Biopolitik

Sterbehilfe: Wie mutmaßlich kann ein Wille sein?

Fast ein Jahr lang war von den Gerichten wenig in Sachen Patientenverfügung und Einstellung lebenserhaltender Behandlungen bei einwilligungsunfähigen Patienten zu hören. Jetzt hat das Landgericht Oldenburg einen Beschluss gefasst, der zwar nicht von dem Ehrgeiz getrieben erscheint wesentliche Rechtsfragen zu klären, der aber Hinweise auf den Umgang mit Problemen des neuen Rechts der medizinischen Behandlung einwilligungsunfähiger Patienten liefert, das sehr viel mehr umfasst als nur die Regelung der Patientenverfügung.

Ausgangspunkt der Oldenburger Entscheidung ist eine knapp neun Jahre alte, notarielle Vorsorgevollmacht, die ausdrücklich auch „die Befugnis der Vollmächtigten (umfasst) den Abbruch der Behandlung und/oder die Einstellung lebenserhaltender oder lebensverlängernder Massnahmen (zuverfügen)…wenn ich außerstande bin, ein menschenwürdiges, d.h. für mich erträgliches, und weitgehend beschewerdefreies bewusstes …. Leben zu führen.“

Die 89 Jahre alte Vollmachtgeberin befand sich nun nach einem Schlaganfall in einem, so das Gericht, „somnolenten/hilflosen Zustand“ und muss künstlich über eine Magensonde ernährt werden (eine sogenannte PEG-Sonde). In Übereinstimmung mit dem Hausarzt beabsichtigte die Vorsorgebevollmächtigte, die Versorgung der Vollmachtgeberin mit Medikamenten, Nahrung und Flüssigkein einzustellen, weil sie meinte, dass das dem Willen der Patientin entspreche. Das Pflegeheim rief daraufhin das Betreuungsgericht an, das eine Verfahrenspflegerin für die alte Frau bestellte. Nach Anhörung der Beteiligten entschied das Gericht, dass es nach neuem Recht diesen Fall nicht zu entscheiden habe, weil sich – wie es Paragraph 1904 Abs. 4 und 5 BGB vorsehen Bevollmächtigte und Hausarzt über den mutmaßlichen Willen einig seien. Es stellte – wohl nach dem Motto: lieber ein paar Feststellung zuviel als eine zu wenig – darüber hinaus auch fest, dass die Vollmacht den eingetretenen Fall und die Entscheidung der Bevollmächtigten umfasste und dass es dem mutmaßlichen Willen der Patientin entspreche, nicht weiter versorgt zu werden. Dem trat die Verfahrenspflegerin entgegen und legte Beschwerde beim Landgericht ein: Ein mutmaßlicher Wille der Patientin, argumentierte sie, sei nicht ermittelbar.

Das Landgericht hat die Entscheidung des Betreuungsgerichts bestätigt. Die Umstände seien zutreffend gewürdigt worden, weitere Erkenntnismöglichkeiten seien mit Blick auf den mutmaßlichen Willen nicht ersichtlich und da es  keinen Konflikt zwischen Bevollmächtigter und Arzt über den mutmaßlichen Willen gebe, müsste auch das Betreuungsgericht nicht entscheiden. Letztere Aussage wurde irritierenderweise aber nicht mit dem entsprechenden Gesetzeswortlaut, sondern unter Verweis auf eine BGH-Entscheidung aus der Zeit vor der Gesetzesänderung, aus dem Jahr 2005, begründet.

Die beiden mit dem Fall befasst Gerichte haben sich leider auch nicht mit der Frage befasst, welche Bedeutung es hier hat, dass nicht eine gesetzliche Betreuerin, sondern eine Bevollmächtigte im Rahmen der erteilten Vollmacht gehandelt hat. Auch nicht geprüft wurde, ob die – ja nur bedingt erteilte – Vollmacht hier überhaupt greift: Dafür wäre erforderlich gewesen, nicht den mutmaßlichen Willen der Patientin zu ermitteln, sondern ersteinmal festzustellen, ob hier ein für sie erträgliches und weitgehend beschwerdefreie bewusstes Leben geführt werden konnte. Überhaupt fällt auf, dass die Auseinandersetzung mit dem medizinischen Befund dürftig ist: Weder wird festgestellt, ob die PEG-Sonde überhaupt medizinich indiziert ist bzw. worauf sich das Gericht mit der Behauptung stützt, dass die Patientin künstlich ernährt werden „muss“, noch finden sich sonstige diagnostisch valide Betrachtungen in der Entscheidung. Offensichtlich hat das Amtsgericht nicht, wie eigentlich nach FamFG erforderlich, einen unabhängigen Gutachter eingeschaltet – das erscheint vertretbar, wenn man, wie das Gericht, der Auffassung ist, dass eine Entscheidung überhaupt nicht erforderlich ist, nur dann ist schwer zu begründen, wieso sich das Gericht dennoch inhaltlich äußert.  

Ähnlich unbefriedigend ist der Umgang mit dem „mutmaßlichen Willen“ der Betroffenen: Es erscheint schon fraglich, ob bzw. inwieweit in solchen Konstellationen mit einer Bevollmächtigten überhautp auf den mutmaßlichen Willen Bezug genommen werden muss (das Gesetz legt das allerdings nahe) – dafür gibt es ja eigentlich die Vollmacht. Wenn es allerdings geschieht, so wie hier, stellt sich die Frage, was denn die Kritierien für dessen Ermittlung sind – und ab wann sich die Indizien so verdichten, dass tatsächlich von einem mutmaßlichen Willen gesprochen werden kann. Insofern hat die Verfahrenspflegerin in diesem Verfahren ein wichtiges Problem beleuchtet auf das, das Gericht eine wenig ergiebige Antwort gegeben hat: Aus der Tatsache allein, dass weitere Anhaltspunkte, als die Erläuterungen von Vorsorgebevollmächtigter und Hausarzt, nicht zur Verfügung stehen, kann jedenfalls  nicht geschlossen werden, dass diese für die Annahme eines mutmaßlichen Willens schon ausreichen: es kann auch Menschen geben, deren mutmaßlicher Wille eben nicht mehr mit der ausreichenden Sicherheit zu ermitteln ist. In so einem Fall muss das Betreuungsgericht dann doch entscheiden – auf Basis des eigentlich im Betreungsrecht entscheidenden Kriteriums: Welche Entscheidung fördert das Wohl des Betreuten am ehesten? (LG Oldenburg vom 16. März 2010, 8 T 180/10)

 

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