Ob der Schutz der „sexuellen Identität“ einmal ein Fall fürs Grundgesetz wird, ist noch unklar; eine Herzensangelegenheit deutscher männlicher Juristen ist er jedenfalls nicht. Als der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages letzte Woche rief, reisten neun juristische (warum eigentlich juristische? Spezialisten für Gesetze sind wir ja, aber für „sexuelle Identität“?) Experten und Expertinnen an, sechs Männer und drei Frauen. Während von den Männer aber nur einer – und zwar der einzige, der österreichischer Staatsbürger ist- sich für die Schaffung eines neuen deutschen Grundrechts aussprach, waren sich die geladenen drei Frauen allesamt einig: Sie halten es für eine gute Idee, dem Schutz der „sexuellen Identität“ künftig auf Bundesebene Verfassungsrang zu geben (in einigen Landesverfassungen ist das schon so).
Ob mit der Erwähnung der sexuellen Identität in Artikel 3 des Grundgesetzes, wie es jeweils für sich SPD, Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke vorschlagen, viel oder auch nur etwas gewonnen wäre, erwies sich bei der Anhörung als höchst strittig. Auffallend war dabei, dass in eigentümlich verteilten Rollen argumentiert wurde: Gerade die Gegner der Schaffung dieses neuen Grundrechts wiesen darauf hin, dass eine Verfassungsänderung nichts nütze, dass sie allenfalls symbolischen und deklaratorischen Charakter habe und dass sie dem allgemeinen Engagement gegen Diskriminierungen sogar schade, weil sie dazu verleite den Katalog von Diskriminierungsmerkmalen in Artikel 3 GG als abschließend zu betrachten.
Das hätte eingeleuchtet, wenn diese Experten nicht auch noch gleichzeitig vor der Einführung des neuen Grundrechts warnen würden, weil es die Bundesrepublik Sodom und Gomorrha etwas näher brächte: wer die „sexuelle Identität“ schütze, bereite damit der Polygamie den Weg, ermutige Pädophile und schwäche die Ehe. Ganz schön viel große Katastrophen durch eine Verfassungsbestimmung, der man gleichzeitig aber nicht einmal zutraut kleine Fortschritte für die Gruppe der „Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transgender, transsexuellen und intersexuellen Menschen“ zu erreichen, die SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen als Zielgruppe der geplanten Grundgesetzänderung im Blick haben.
Die Auseinandersetzung erinnert ein wenig an die mehr als 15 Jahre zurückliegende Kontroverse über die Einführung der schlichten Feststellung „Niemand darf wegen seiner Behinderung benchteiligt werden“ ins Grundgesetz. Auch damals, die Debatte um die Ergänzung der Verfassung war eine späte Folge der Wiedervereinigung, ging es um die Frage, ob diese Erweiterung des Schutzes vor Diskriminierung etwas nütze, ob er nicht in Wirklichkeit zu einer Aufweichung des Gleichheitskonzeptes beitrage. Bemerkenswerterweise war es Bundeskanzler Helmut Kohl, der sich damals überraschenderweise für die Aufnahme des neuen Benachteiligungsverbotes stark machte. Und ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht hat in der Folge dessen Reichweite nachhaltig beschränkt, weil es die Einbeziehung von behinderten Schülerinnen und Schülern an Regelschulen faktisch unter einen Finanzierungsvorbehalt gestellt hat. Mittlerweile sind es in weitaus stärkerem Maße internationale rechtliche Vorschriften, die Behinderten ermöglichen, sich gegen Benachteiligungen zur Wehr zu setzen – die Vorschrift im Grundgesetz möchte aber dennoch niemand missen. Sie signalisiert zumindest, dass hier eine Gefahr besteht, der das Recht begegnen möchte. Und in manchen Verfahren ist sie eine hilfreiche Stütze für die rechtliche Argumentation.
Ob ein Schutz der sexuellen Identität mit Verfassungsrang ähnliche Auswirkungen hätte, weiß niemand. Die Gruppen, die dort geschützt werden sollen sind recht heterogen: Schwule können heute immerhin Oberbürgermeister in deutschen Metropolen werden, intersexuelle Menschen sind rechtlich dagegen überhaupt nicht anerkannt und müssen sich dagegen wehren, dass ihre Identität als behandelbare Krankheit angesehen und nach den Möglichkeiten der Ärzte wegtherapiert wird, transsexuelle Menschen kämpfen verstärkt um Kostenübernahmen für die von ihnen gewünschten Behandlungen und sind seit Jahren mit einem Transsexuellengesetz konfrontiert, das auf überholten Vorstellungen aufbaut und Rechte eher beschneidet, als sie zu stärken. Ob es einem Transexuellen der Polizist werden möchte in einem Verfahren aber hilft, wenn seine „sexuelle Identität“ unter dengrundgesetzlichen Diskriminierungsschutz, kann man mit guten Gründen bezweifeln. Dass andererseits auf das Bemühen hier die Ausgrenzung diskriminierter Gruppen zu verhindern, mit der Unterstellung gekontert wird, dass damit „Pädokriminelle“ geschützt würden, zeigt das eher die Notwendigkeit, als den Unsinn einer solchen Regelung.
Wenn das Wortprotokoll der Anhörung im Internet steht, werde ich Sie informieren. Die Debatte steht, schaut man sich an, wie schwer es dem Parlament fällt, eine vergleichsweise einfache Aufgabe, wie die Schaffung eines neuen Transsexuellengesetzes, zu erfüllen, sicher erst am Anfang.
Sie können dieses Blog gerne kommentieren. Sie müssen sich nicht anmelden (einen Namen sollten Sie schon haben).
Juhu, Politik für...
Juhu, Politik für Randgruppen.
Ich schlafe gerne auf dem Bauch mit einem Finger in der Nase.
Wann bekomme ich dafür endlich ein eigenes Grundrecht?
<p>Hm, Erster - ich denke:...
Hm, Erster – ich denke: über Ihren Anspruch sollten wir diskutieren, wenn Sie wegen Ihrer Schlafgewohnheiten den Job verlieren (aber Vorsicht: Wenn Sie beim Büroschlaf mit dem Bauch Ihren Aktendeckel erdrücken – oder umgekehrt! – könnte eine Entlassung ggf. aus Gründen der Arbeitssicherheit gerechtfertigt sein). Gute Nacht….
<p>da homosexuelle Menschen...
da homosexuelle Menschen aufgrund ihrer Genetik keine freie Entscheidung zu ihrem Sexualverhalten haben duerften, ist die Antwort fuer mich klar…sie muessen so wie andere Menschen als Benachteiligt betrachtet werden…
Vor 25 Jahren sagte Richard...
Vor 25 Jahren sagte Richard von Weizäcker (90) vor dem Deutschen Bundestag:
Wir gedenken der ermordeten Sinti und Roma, der getöteten Homosexuellen, der umgebrachten Geisteskranken, der Menschen, die um ihrer religiösen oder politischen Überzeugung willen sterben mußten.
Die Behinderten als ehemalige NAZI-Opfer haben es ins GG geschafft, warum verwehrt man dies heute noch den Schwulen? Weil man sie bis 1969 in den Knast schickte??
Ich schäme mich nicht schwul zu sein. Deutscher zu sein ist mir manchmal eher peinlich.
Jaja, Schwule können...
Jaja, Schwule können Oberbürgermeister oder Außenminister werden (dürfen ihren Partner aber nicht mitnehmen, ohne dafür angefeindet zu werden, wie es bei keinem heterosexuellen Klüngelmeister jemals der Fall gewesen ist),
aber gleichzeitig sind homosexuelle Jugendliche, durch unzählige nationale wie internationale Studien belegt, nach wie vor einem viermal höheren Suizidrisiko ausgesetzt als ihre heterosexuellen Altersgenossen.
„Schwul“ ist das Schimpfwort Nr. 1 auf den Schulhöfen und in den Klassenzimmern, man darf sich weiterhin völlig unbehelligt erlauben, Schwule und Lesben in ihrer Würde anzugreifen, sie zu beleidigen und zu verunglimpfen, ihnen ihre Rechte abzusprechen, wie dies mit keiner anderen gesellschaftlichen Gruppe jemals der Fall wäre, noch dazu mit einer Opfergruppe des Nazi-Terrors.
Wenn allein das nicht Grund genug ist, endlich für einen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz von homosexuellen Menschen zu sorgen, was muss dann eigentlich noch alles passieren, bis es endlich genug ist?
es ist unsäglich, wie...
es ist unsäglich, wie „intersexuelle“ für dieses vorhaben dauernd instrumentalisiert werden. wer „intersexuelle“ als ‚mitgemeintes‘ anhängsel für „identitätsfragen“ missbraucht, während er gleichzeitig tatenlos zuschaut, wie TÄGLICH zwitterkinder genitalverstümmelt werden, trägt aktiv dazu bei, dass diese verstümmelungen unnötig weiter andauern (z.b. wowereit und beust sind dazu auch noch politisch zumindest mitverantwortlich für all die verstümmelungen, die in ihrem zuständigkeitsbereich begangen werden, und gegen die sie bis heute NIE konkret etwas politisch getan haben).
kommt dazu noch der massive politische schaden, der dadurch angerichtet wird, dass zwitter so in die „sexualitäts-“ und „orientierungsecke“ gedrängt und faktisch in geiselhaft genommen werden, was die beendigung der genitalverstümmelungen an zwittern realpolitisch um jahre zurückwirft.
zwitter und progressive lgb(t)s kritisieren diese vereinnahmung schon lange, aber die vereinnahmerInnen sind offensichtlich taub oder nicht willens, irgend etwas jenseits ihres eigenen kollektiven bauchnabels überhaupt objektiv wahrzunehmen.
und die krone: aktuell soll im bundestag beraten werden, genitalverstümmelungen an mädchen und frauen mit einem eigenen paragraphen zu ächten. zwitter sind von diesem schutz einmal mehr ausgenommen, und NIEMAND von all denen, die dauernd lauthals „intesexuelle“ für ihre eigenen interessen vereinnahmen, haben bisher NICHT EINEN KLEINEN FINGER dafür gerührt und gefordert, dass der schutz der körperlichen integrität auch für zwitter gelten soll, bzw. dass sie in die vorlage unbedingt hineinmüssten. (auch frauen- und menschenrechtsorganisationen schweigen m.w.n. bisher dazu.)
würden von den vereinnahmerInnen und zuschauerInnen nur schon ein paar mal selber etwas genitalverstümmelt, wie dies zwittern seit generationen SYSTEMATISCH angetan wird, hätten sie ziemlich schnell andere parolen, wetten?!
https://blog.zwischengeschlecht.info/post/2010/04/21/Heute-im-Bundestag%3A-Zwitter-als-Kanonenfutter-f%C3%BCr-%22sexuelle-Identit%C3%A4t%22
Vor 30 Jahren versprachen die...
Vor 30 Jahren versprachen die Kreuzzügler der Homosexualität in den USA hoch und heilig, dass sie an Ehe, Adoption, etc., nicht mal dächten; es ginge ihnen nur um Nicht-Diskriminierung. Natürlich roch jeder normale Mensch die Lüge und die konservativen Christen wiesen auch darauf hin.
Mit viel Geld und organisierten Medienattacken erreichten sie schliesslich ihr Ziel, eine de facto Privilegierung ihrer sexuellen Perversion (liebe FAZ-Begriffspolizisten, dies ist ein technischer Begriff – keine Beleidigung). Jetzt kommen die Schwulen schon in die Kindergärten, um ihr Evangelium zu predigen, und die „Normalen“ zu denunzieren.
Wenn die „sexuelle Identität“ idenditätsstiftend und schützenswert ist, dann darf man auch kein moralisches Urteil („böse“) darüber abgeben und die Religion, welche das fordert, könnte verboten werden. Die moralische Ächtung der Homosexualität durch viele unabhängige Kirchen scheint übrigens ein gewichtiger Grund dafür zu sein, dass jene in den Medien – nicht nur den linken – immer verteufelt werden.
Die Schwulen fürchten die offene moralische Debatte, da sie arm an Argumenten und reich an schlechten Beispielen sind (Aids und andere Krankheiten, Promiskuität, Pädophilie). Moralische Gebote kann man nicht einfach mit Gerede, meistens Geschrei, von „Fortschritt“ und „Diskriminierung“ aufheben. Es geht um das Wichtigste im Leben, um das Ideal der Liebe. Wenn das pervertiert ist, dann fallen alle anderen Ideale und die entsprechenden Menschenrechte quasi von selbst.
<p>@Auzinger: "Sexuelle...
@Auzinger: „Sexuelle Perversion“ ist ein klinischer, kein „technischer“ Begriff, aber darauf kommt es wohl nicht in erster Linie an. Die Gefahr in der Sie sich wähnen- dass Sie Ihre schlichten moralischen Urteile („böse“) nicht mehr äußern dürften, wenn „sexuelle Identität“ durch die Verfassung geschützt würde – ist, da kann ich Sie trösten, überschaubar: Sie können sich so oder so auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit berufen (das von FAZ-Begriffspolizisten zur Not mit der Grammatik in der Hand geschützt wird) und auch die Religionsfreiheit wird Ihnen weiterhin allerlei Glaubenssachen ermöglichen. Sie und der Rest der Deutschen bewegen sich dann auf dem recht gut erforschten Feld kollidierender Grundrechte…Heikel wird es erst, wenn Sie Ihr Ressentiment in die Tat umsetzen wollen und Schwule benachteiligen, indem sie keine Verträge mit Ihnen schließen oder sie sonstwie ausgrenzen. Aber das ist schon heute rechtswidrig. Über Ihr – mir recht selektiv und eng erscheinendes – Konzept von „Liebe“ streiten wir dann gerne ein andermal.
@Oliver Tolmein: prima Antwort...
@Oliver Tolmein: prima Antwort an „auzinger“, danke!
<p>@auzinger:</p>
<p>schönen...
@auzinger:
schönen Dank für Ihren geradezu klassisch homophoben Beitrag. Er zeigt, wie nötig die Verfassungsänderung ist. Nicht um Ihnen zu verbieten, so „christlich“ zu denken, sondern um klar zu machen, dass der Staat jedenfalls nicht (mehr) gedenkt, solchen Auswüchsen „christlich-abendländischer“ Kultur nachzuhängen. Ihre Burka hänge ich mir nicht um!