Biopolitik

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Alle Macht den Ethik-Beiräten ?!?

| 5 Lesermeinungen

Alle Macht den Ethikbeiräten?!? Nun gibt es doch eine rot-rot-grüne Koalition, allerdings nicht in Nordrheinwestfalen, sondern im Deutschen Bundestag. Sie...

Alle Macht den Ethikbeiräten?!?

Nun gibt es doch eine rot-rot-grüne Koalition, allerdings nicht in Nordrheinwestfalen, sondern im Deutschen Bundestag. Sie wird dort auch nicht di e Regierung stellen, sondern fordert einen Parlamentarischen Ethikbeirat, wie es ihn in der 16. Legislaturperiode gegeben hat, nun auch für die 17. Legislaturperiode. 241 Abgeordnete haben den entsprechenden Antrag unterzeichnet – immerhin zwei bioethische Dissidenten aus den Reihen der FDP , aber keiner aus den Reihen der Unionsparteien, die in dieser Frage offenbar bestrebt sind, die Geschlossenheit zu demonstrieren, die sie in Sachen Gesundheits-, Steuer- oder Bildungsreform seit längerem vermissen (lassen, mögen). Das ist bemerkenswert, weil es wohl kein bioethisches Thema gibt – von Abtreibung bis Vorsorgevollmacht – bei dem nicht der Fraktionszwang aufgegeben wird und Gruppenanträge die parlamentarischen Beratungen dominieren. Offensichtlich wird die Begründung, Weiterführung oder Neuetablierung von ethischen Beratungsinstitutionen seitens der Fraktionsspitzen als weniger heikel und individueller Gewissensentscheidungen bedürftig angesehen. Das ist nachvollziehbar – und auch wieder nicht: schließlich sollen Ethikgremien ja argumentative Pfade ins Dickicht aus Emotionen, Verpflichtetheit und Vorurteilen schlagen, die nicht nur im Bndestag die Diskussionen über Lebens- und Sterbensfragen oftmals bestimmen (wobei Emotionen hier durchaus auch ein Leitfaden sein können).

Der SPD-Politiker Renè Röspel (stammt aus Hagen, womit wir wieder ein bißchen in Nordrheinwestfalen wären…) hat letzte Legislaturperiode dem Ethikbeirat vorgesessen. Auf seiner Homepage findet sich eine tabellarische Übersicht über die Tätigkeit seines damals ja nur recht kurze Zeit tätigen Gremiums (das eine Art Trostpflaster dafür war, dass der Deutsche Ethikrat auf Wunsch des Parlaments ohne Parlamentarier auskommen sollte):

„1.) 23.04.2008 Sitzungs- und Terminplanung, Schwerpunkte inhaltlicher Arbeit
2.) 07.05.2008 Bericht des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu Forschungsthemen mit ethischer Relevanz durch den Parlamentarischen Staatssekretär Thomas Rachel
3.) 04.06.2008 Bericht des Bundesministeriums für Gesundheit zu ethisch relevanten Themen durch den Parlamentarischen Staatssekretär Rolf Schwanitz
4.) 24.09.2008 Bericht des Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, über die Arbeitsplanung und den Stand der Diskussion im Deutschen Ethikrat
5.) 17.12.2008 Bericht über die Ergebnisse der NanoKommission mit Staatssekretär a. D. Wolf-Michael Catenhusen (Vorsitzender der NanoKommission) sowie Vorstellung des Jugendgutachtens zu Chancen und Risiken sowie ethischen und sozialen Aspekten der Nanomedizin mit Dr. Katharina Zöller (Münchner Projektgruppe für Sozialforschung e. V.)
6.) 28.01.2009 Bericht über die Tätigkeit der Europäischen Gruppe für Ethik der Naturwissenschaften und der Neuen Technologien (EGE) mit Prof. Dr. Hille Haker, Mitglied der EGE, und Dr. Maurizio Salvi, Europäische Kommission
7.) 11.02.2009 Bericht des Vorsitzenden des Deutschen Ethikrates, Prof. Dr. Edzard Schmidt-Jortzig, über das Arbeitsprogramm des Deutschen Ethikrates für das Jahr 2009
8.) 25.03.2009 Gespräch zum Thema Chimären- bzw. Hybridbildung mit den Vertretern des Deutschen Ethikrates Prof. Dr. jur. Jochen Taupitz und Prof. em. Dr. med. Jens Reich
9.) 27.05.2009 Gespräch zum Thema Synthetische Biologie mit den Sachverständigen Prof. Dr. Ralf Wagner, Dr. Markus Schmidt und Dr. Joachim Boldt
10.) 17.06.2009 Beratung des Berichts über die Arbeit des Ethikbeirats
11.) 01.07.2009 Entscheidung über gutachterliche Stellungnahme zum Jahresbericht des Deutschen Ethikrates“
(Quelle: https://www.roespel.de/bt16/ethik.htm)

Interessant finde ich dabei, dass die ethisch wohl heikelste Entscheidung des 16. Deutschen Bundestages, das Gesetz über Patientenverfügungen (oder für Juristinnen und Juristen: das 3. Betreuungsrechtsänderungsgesetz), im Ethikbeirat gar keine Rolle spielte. Der Vorgänger des von manchen wenig geliebten Deutschen Ethikrates, der Nationale Ethikrat hatte sich immerhin bereits 2005 mit dem Thema Patientenverfügungen befasst (damals waren auch noch Parlamentarier in dem Gremium aktiv) – das wäre übrigens auch mal ein interessantes Untersuchungsthema: Der Einfluss der Beiträge aus der institutionalisierten Ethik auf die politische Willensbildung.

Das Thema wird hier, bei aller Skepsis gegenüber Räten, Beiräten, Komitees und Kommissionen weiter beobachtet werden. Mein Lieblingssatz aus der Agenturmeldung, die über die Forderung nach einem Ethikbeirat berichtet, ist übrigens: „Zugleich drohten Parlamentarier mit der erneuten Einrichtung einer Bundestags-Enquetekommission zu bioethischen Fragen.“ Und seid ihr nicht willig, so brauchen wir Gewalt….

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5 Lesermeinungen

  1. Radtke sagt:

    So interessant Ihr Beitrag ist...
    So interessant Ihr Beitrag ist – ungeachtet dessen ob man seiner Ausrichtung folgt – unterläuft Ihnen dennoch inhaltlich ein Fehler, den Sie darüber hinaus noch als Argumentationshilfe nehmen: Auch im Nationalen Ethikrat, dem ich seit 2003 angehörte, gab es keine aktiven Parlamentarier. Das war schon im ersten Einsetzungserlass ebenso festgelegt, wie dies auch für das Nachfolgegremium des Deutschen Ethikrates gilt.
    Dr. Peter Radtke
    Mitglied des Deutschen Ethikrates

  2. tolmein sagt:

    @Peter Radtke: Da haben Sie...
    @Peter Radtke: Da haben Sie recht…. aber so argumentationshelfend war diese Anmerkung gar nicht gemeint. Tatsächlich waren nur in der Bundestags-Enquetekommission Fachleute und Parlamentarier zusammen mit ethischen Fragen befasst….Mich interessiert: Fänden Sie ein parlamentarisches Gremium bereichernd? Würden Sie Ihre Ethikrats-Arbeit mit Parklamentariern in Ihren Reihen anders gestalten?

  3. Plindos sagt:

    Mag ja sein, dass ich ganz...
    Mag ja sein, dass ich ganz verstockt bin, womöglich erzkonservativ und von Gestern:
    Bin bisher durch mein Leben mit soliden einfachen, aus der Antike und Bibel her-rührenden ethischen Grundsätzen durch´s Leben gesteuert. Wo ich mit diesen bewusst kollidierte im Handeln tat´s zur Strafe in der Folge ordentlich weh. Je mehr um die Ethik ein Gewese gemacht wird um so fauler steht es um sie, im Staat wie in dem Gemeinwesen.
    Man muss sich doch nur genau ansehen, welche Interessenvertreter haarscharf an den bewährten Grundsätzen vorbei steuern wollen, dass sich da auf einmal eine solch grandiose Regelungswut ergibt.

  4. Lutz Barth sagt:

    Ich möchte hier meine...
    Ich möchte hier meine allgemeine Skepsis gegenüber „Ethikbeiräten“ – ob nun von, mit oder ohne Parlamentarier besetzt – anmelden, da diese in erster Linie nicht selten zur „Herrschaft von Experten“ über Grundsatzfragen der Ethik und Moral führen, obgleich wir uns in unserer Gesellschaft durch eine Wertepluralität auszeichnen, die prinzipiell auch verfassungsgeschützt ist. Besonders „heikle“ bioethische Themen werden in Ethikräten vielfach aus akademischer Perspektive angegangen, auch wenn sich dann im Ergebnis – teilweise sich in Sondergutachten widerspiegelnd – die nach wie vor „offenen Gräben“ zwischen einem gebotenem säkularen Verfassungsstaat und einer nach wie vor nach Macht strebenden „Kirchenmacht“ als unüberbrückbar herauskristallisieren.
    Besonders deutlich wird dies an dem aktuell von der BÄK heraufbeschworenen Dilemma der ärztlichen Suizidbeihilfe, in dem gar die Arztethik im Begriff ist, klerikale Züge anzunehmen und insofern sich jedenfalls in diesem Punkte kaum von den zentralen moraltheologischen Dogmen der katholischen Kirche unterscheidet. Ethische Grundsatzthemen sind vielmehr in die „Mitte“ der Gesellschaft hineinzutragen, denn von den Experten ist vielfach kein Meinungs- oder Richtungswechsel zu erwarten, ergreifen diese doch letztlich „Partei“ entweder für „transzendente Botschaften“, einem enthemmten ethischen Paternalismus der Ärzteschaft oder gar für die Relativierung des Selbstbestimmungsrechts, während demgegenüber aufgeklärte Experten in aller Regel mit Stigmata zu kämpfen haben und in der Folge vom Expertentum jedenfalls aus intraprofessioneller Perspektive grundsätzlich ausgeblendet werden.
    Abschließend darf vielleicht darauf hingewiesen werden, dass Parlamentarier ggf. allzu leicht der Versuchung erliegen könnten, ihre private „Werthaltung“ mit der Gewissensentscheidung eines Abgeordneten gleichzusetzen und insofern wird der Fraktionszwang – vorzüglich durch diejenigen, die ein „C“ in ihrem Parteinamen tragen – wohl dann in der Folge auch in die Ethikräte hineingetragen; eine Perspektive, die kaum der Wertepluralität gerecht wird, geht es doch gerade bei den aktuellen bioethischen Diskursen um Entscheidungen, die autonom zu treffen und vor allem auch zu verantworten sind. Wir brauchen also keine moralische und ethische Gleichschaltung in höchst persönlichen Entscheidung, sondern allenfalls mehr Toleranz.

  5. Lieber Oliver Tolmein,

    vielen...
    Lieber Oliver Tolmein,
    vielen Dank für den Blogbeitrag zur geplanten Einrichtung eines parlamentarischen Ethikbeirates.
    Auf zwei Punkte möchte ich hinweisen:
    – Als sich der damalige Nationale Ethikrat mit dem Thema Patientenverfügungen befasst hat, saßen keine Abgeordneten als Mitglieder in diesem Gremium. Vielmehr hat sich die Enquete-Kommission Ethik und Recht der modernen Medizin mit dem Thema befasst und einen umfassenden Bericht veröffentlicht.
    – Der Ethikbeirat hat sich mit dem Thema Patientenverfügungen nicht befasst, da man nach einer Aussprache im Beirat vereinbart hatte, sich nicht nochmals mit Themen zu befassen, zu denen bereits zahlreiche Berichte, Stellungnahmen und parlamentarische Vorlagen existierten.
    Wir wollten also nicht das Rad neu erfinden (so sinnvoll es auch immer sein kann, sich kontinuierlich mit dem Thema Patientenverfügungen zu befassen) und wir waren auch nicht der Auffassung, dass wir als Beirat dem Parlament wesentliche neue Gesichtspunkte hätten darlegen können.
    Das war auch der Grund, weshalb der Ethikbeirat in seinem nur kurzen Leben zunächst Berichte aus den Ministerien angefordert hatte, um jeweils aus deren Sicht Auskunft über ethische Fragen zu erhalten und Doppelarbeit – wo nicht sinnvoll – zu vermeiden.
    Ich würde mir wünschen, dass der Bundestag einen in seinen Kompetenzen und in seiner Mitgliederzahl gestärkten Ethikbeirat einrichtet; dann wäre übrigens auch jedwede Forderung nach einer neuen Enquete-Kommission überflüssig. Aus meiner Sicht zeigen gerade die aktuellen Berichte über den neuen „Forschungsdurchbruch“ von Craig Venter (Herstellung von „künstlichem Leben“), wie notwendig eine parlamentarische Begleitung der Lebenswissenschaften unter Ethikgesichtspunkten ist.
    Mit besten Grüßen
    René Röspel, MdB

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