Biopolitik

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Röslers wahre Worte, Ressortdisziplin und die assistierte Selbsttötung – ein E-Mail-Interview

| 2 Lesermeinungen

Am Telefon ließ es sich nicht klären: Hat der Bundesgesundheitsminister 2005, wie die taz damals unwidersprochen berichtet hatte,  „nicht...

Am Telefon ließ es sich nicht klären: Hat der Bundesgesundheitsminister 2005, wie die taz damals unwidersprochen berichtet hatte,  „nicht ausgeschlossen“, dass die „assistierte Selbsttötung“ in bestimmten Fällen der „richtige Weg“ sei oder hat er etwas ganz anderes gesagt (und was)? Sein Sprecher Christian Lipicki mochte sich da in einem etwas mühseligen Gespräch am Dienstagmittag nicht festlegen. Lieber verwies er auf einen Artikel im „Focus,“ der zwar auch auf seinen Angaben basierte, der aber nicht die gewünschten harten Fakten enthielt. Dort stand nämlich nur recht vage: Rösler gehe „nach Angaben eines Sprechers, gegen die Verwendung seines Fotos und einer ihm zugeschriebenen Äußerung“ vor. Nachfragender Klärungsversuch: Hat die „taz“ also falsch berichtete? Umsichtiges Diffus-Halten: Die Äußerung sei Rösler eben zugeschrieben…. Wahrheitsfindung kann schwierig sein. Nach längerem Hin und Her mit dem Sprecher am Telefon findet sich dann die Lösung: Ich soll meinen Fragen in einer E-Mail schriftlich formulieren und etwas Geduld haben, weil sich das alles nicht so ganz einfach klären lasse…. Gesagt, getan und 25 ½ Stunden später ist die Antwort da (hier der vollständige Wortlaut mit behutsamen orthografischen Korrekturen bei Fachbegriffen):

„Sehr geehrter Herr Tolmein, anbei beantworten wir Ihre Fragen wie folgt:

Frage: Hat Herr Rösler damals eine entsprechende Äußerung getan oder hat die taz damals unzutreffend berichtet?

Antwort: Stenografisches Wortprotokoll der Fachtagung: „Einig sind wir uns auch parteiübergreifend, dass wir einen stärkeren Ausbau der Palliativmedizin, und zwar flächendeckend, in Niedersachsen brauchen, genauso natürlich auch eine Unterstützung der Hospizbewegung. Dennoch sagen wir, dass es bei allen Möglichkeiten der modernen Schmerztherapie, bei allen Therapiemöglichkeiten hinsichtlich der Sterbebegleitung immer wieder Fälle geben kann, bei denen auch die moderne Medizin an ihre Grenzen stößt. Wir sagen: Auch wenn wir uns selber solche Situationen nicht vorstellen können oder wollen, heißt es eben nicht, dass es solche Situationen nicht doch geben kann. Deswegen haben wir gesagt: Wir wollen die Augen vor solchen Situationen nicht verschließen. Wir wollen die Menschen in ihrer Verzweiflung nicht alleine lassen. Deshalb haben wir uns zu der Durchführung dieser Veranstaltung entschieden.“ Dieses Zitat ist bereits von der taz verzerrt wiedergegeben worden. Herr Kusch hat in der Folge das Zitat gezielt weiter verändert, so dass der Aussagegehalt gänzlich manipuliert worden ist.

Frage: Wie steht Bundesgesundheitsminister Rösler heute zur Möglichkeit des assistierten Suizids (der ja keine Form der aktiven Sterbehilfe ist)? Befürwortet er ihn als Möglichkeit? Lehnt er ihn prinzipiell als ärztliche Handlung ab? Lehnt er ihn als organisierte Handlung ab?

Antwort: Herr Rösler lehnt aktive und passive Sterbehilfe schon aus ethisch-christlichen Gründen ab. Als Liberaler wendet er sich gegen ein Verbot von assistiertem Suizid, um negative Auswirkungen auf die Palliativmedizin / Hospizarbeit zu vermeiden. Herr Rösler legt großen Wert auf die Feststellung, dass er kein Unterstützer des assistierten Suizids ist.

Frage: Hat der Bundesgesundheitsminister aus den Aktivitäten des Herrn Kusch, in die er ja nun unfreiwillig involviert wurde, Konsequenzen gezogen hinsichtlich des im Koalitionsvertrag festgelegten Projekts organisierte Sterbehilfe unter Strafe zu stellen?

Antwort: Hier gilt das Ressortprinzip. Die Zuständigkeit für diese Frage liegt beim Bundesjustizministerium.“

Das Ergebnis der Recherche verblüfft politisch ein wenig: Ein Verbot des assistierten Suizids an sich, das in Deutschland ernsthaft bislang niemand vorgeschlagen hat, wird vom Bundesgesundheitsminister als Liberaler aus recht pragmatischen Gründen abgelehnt,  „um negative Auswirkungen auf die Palliativmedizin/Hospizarbeit zu vermeiden“ (wo der Zusammenhang liegt, bleibt mir etwas unklar, aber sei es drum). Hinsichtlich des im Koalitionsvertrages in Zeile 4986 festgelegten Vorhabens bestimmten Formen der Sterbehilfe den Riegel vorzuschieben, zieht sich der Liberale als Bundesgesundheitsminister zumindest nach außen hin meinungsfrei und mustergültig kollegial aufs Ressortprinzip zurück und überlässt seiner, in dieser Hinsicht eher sehr zurückhaltenden, Parteifreundin Leutheusser-Schnarrenberger (die in der Vergangenheit auch schon für nicht näher bestimmte „aktive Sterbehilfe“ eine Lanze gebrochen hat,  zuletzt im Dezember 2009 im „stern“ aber erklärte „nicht pauschal“ für aktive Sterbehilfe zu sein und jetzt darüber keine Debatte anstoßen zu wollen) das Feld. Anders gesagt: Der Bundesgesundheitsminister will in dieser Frage wohl kein besonderes Engagement entfalten – angesichts des allgemeinen Schweigens der Bundespolitik zum Thema „Verbot organisierter Suizidbeihilfe“ in den letzten Tagen erscheint die Prognose nicht sehr gewagt, dass dieses Thema offenbar ausgesessen werden soll.

Wie es jetzt mit dem Streit zwischen „Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V.“ und dem Bundesgesundheitsminister weiter geht, wird möglicherweise auch interessant. Die Unterlassungserklärung, die die Sozietät Sellner, Dahs, Widmaier dem Sterbehilfe-Verein im Auftrag des Gesundheitsministers Philipp Röslers zugestellt hat, hat der Vereinsvorstand nicht unterzeichnet und will es auch nicht tun, da die Homepage ja nur auf einen taz-Artikel verweise und das im Übrigen bereits seit Oktober 2009.

 

Bild zu: Röslers wahre Worte, Ressortdisziplin und die assistierte Selbsttötung - ein E-Mail-Interview

(Umstrittene Unterlassungsverpflichtungserklärung, nicht unterzeichnet)

Darauf wird es allerdings, sollte die Angelegenheit vor Gericht gebracht werden, kaum ankommen: schließlich verbreitet der Verein die Äußerung ja (und sei es nur durch Verbreitung des taz-Artikels) und offenbar kann der Gesundheitsminister durch das Stenografische Wortprotokoll der Fachtagung von 2005 nachweisen, dass der taz-Artikel, auf den sich der Verein stützt, tatsächlich etwas Unzutreffendes behauptet. Nachweislich falsche Behauptungen darf man aber nicht verbreiten. Eine Gegendarstellung könnte der Minister dagegen wohl nicht mehr erwirken, weil hier die entsprechenden Fristen längst überschritten wären – aber das versucht er ja auch nicht.        

PS.: (4. Februar, 8:32 Uhr)  Am Morgen nach der Veröffentlichung dieses Blogs hat der Verein „Dr. Roger Kusch Sterbehilfe e.V.“ seine Dokumentation der „Meinungsvielfalt des Dr. Philipp Rösler“ verändert. Neben einem Link auf dieses Blog verweist er weiter auf den oben erwähnten „taz“-Artikel aus dem Jahr 2005, jetzt aber mit dem Hinweis „…und fühlt sich von der taz falsch zitiert.“ Für ein eventuelles Gerichtsverfahren wirft das die interessante Rechtsfrage auf, ob bzw. unter welchen Umständen es sich ein Politiker gefallen lassen muss, dass ein Bericht in dem auch eine möglicherweise nicht zutreffende, bis dahin von ihm aber nie korrigierte Äußerung enthalten ist, die nicht zutrifft, zugänglich gemacht wird (insbesondere, wenn an gleicher Stelle in gleicher Weise auf das Dementi des Politiker verlinkt und so der Leserschaft ermöglicht wird, sich ein eigenes Bild zu machen).

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2 Lesermeinungen

  1. Lutz Barth sagt:

    Also – mal ganz ehrlich:...
    Also – mal ganz ehrlich: Auch wenn ich ansonsten nicht abgeneigt bin, für „Recht und Gesetz“ einzutreten und ggf. mir ausbedinge, je nach Interessenvertretung eben dieses Recht auch zu interpretieren, so halte ich doch das Medienspektakel um die Frage, wer nun was zu welchem Zeitpunkt mit welchem Akzent „verkündet“ hat, für ein wenig mimosenhaft. O. Tolmein hat völlig zu Recht darauf hingewiesen, dass die Antwort per Email – mit meinen Worten ausgedrückt – wenig gehaltvoll ist.
    Wir haben nun alle vernehmen können, dass unserer Gesundheitsminister aktive und passive Sterbehilfe schon aus ethisch-christlichen Gründen ablehnt und im Übrigen kein Unterstützer des assistierten Suizids ist, worauf er besonders großen Wert legt.
    Immerhin gebietet ihm die liberale Seele gleichwohl, sich gegen ein Verbot der ärztlichen Assistenz zu wenden. Nun – vielleicht handelt es sich hier um einen „Übermittlungsfehler“, denn das macht nun wahrlich keinen Sinn und insofern dürfen wir gespannt sein, ob Herr Tolmein demnächst vom Ministerium gebeten wird, diesen Lapsus zu entschuldigen und ggf. in seinem BLOG richtig zu stellen.
    In der Sache selbst darf allerdings darauf hingewiesen werden, dass gerade das christliche Ethos – freilich gepaart mit dem nicht minder bedeutungsvollen und ggf. zu einer Ersatzreligion mutierten Arztethos – es auch einem Liberalen in seiner Eigenschaft als Christ verbieten dürfte, auch nur im Ansatz über die „Selbstentleibung“ und der ggf. dazu erforderlichen Hilfestellung nachzudenken – es sei denn, er ist bereit, den Lohn der Sünde zu empfangen! Keine guten Aussichten – weder für einen Abgeordneten, der auf ein „C“ in seinem Parteiennamen blicken kann noch für einen Liberalen, der sich dem christlichen Ethos verpflichtet weiß. Zu fragen bliebe in diesem Zusammenhang allerdings, auf welche Konfession sich das Bekenntnis zum christlichen Ethos gründet. Ein Blick in das Evangelium vitae aber auch in den Katechismus der Katholischen Kirche erleichtert jedenfalls demjenigen die „Rechtsfindung“, der gläubiger Katholik ist. Anlass zu dieser letzten Bemerkung besteht deshalb, weil wir im BLOG „Gratwanderung“ v. G. Klinkhammer im Deutschen Ärzteblatt unter der Überschrift „Philipp Rösler – klare Absage an aktive Sterbehilfe“ folgenden Satz vernehmen können,
    ZITAT: >Er begründet dies mit seiner christlichen Anschauung, denn aufgrund seiner Tätigkeit im evangelischen Friederikenstift in Hannover hatte er sich im Jahr 2000 der katholischen Kirche angeschlossen. „Durch meine Tätigkeit wurde ich viel mit Tod und Sterben konfrontiert. Als ich das Pflegepersonal fragte, wie sie damit zurechtkommen, antworteten sie: ,Herr Rösler, wir sind ein christliches Haus.‘ Das hat mich beeindruckt.“< Aber letztlich brauchen wir wohl diese Frage in einem säkularen Verfassungsstaat nicht vertiefen und wie anderenorts bereits darauf hingewiesen, ist auch keine andere Betrachtung in Ansehnung an Art. 38 GG anbefohlen, wonach der Abgeordnete nur seinem Gewissen gegenüber verantwortlich ist. Meine Empfehlung lautet daher: Verehrter Herr Minister, streiten Sie in der Sache und da erscheint mir doch der presserechtliche Nebenkriegsschauplatz eher von untergeordneter Bedeutung.

  2. lebtnoch sagt:

    ach was, die sterbehilfe wird...
    ach was, die sterbehilfe wird parallel zur kopfpauschale per gesetz klargemacht. wer sich das kranke leben nicht leisten kann (meist geht es ja nicht um heilen sondern ums teure am leben bleiben) der geht sozialverträglich nach, ehm, drüben.
    spass beiseite: wie kann man keine meinung haben zum thema sterbehilfe wenn man in der gesundheitsbranche arbeitet? ich kenne ärzte, ich kenne pfleger, ich kenne psychologen, etc.
    was ich nicht kenne ist auch nur einen aus den gesundheitsberufen (mich eingeschlossen), der sich traut, keine meinung dazu zu haben. es ist schlicht ein thema, das in erschütternder regelmässigkeit dem arbeitsalltag entspringt. da braucht es schon ein sehr sehr simples gemüt um zu sagen: jo, ne, weiss nicht so recht.
    die meinungen gehen auseinander, klar. keine meinung scheint aber im politikzirkus immer noch am besten zum aussitzen kompatibel zu sein.
    mr. rösler: shit or get off the pot!

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