Biopolitik

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Gesundheitsminister Rösler gegen Webredakteur Kusch – und die Sterbehilfe?

| 5 Lesermeinungen

Viele Gesichter hat der neue, noch wenig profilierte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler nicht - aber das eine wird zumindest in Sachen Sterbehilfe von...

Viele Gesichter hat der neue, noch wenig profilierte Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler nicht – aber das eine wird zumindest in Sachen Sterbehilfe von interessierter Seite recht flexibel eingesetzt: bis Ende Januar 2010 prangte es noch prominent platziert und protzig bunt auf der Startseite von Roger Kuschs neuem Projekt für „assistierten Selbstmord“ „Sterbehilfe Deutschland e.V.“. Weil der Arzt und FDP-Politiker, der sich einem Artikel aus der taz zufolge 2005 positiv über Sterbehilfe in Form des assistierten Suizids geäußert haben soll, sich dort ganz falsch angesiedelt fühlt, kündigte er rechtliche Schritte an. „Rösler geht gegen Sterbehelfer Kusch vor“ schrieben daraufhin einige Medien – zutreffend ist das aber eigentlich nicht. Wollte Rösler gegen den „Sterbehelfer“ Kusch vorgehen, müsste er wohl etwas gegen dessen Sterbehilfe-Planungen und Versuche unternehmen. Das Mittel dafür wäre beispielsweise: Den im Koalitionsvertrag angekündigten Gesetzentwurf gegen organisierte Sterbehilfe voranzutreiben – und zwar so, dass er sich auch tatsächlich gegen die Aktivitäten von Kusch und Ko. richtet und ihnen nicht durch eine Fixierung des Gesetzeswortlautes auf „gewerbliche Sterbehilfe“ viel Freiraum lässt.

Tatsächlich geht Rösler derzeit lediglich gegen den Webseitenredakteur Kusch vor: Der Minister wende sich, wird ein Sprecher zitiert, „gegen die Verwendung seines Fotos und einer ihm zugeschriebenen Äußerung.“ Erwirkt hat er so eine Unterlassung gegen „Sterbehilfe Deutschland e.V.“, dessen Webseite vom Geschäftsführer des Vereins Reinhold Schaube medienrechtlich verantwortet wird. Zugeschrieben wird Rösler die Äußerung allerdings nicht von Kusch – und ein entschiedenes Dementi, dass der heutige Gesundheitsminister sich nie für assistierten Suizid als Möglichkeit ausgesprochen habe, klänge auch anders.

Kusch hat den Angriff Röslers flott pariert. Das Foto des Ministers ist, nach einer Unterlassungserklärung, jetzt auf der anderen, älteren von ihm, das heißt dem Verein „Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V.“, betriebenen Homepage zu sehen (für die medienrechtlich auch tatsächlich Roger Kusch verantwortlich zeichnet): genauso prominent, genauso bunt, aber diesmal in Gesellschaft (von Welt-Redakteuren, Ärztekammerpräsidenten und dem Papst). die Überschrift lautet nunmehr: „Die Meinungsvielfalt des Dr. Philipp Rösler.“ Verwiesen wird nicht nur auf den alten „taz“-Artikel, sondern auch auf ein neueres Interview Röslers mit der „Bunten“, dessen Essenz im Deutschen Ärzteblatt in aller Unbestimmtheit nachzulesen ist (und jetzt hier):

„Natürlich sollte man den Menschen das Sterben so erträglich wie möglich machen. Aber aktive Sterbehilfe ist für mich absolut tabu. Weder wäre ich als Arzt dazu bereit, noch würde ich sie für mich persönlich in Anspruch nehmen.“ 

Dem Ärzteblatt ist das die Überschrift wert: „Philipp Rösler  – klare Absage an aktive Sterbehilfe“. Das klingt gut, aber was heißt es: Hält Rösler assistierten Suizid für aktive Sterbehilfe? Oder nicht? Und was ist die politische Konsequenz daraus? Der Vorstand der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospizstiftung, Eugen Brysch, hat da den passenden Ansatz: Eine presserechtliche Auseinandersetzung werde den Sterbehelfer nicht stoppen, erklärte er am Sonntag in Berlin und forderte Bundesgesundheitsminister Rösler auf, «in der FDP die Meinungsführerschaft für eine Änderung des Strafrechts zu übernehmen». Darum komme man nicht herum. womit wir wieder bei der Frage wären, ob Philipp Rösler gegen Kusch den Sterbehelfer oder gegen Kusch den Webredakteur vorgeht…

Bei dieser Gelegenheit interessiert mich allerdings auch und sogar fast viel mehr, inwieweit die gegenwärtige (das schließt die letzten zehn Jahre ein) Gesundheits- und Pflegepolitik dafür mitverantwortlich ist, dass Sterbehilfe und assistierter Suizid als vermeintliche Lösungen auf zunehmend große Resonanz stoßen. Dazu in einem der nächsten Blogs.

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5 Lesermeinungen

  1. Lutz Barth sagt:

    Mal abgesehen von dem...
    Mal abgesehen von dem Statement des Geschäftsführers der Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung – dass letztlich ausfiel, wie es ausfallen musste, da ein Perspektivwechsel aufgrund der besonderen „Mission“ nicht zu erwarten ansteht – haben Sie es, verehrter Herr Tolmein, auf den Punkt gebracht: In dem zunächst eröffneten presserechtlichen Nebenkriegsschauplatz ist wohl tatsächlich kein eindeutiges Dementi gegen die ärztliche Suizidbeihilfe zu erblicken und sofern nunmehr etwa im Deutschen Ärzteblatt der Gesundheitsminister zitiert wird, bleiben doch gewichtige Fragen offen.
    Anscheinend hat dieser einen Meinungswechsel vollzogen – durchaus legitim, wenngleich dies für den Diskurs nur insoweit beachtlich ist, als dass hier eine Person der Gegenwartsgeschichte seine Meinung geäußert hat.
    Und freilich fokussieren Sie die Debatte auf den ganz entscheidenden Punkt: Was sieht eigentlich der Koalitionsvertrag vor? Ein Verbot der kommerziellen Sterbehilfe, ein Verbot jeglicher organisierter Sterbehilfe, ein Werbeverbot und will der Koalitionsvertrag auch ein Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe in eine gesetzliche Regelung aufnehmen?
    Nun – verfolgen wir derzeit die Botschaften einiger Diskutanten, dann könnte in der Öffentlichkeit der Eindruck entstehen, als sei dies alles schon bereits entschieden. Dem dürfte aber mitnichten so sein und in diesem Zusammenhang stehend könnte es natürlich auch Sinn machen, die Liberalen an ihre liberalen Botschaften zu erinnern.
    Andererseits habe ich natürlich Verständnis dafür, dass sich Herr Rösler nicht für bestimmte Zwecke instrumentalisieren möchte, so wie ich nachdrücklich dafür plädiere, dass auch der Schwersterkrankte nicht – etwa zum Zwecke des weiteren Ausbaus der Palliativmedizin – instrumentalisiert werden darf.

  2. lisa sagt:

    ich wünsche mir eine...
    ich wünsche mir eine Diskussion über den Wert bzw. Unwert des Suizids und zwar wertneutral: für Menschen, die nicht an Gott/Götter glauben. Ist ein Suizidant zu verachten oder zu bewundern? Die Meinung der Christen kenne ich. Nicht aber die Meinung von Nichtgläubigen.

  3. Lutz Barth sagt:

    @lisa: Nun - auch als...
    @lisa: Nun – auch als Religionskritiker „glaube“ ich persönlich an „Werte“ und Ihre aufgeworfene Frage stellt sich mir eigentlich nicht: ich akzeptiere schlicht den Suizid, so er denn frei verantwortet ist und erlaube mir nicht ein „Werturteil“ darüber, ob dieser zu verachten oder zu bewundern sei. Ich weiß zwar nicht, wie der Initiator des BLOGS auf Ihre Frage antworten würde, aber ich riskiere hier einen Blick in das Grundgesetz und komme zum Ergebnis, dass der Suizid durch das Selbstbestimmungsrecht gedeckt ist und im Übrigen mit der „Last“ der hohen Eigenverantwortung einher geht, auch wenn nunmehr vereinzelt in der Literatur zu bedenken gegeben wird, dass der Suizidkanditat dann gleichsam ein „Opfer“ seines eigenen Willens wird und er im Zweifel nicht mehr die Möglichkeit hat, dass in Gang gesetzte Geschehen aufzuhalten.
    Derzeit wird der Frage nachgegangen, ob sich zu einem gewissen Zeitpunkt die „Freiheit nunmehr wieder in Unfreiheit“ wandelt oder mit anderen Worten: „Wie viel Selbstbestimmung bleibt übrig, wenn der Sterbewillige zum Mitläufer seines eigenen erklärten Willens wird?“, da erkennbar der Tod zum „Funktionserfordernis“ werde und dem Suizidenten ein Kollektiv hilfreich zur Seite steht, dass eben zur Funktionserreichung einen helfenden Beitrag zu leisten aufgefordert ist.
    Nun, ich denke – ohne hier ein Werturteil zu treffen -, dass es in der Natur des Willens liegt, dass die Person, die eben diesen Willen äußert, nicht nur Mitläufer, sondern maßgeblicher Initiator des sich abzeichnenden Suizids ist und er – die freie Willensentschließung unterstellt – einen Anspruch darauf hat, dass eben der in Gang gesetzte Prozess zielführend zu Ende geführt wird. Dass das Ziel allerdings dann in dem „Tod“ besteht, ist zunächst unverfänglich und erscheint mir nur als die konsequente – ggf. auch tragische – Folge einer selbstbestimmten Entscheidung.

  4. SGS sagt:

    <p>Herr Tolmein weist zurecht...
    Herr Tolmein weist zurecht darauf hin, dass ein Politiker – insbesondere mit Ministerrang – andere Möglichkeiten hat, gegen aktive Sterbehilfe und ärztlich assistierten Suizid vorzugehen, als nur Interviews zu geben. Der Fall Kusch zeigt, dass man nur durch klare Gesetze gegen organisierte Sterbehilfe diesen vermeintlichen Heilbringern das Handwerk legen kann. Das Leben und auch das Sterben in Würde ist zu bedeutsam, als dass man Selbstdarstellern wie Kusch einen Anteil daran überlassen darf. Der Ruf nach einer Liberalisierung der Sterbehilfe ist einfach und wohlfeil, eine gute Palliativmedizin aufzubauen ist teurer und schwieriger – aber es ist die einzige menschwürdige Option. Selbst die heutigen – noch gesunden – Befürworter der Sterbehilfe werden dafür eventuell einmal dankbar sein.

  5. Lutz Barth sagt:

    @ SGS: Wenn Herr Tolmein...
    @ SGS: Wenn Herr Tolmein gestattet, würde ich doch gerne anmerken wollen, dass ich als Befürworter der ärztlichen Suizidbeihilfe es mir nicht „einfach“ mache und wohl auch in der Folge eher dankbar dafür sein würde, wenn und soweit mir jemand eine Hilfestellung geben könnte, wenn ich im Zweifel nicht mehr alleine dazu in der Lage sein sollte. Dies schließt natürlich auch mein Eintreten für einen zwingend notwendigen Ausbau der Palliativmedizin nicht aus, wenngleich doch der springende Punkt der ist, dass ungeachtet der Erfolge etwa in der Schmerztherapie es Grenzen der Palliativmedizin gibt, die letztlich auch von den Mediziner akzeptiert werden, mögen sich auch diese Grenzen jeweils mit der Intensivierung der palliativmedizinischen Forschung sukzessive verschieben. Mit anderen Worten: Palliativmedizin und Sterbehilfe schließen sich nicht aus, wie allerdings stets behauptet wird und ich gebe Ihnen natürlich Recht, dass in der Tat „mehr erforderlich ist“, als nur Interviews zu geben. Hier ist ein verstärktes Engagement für den Ausbau der Palliativmedizin nicht nur wünschenswert, sondern einzufordern. Gleichwohl löst dieses verstärkte Engagement (auch finanzieller Art!) aber das Problem keinesfalls: Unstreitig bestimmt auch der Patient das „Ob“ einer palliativmedizinischen Behandlung/Betreuung und sofern er diese für sich ausschließt, stellt sich weiterhin das Problem der Nichtdurchführbarkeit eines gewünschten Suizids eines schwersterkrankten Patienten, der eben dazu aufgrund seiner Erkrankung nicht (mehr) in der Lage ist. Es geht also zuvörderst um Grenzfälle, die aber gleichwohl eine Regelung erfahren müssen, auch wenn es sich hierbei „nur“ um 3-5% aller Fälle handeln sollte. Freilich bleibt es einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung überantwortet, hier das Gespräch zu suchen und die entsprechenden Alternativen aufzuzeigen. Dies ist prinzipiell keine neue Erkenntnis und sofern gleichwohl der schwersterkrankte Patient meint, dass ihm unterbreitete palliativmedizinische Angebot „ausschlagen“ zu müssen, stellt sich die Frage, wer ihm dann im Zweifel bei einem Suizid eine Hilfeleistung zu gewähren im Stande ist; ich meine, dass hier der Arzt zur Assistenz berufen ist, wenn er dann für sich die Assistenz beim Suizid mit seinem Gewissen in Einklang bringen kann. Mehr aber eben auch nicht weniger ist m.E. gefordert. Es wird der Zwang zum Leben auch unter bestmöglichen palliativmedizinischen Betreuungsbedingungen vermieden, während demgegenüber die Ärztin oder der Arzt kraft ihrer Gewissensentscheidung eine Assistenz leisten können, zu denen sie nicht verpflichtet sind. So gesehen führt das Freiheitsrecht des Einen nicht zur Unfreiheit des Anderen und umgekehrt – ein verfassungsrechtlich gewünschtes und mögliches Ergebnis, wie ich meine und da reicht es mit Verlaub im Diskurs nicht zu, Botschaften ohne hinreichende dogmatische Konturen zu verkünden.

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