und sich nur in der Gemeinschaft lautstarker Gleichgesinnter so richtig zu Hause fühlt.

Anlass zu seiner Nicht-Fan-Gesinnungsbekundung hat die Fertigstellung eines Gutachtens des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht gegeben, das seine eigene Behörde bezahlt hat. Das 49 Seiten umfassende Werk arbeitet bemerkenswert unaufgeregt und systematisch heraus, was der Ethikrat vor einigen Wochen bereits auf seine Art in die Debatte geworfen hatte: Dass die Art und Weise, wie Babyklappen betrieben werden, gegen geltendes Recht verstößt und in dieser Form auch nicht hinzunehmen ist. Im Mittelpunkt der Argumentation des Deutschen Instituts für Jugendhilfe und Familienrecht steht dabei Paragraph 24 des Personenstandsgesetzes:

§ 24 Findelkind

Wer ein neugeborenes Kind findet, muss dies spätestens am folgenden Tag der Gemeindebehörde anzeigen. Diese stellt die erforderlichen Ermittlungen an und benachrichtigt von dem Ergebnis alsbald die zuständige Verwaltungsbehörde.

Während das vielschichtige Gutachten des Ethikrates in erster Linie zum Gesinnungsstreit herausforderte, wollte Sozialsenator Wersich mit dem Gutachten des Deutschen Instituts in einer Art selbstreferenziellen Akt seine Behörde zum Handeln motivieren. Das erreicht er wohl – und provoziert damit in erster Linie „Sternipark e.V.“, die sich vermutlich auch nicht als „Fans von Babyklappen“ fühlen, aber sicher – in aller Bescheidenheit – doch als deren erste und beste Betreiber. „Sternipark“ informiert über seine Babyklappen (und anderes) unter der sprachinnovativen Überschrift „Findelbaby“, was die stellvertretende Geschäftsführerin „Sternipark“ nicht davon abhält gegenüber Medien darauf zu beharren, dass es sich bei den in der Babyklappe abgelegten Findelbabys gerade nicht um Findelkinder handele, sondern um „Personen mit ungewissem Personenstand.“ (Paragraph 25 Personenstandsgesetz). Der Unterschied ist gravierend, denn „Personen mit ungewissem Personenstand“ werden nicht gefunden, weswegen hier auch nichts vom „Finder“, den es ja nicht gibt, angezeigt werden muss. Der Unfug der Rechtsauffassung von „sternipark“ wiegt allerdings nicht weniger schwer – und das nicht nur, weil „Sternipark“ ja selbst den Begriff des „Findens“ durch den Gebrauch des Wortes „Findelbaby“ eingeführt hat. In der Begründung des Paragraphen 25 steht – eigentlich unmißverständlich –

„Im Gegensatz zum `Findelkind‘ handelt es sich allgemein nicht um eine Person, die wegen ihres Alters hilflos ist. Die Anwendung der Vorschrift setzt voraus…., dass der Betroffene (also die Person mit ungewissem Personenstand, O.T.) alles in seinen Kräften stehende getan hat, um zu einer Klärung beizutragen.“   

Dass zwei Juristen drei Meinungen hätten, ist zwar eine gerne kolportierte Beobachtung, auch im Recht gibt es allerdings einige Formulierungen, die ganz allgemein und mit guten Gründen als unzweideutig gelten. Hier haben wir so einen raren Fall…. Mit dem klaren Ergebnis, dass die Vorgehensweise von „sternipark e.V.“, nämlich Babys die bei ihnen in die Klappe gelegt werden nicht zu melden, sondern in von „Sternipark“ ausgewählte Pflegefamilien zu geben, und dort bis zu acht Wochen jeder Kontrolle außer der eigenen zu entziehen, rechtswidrig ist.

Apropos Recht und Gesetz. Die „Findelbaby“-Seite mit der markigen Überschrift „Keine Fragen, keine Zeugen, keine Polizei“ trägt auch ein Motto:

„Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.“

Tatsächlich steht der schöne Satz in Artikel 6 Absatz 4 des Grundgesetzes. Ich möchte jetzt hier gar nicht erörtern, warum eigentlich Väter diesen Anspruch nicht haben, obwohl das durchaus eine Erörterung wert wäre. Mir leuchtet aber nicht ein, wieso diese Vorschrift untermauern soll, dass Betreiber einer Babyklappe ihrer Pflicht nach Paragraph 24 Personenstandsgesetz nicht nachkommen müssen – einmal abgesehen davon, dass die Personen, die dort Babys ablegen, wenn sie denn Frauen und deren Mütter sein sollten (was ja – keine Fragen, keine Zeugen, keine Polizei – schwerlich auszumachen sein wird, gerade ihren Status als Mütter lieber aufgeben wollen. Artikel 6  Grundgesetz hat denn auch einen Absatz 2, der sich als Motto der Findelbaby-Seite deutlich weniger gut eignet, den sich der Nicht-Fan Dieter Wersich dafür aber auf sein T-Shirt drucken lassen könnte:

„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“

Schön übrigens auch, dass an dieser Stelle des Rechts die Eltern einen gemeinsamen Auftritt haben.

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3 Lesermeinungen

  1. rene talbot sagt:

    Hurra, die anonyme Geburt ist...
    Hurra, die anonyme Geburt ist da
    Wunschkind – Ein Plädoyer für Adoption und gegen Zwangs-Elternschaft
    Im Frühjahr diesen Jahres hat der europäische Gerichtshof mit einer Mehrheit von zehn zu sieben eine Entscheidung zur anonymen Geburt gefällt, die aufhorchen lässt. Geklagt hatte eine Französin, die per Gerichtsentscheid Einsicht in ihre Geburtsakten bekommen wollte, um die Identität ihrer leiblichen Mutter zu erfahren. Höchstrichterlich wurde jedoch bestätigt, dass die französische Regelung zur gesetzlich anerkannten Möglichkeit der anonymen Geburt in keinem Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht und damit die Klage zurückgewiesen. Die informelle Selbstbestimmung eines Kindes findet also seine Grenze an der informellen Selbstbestimmung seiner leiblichen Eltern, ihrem Recht auf Anonymität unter gewissen Umständen.
    Vielen ist wahrscheinlich nicht bewusst, welche Tragweite diese Entscheidung hat und welche enormen Chancen darin verborgen liegen. Denn sobald man den Gedanken einer Entkoppelung von leiblich/biologischer Entstehung und Elternschaft zulässt, rührt man an den Kern von Rassismus, Biologismus und vielfacher Diskriminierung in der Gesellschaft. Wer kennt nicht die Geschichte von Brechts kaukasischem Kreidekreis, in der die uneigennützige Liebe einer Mutter zu dem von zwei Frauen beanspruchten Kind zum allein entscheidenden Kriterium für ihre Mutterschaft gemacht wird? Ganz ähnlich ist im Grunde genommen das salomonische Urteil – keine Untersuchung auf Schwangerschaft oder Zeugen der Geburt, sondern nur der Liebesbeweis bei Androhung der Vernichtung des Kindes zählt: in beiden Beispielen wird die Leiblichkeit beziehungsweise biologische „Beschaffenheit“ gerade nicht zur Bestimmung von „Verwandtschaft“ herangezogen, sondern nur die Beziehung zwischen dem Kind und der so zur Mutter gewordenen Person.
    Die Forderung, die sich daraus ergibt, heißt modern ausgedrückt: jedes Kind ist adoptiert. Es gibt keine andere Elternschaft außer der freiwilligen, technisch vollzogen etwa durch eine unerzwingbare Unterschrift der Eltern auf der Geburtsurkunde eines Kindes. Mit der nun vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigten Möglichkeit zu einer gesetzlichen Verankerung der anonymen Geburt wird diese Tür geöffnet. Sicherlich ginge damit einher, dass leibliche Eltern ein vorrangiges, zeitlich limitiertes Optionsrecht auf „Adoption“ des Kindes hätten, aber andererseits könnten keine Gen- oder Chromosomenspender zur Elternschaft gezwungen werden.
    Das Eltern-Kind-Verhältnis würde damit von vornherein auf eine gewaltfreie Basis gestellt, der Wille zur Übernahme der Verantwortung für ein Kind zur Grundlage für einen gemeinsamen Lebensabschnitt, wenn nicht für das ganze Leben. Mit „Adoption als Regelfall“ würde die Gesellschaft einen Quantensprung machen, vergleichbar dem Fortschritt, den eine Partnerschaft aus Zuneigung gegenüber einer unter Mitgiftaspekten erzwungenen Verkuppelung darstellt.
    Allerdings könnte sich damit jeder aus der Pflicht zu Unterhaltsleistungen für Kinder stehlen. Aber ist das wirklich ein Problem? Zu erwarten wäre doch eine Umstrukturierung, so dass aus Sorgerecht die Sorgepflicht, Unterhaltszahlungspflicht zu Unterhaltszahlungsberechtigung und Erziehungsberechtigung zu Erziehungsverpflichtung wird. Alles finanziert durch eine erhöhte Erbschaftsteuer, die für die Unterhaltszahlung aller Kinder verwendet würde. Damit geht eine erhöhte Chancengleichheit einher, weil aus der gesamten Vermögensmasse einer Volkswirtschaft die gesamte Unterhaltsleistung für die Kinder erbracht würde. Die Phantasie von „biologischer“ Abstammung würde abgelöst durch sprachliche Genealogie; der Familienname wäre die Verbindung zur Vergangenheit. Das Sprachliche definiert die Herkunft: tatsächlich leben wir ja nicht als Molekülhaufen mit Molekülähnlichkeitshaufen zusammen, sondern als kommunizierende Wesen, das heißt sprachlich verfasst.
    Wie verhält sich dieser Vorschlag zu der aktuellen Diskussion? In Deutschland bewegen sich die sogenannten „Babyklappen“ und die anonyme Geburt in einer rechtlichen Grauzone. Die Aussetzung eines Kindes ist strafbar, wird aber bei gesicherter Versorgung des Kindes nicht verfolgt. Im Bundestag wurde deswegen ein Gesetzentwurf zur Aufhebung der Anzeigepflicht bei anonymen Geburten eingebracht, den alle Fraktionen außer der PDS unterstützten. Vor einem Jahr wurde der Gesetzgebungsprozess unterbrochen, um die Entscheidung des europäischen Gerichtshofs abzuwarten.
    Treibende Kraft der Legalisierungsbemühungen ist insbesondere die katholische Kirche, die mit dem Argument des Lebensschutzes eine anonyme Geburt zur Notgeburt erklärt und die Abwendung der Lebensgefahr für ein unerwünschtes Kind für wichtiger und wertvoller hält als den zum „Persönlichkeitsrecht“ erhobenen individuellen Anspruch auf Wissen um biologische Verwandtschaft.
    Ärzte argumentieren gegen die anonyme Geburt, da Frauen in Notlagen durch die Möglichkeit von Babyklappe und anonymer Geburt nicht von Handlungen abgehalten werden könnten, die für das Kind lebensgefährlich sind. Wenn diese Frauen in Notsituationen schon so rational handeln würden, dass sie eine Babyklappe oder eine anonymisierende Geburtsstation aufsuchen würden, wären sie sowieso so selbstkontrolliert, dass sie nicht zu „Untaten“ schreiten würden. Gemeinsam ist der katholischen wie der ärztlichen Haltung die Annahme, dass es um eine „Notlage“ gehe, weil Sexualität sozusagen in die Hose gegangen sei. Ein Kind ist zum „Unerwünschten“ geworden, weil es außerhalb einer Familienplanung entstanden ist.
    Mit einem Modell der selbstbestimmten Elternschaft durch „Adoption als Regelfall“ dagegen wäre jede „Zwangselternschaft“ ausgeschlossen und Sexualität würde von Elternschaft und Verantwortung für ein Kind entkoppelt. Als willkommener – antikatholischer – Nebeneffekt würden damit Sexualität und Schwangerschaft von zentralen Ängsten befreit. Ein zentrales Element von Herrschaft würde zur Disposition gestellt, denn Lust ohne Strafe ist der Horror aller Herrschaft.
    Wird ein „Wunschkind“ nicht eigentlich erst dadurch realisiert, dass Eltern es in einem Akt des willentlichen Einverständnisses zur Übernahme der Verantwortung für dieses Kind einlösen? Ist nicht das herrschende Verständnis von „Wunschkind“ ein Konstrukt und tatsächlich zutiefst biologistisch, ja rassistisch und ausgrenzend? Ihm entspringt ein Großteil der Reproduktionsmedizin, und die Klon-zentrierten Biomedizin-Phantasien. Woher sonst kommen denn solch absurde Theorien vom „Weiterleben“ im Klon? Gegen diese Phantasieproduktion hilft auch keine Strafforderung des Staates in Millionenhöhe. Diese verfestigt eher diese herrschende biologistische Ideologie. Ihr diametral entgegengewirkt würde mit freiwilliger Elternschaft. Der erste Schritt dazu ist die Legalisierung der anonymen Geburt – sie ist in der Bundesrepublik auf der Tagesordnung des Gesetzgebers.
    Dieser Text wurde bereits am 18. April 2003 im „Freitag“ veröffentlicht.

  2. interessanter Beitrag....
    interessanter Beitrag. „cicerofern“ ist ein schöner Neologismus 😉

  3. Henrik sagt:

    <p>Ich find's grad etwas mehr...
    Ich find’s grad etwas mehr als perplex!
    Wie kann man gegen eine Babyklappe sein?
    Sollen wir in Deutschland wie in China handeln?
    EInfach dirnixmirnix das Kind auf die Strasse werfen, wenn es uns nicht passt?!
    Gerade aus diesem Grund finde ich eine Babyklappe – auch wenn das Wort ansich nicht gerade positiv klingt eine wirklich durchaus gute Lösung.
    Schon alleine für verzweifelte Teenager bzw. Mütter.
    Klar ist auch, daß es nicht die richtige Lösung ist.
    Aber wie oft hört man in den Meiden, daß neugeborene Babys eingefroren, verbuddelt oder aus dem Fenster oder vor dem Zug geworfen werden?!
    Das allein ist schon traurig!
    Und Hamburger Sozialsenator Dieter Wersich, hat meiner Meinung nach ne Meise! Schon allein dass Sternipark dagegen ist. ich koennte kotzen und sowas nennt sich dann Kooperativ?
    Thema verfehlt.
    Trauriges Deutschland!!!

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