Biopolitik

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Dieses Blog ist geschlossen. Es ist als Archiv über die biopolitische Debatte 2008 bis 2012 hier weiter einzusehen. Aktuelle Entwicklungen zum Thema

Ohne Wille keine Zwang? Sterilisation bei Betreuten

| 13 Lesermeinungen

Auch Bioethik hat ihre antizyklischen Seiten: Bei so viel Debatte über Selbstbestimmung und Menschenwürde wie gerade hat das Institut für Geschichte, Theorie...

Auch Bioethik hat ihre antizyklischen Seiten: Bei so viel Debatte über Selbstbestimmung und Menschenwürde wie gerade hat das Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin an der RWTH Aachen für dieses Wochenende ein Symposion über „Medizin Zwang Gesellschaft“´angesetzt.  Gerne hätte´ich jetzt geschrieben: Mal eine Tagung auf der das Wort „Patientenverfügung“ nicht vorkommt, aber das stimmt leider nicht. Der letrzte Vortrag am Samstag befasst sich mit der Frage „Patientenverfügungen als konkrete Teillösung eines Dilemmas?“ Nein,  ich kann auch nicht sagen, was ich mir darunter vorstelle, aber das Fragezeichen scheint mir hier aussagekräftiger als das Wort „konkrete“.

Mein Vortrag über „Das Problem der Sterilisation bei Nichteinwilligungsfähigen“ wird sich mit den innovativen Lösungen im bioethischen Kontext auseinander setzen: Weil Ende der 1980er Jahre schwer vorstellbar war, dass Zwangssterilisation bei Menschen mit geistigen Behinderungen in Deutschland erlaubt werden könnte, erfand die Politik in Paragraph 1905 BGB einen dritten Weg. Freiwillige Sterilisationen mussten nicht, Zwangssterilisationen konnten nicht gesondert geregelt werden, aber die Sterilisation, die „dem Willen der Betreuten nicht widerspricht“ klang anscheinend ganz annehmbar. Etwas was nicht mit dem Willen von jemandem geschieht, aber auch nicht gegen den Willen, würde also wohl „ohne Willen“ geschehen – praktisch fällt es mir schwer eine Sterilisation vorzustellen, die „ohne Willen“ der bzw. des Betreffenden (und damit eben auch nicht gegen dessen Willen) geschähe.

Eine der wenigen veröffentlichten Entscheidungen, die eine solche Sterilisation erlaubten, befasst sich mit einer knapp zwanzigjährigen Frau, die eine erhebliche Hirnschädigung hat, mit Anfällen lebt,  in Pflegestufe 2 eingestuft wurde und in einer stationären Einrichtung wohnt. Das Landgericht Ravensburg attestiert ihr unter Berufung auf ein psychiatrisches Gutachten, dass sie

niemals in der Lage sein (wird), die Hintergründe, Probleme und Zusammenhänge von Empfängnisfähigkeit, Geschlechtsverkehr, Schwangerschaft und Mutterschaft bezogen auf ihre spezielle Situation und unter Berücksichtigung langfristiger Perspektiven zu erfassen, abzuwägen und darauf aufbauend eine eigene Entscheidung zu treffen.

Gleichwohl habe sie aber einen Freund gehabt, weswegen eine Schwangerschaft möglich, wenn nicht geradezu wahrscheinlich  erscheine. Die Folgen einer solchen Schwangerschaft wären für die „hochsensible Frau“ verheerend, weil ihr das Kind weggenommen werden müsste, was sie vermutlich kaum verkraften würde. Verhütung zum Beispiel mit der Spirale wäre nicht möglich, weil sie bei der Frau, die nach Ansicht der Experten noch nie Geschlechtsverkehrt hatte, nur unter Risiken eingelegt werden könnte.   

Eine bemerkenswerte Konstruktion, die nicht nur die Logik strapaziert, sondern auch deutlich macht, wie eine Diskriminierung zwingend, aber im Ergebnis nicht gerade zwanglos, die nächste nach sich zieht. Dass Menschen mit geistigen Behinderungen keine Kinder groß ziehen können, trifft jedenfalls nicht zu. Nicht nur die skandinavischen Länder zeigen, dass es anders geht, auch in Deutschland exisiteren mittlerweile Projekte „unterstützter Elternschaft“.

Die Zahlen, die vom Bundesjustizministerium zusammengestellt werden, liessen dagegen etwas anderes vermuten, denn die Zahl der Sterilisationen nimmt nicht ab, sondern zu:1992 vermeldt die Statistik 65 genehmigte Sterilisationen, sieben Ablehnungen und 14 Fälle „sonstiger Erledigung“ (was immer das in diesem Kontext auch heißen mag). 1997 waren es 113 Sterilisationen, 21 Ablehnungen und 19 Fälle sonstiger Erledigung, 2009 wurden 137 Sterilisationen registriert und nur 13 Ablehnungen. Die Entwicklung der Zahlen erfolgt nicht linear (1996 und 2005 gab es Spitzen mit über 200 Sterilisationen), aber die Tendenz ist deutlich. Angesichts des in anderem Zusammenhang gerade im Betreuungsrecht viel zitierten Selbstbestimmungsrechtes erscheint das als wenig akzeptable Situation.

Sicher, das Thema ist nicht brandaktuell und es hat auch, anders als das Thema „Spätabtreibung“, keine starke Lobby – aber es ist auch ein Indikator dafür, wie weit wir von einer Gesellschaft entfernt sind, in der Diskriminierung Behinderter eine Erinnerung an schlechte alte Zeiten wäre….

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13 Lesermeinungen

  1. Marc B. sagt:

    Wurden in den Gutachten...
    Wurden in den Gutachten reversible, langfristige Verhütungs-Methoden der Sterilisation gegenüber gestellt? Implanon? drei-Monats-Spritze?

  2. schließe mich Marc B. an, mit...
    schließe mich Marc B. an, mit der weiteren Frage: Wurden Östrogen/Progesteron-Derivate („Pille“) in Betracht gezogen? Angesichts der Lebenssituation der Frau (betreutes Wohnen) und da sie eventuell eh Medikamente gegen das Anfallsleiden bekommt, erscheint mir das nicht sonderlich unpraktikabel? Und ethisch wesentlich unkomplizierter.

  3. tolmein sagt:

    @Marc B., Fries: Nein, in dem...
    @Marc B., Fries: Nein, in dem Verfahren, das 2005 beendet wurde, ging es nur um die Alternative Sterilisation / Spirale…..

  4. Marc B sagt:

    Dann möchte ich bitte...
    Dann möchte ich bitte geprüft haben, ob der Richter sich nicht der mittelbaren schweren Körperverletzung schuldig gemacht hat. Mit dem behandelnden Arzt als dolosem Werkzeug.

  5. Marc B. sagt:

    @ Hansjakob Fries: Ich kann...
    @ Hansjakob Fries: Ich kann verstehen, dass die „normale“ Pille nicht in Erwägung gezogen wurde. Die Frage der Compliance könnte unter den Bedingungen des betreuten Wohnens evtl noch in den Griff zu bekommen sein, aber die orale Gabe birgt Risiken, die bei intramuskulären Depotspritzen oder Implantaten zu vermeiden sind.

  6. OF sagt:

    @ Marc B: Eine kühner...
    @ Marc B: Eine kühner Prüfungsansatz (Körperverletzung durch den Richter).
    Zu beachten gilt:
    1) Richter wir auf Antrag tätig,
    2) Richter handelt im Rahmen der Eingriffsermächtigung,
    3) Richter weist nicht einem Arzt zu,
    4) Arzt kann Eingriff verweigern.
    Da würde noch eher der Richter als doloses Werkzeug des Antragstellers durchgehen, was nachtürlich auch nciht haltbar ist.

  7. Jerchel sagt:

    @Hansjakob Fries: Vielfach...
    @Hansjakob Fries: Vielfach kommt hormonelle Kontrazeptiva gar nicht in Betracht bei medikamentös zu behandelnden Anfallsleiden. Die meisten Präparate sind bei gleichzeitiger Einnahme von Antiepileptika wirkungslos. Natürlich wären Ausnahmen zu prüfen gewesen.

  8. Marc B. sagt:

    @OF: Wir sind im...
    @OF: Wir sind im Familienrecht, da hat nach §26 FamFG der Richter eine Ermittlungs- und Aufklärungspflicht. Anders als nach der ZPO ist er also nicht auf den Antrag und das Parteienvorbringen beschränkt. Er hätte reversible Verhütungsmittel in die Abwägung einbeziehen müssen.

  9. rene talbot sagt:

    Der von Oliver Tolmein eher...
    Der von Oliver Tolmein eher bestrittene Zusammenhang von Verbot der Zwangs-Sterilisation und Patientenverfügungsgesetz ist im Gegenteil ganz eng:
    Es ist an sich ein Rechtgrundsatz, dass man für die Aufhebung einer Willenserklärung die gleichen Fähigkeiten braucht, wie für die Willenserklärung selbst. Das heißt z.B., wenn jemand ein Testament macht und widerruft es, muß diese Person in beiden Fällen testierfähig sein, sonst geht das nicht.
    Der Wille eines nicht mehr Einsichtsfähigen ist im Betreuungsrecht schon in einer Vorschrift geschützt – bei der Sterilisation. Dort heißt es: Eine Sterilisation gegen den Willen ist unzulässig. Gegen den Willen, das ist eindeutig jeder Wille, auch wenn er nicht von einer Einsichtsfähigkeit getragen ist, ist hinreichend für die Illegalität dieses Eingriffs. Genau entsprechend hat der Gesetzgeber im Patientenverfügungsgesetz formuliert und damit müssen jetzt alle psychiatrische Zwangseinweisungen und Zwangsbehandlungen so gesehen werden: Sie sind unzulässig, wenn sie nicht ausdrücklich durch eine positive psychiatrische Vorausverfügung (siehe z.B. im Internet: https://www.psychiatrie-erfahren.de/positivestestament.htm ) legitimiert wurden (und selbst die könnte dann ja noch als widerrufen gesehen werden 🙂
    Auf diese Wirkung des neuen Gesetzes habe ich in diesem Blog schon mal mit den „Hinweisen für Richter, Betreuer und Psychiater“:
    https://www.patverfue.de/hinweise.html gezeigt.
    rene talbot

  10. anonym sagt:

    Hallo,
    ich habe eine...

    Hallo,
    ich habe eine geistigbehinderte Tochter.Sie ist 23 Jahre und lebt in einem Wohnheim.Als sie eingezogen ist, haben wir mit „Verhütung“ begonnen.Die erste Methode war duie 3-Monatsspritze.Es fielen die Haare aus und sie hat stark zugenommen.So haben wir zur Pille gewechselt.Die Haare sind darauf nicht mehr ausgefallen ,aber sie hat starke Kramfadern bekommen und die erste Venen-OP steht jetztan.Die zweite ist auch schon geplant!2Vollnarkosen!Operationen gegen ihren. Willen,aber lebensnotwendig wegen Thrombosegefahr.5 Jahre schon nimmt meine Tochter nun schon Hormone,bestimmt kein Segen für ihre GesundheitWeitere viele Jahre werden noch folgen.Was machen wir bloß mit den Körpern unserer Angehörigen…es steht fest ,daß meine Tochter immer Hilfe in ihrem Leben angewiesen sein wird .Sie ist inkontinent und trägt auch nachts noch große Einlagen.Sie kann nicht rechnen und lesen und braucht auch in vielen anderen Lebensbereichen Unterstüzung und Hilfe.Wie soll sie dann ein Kind verantwortungsbewußt großziehen?Würden Sie als Eltern und Betreuer einer Tötung(Abtreibung)ungeborenen Lebens zustimmen?Ich niemals!!Dies ist aus ehtischen und menschlichen und religiösen Gründen einfach nicht vertretbar!Würden Sie zuschauen ,wenndas gebohrene Kind Ihrer Tochter weggenommen wird und in eine Pflegefamilie gebracht wird?Ich würde mich als Großmutter immer auch für dieses Kind verantwortlich fühlen und es inder Liebe und Fürsorge ,,seiner Familie,,aufwachsen lassen wollen.Vor all`diesen Gewissensbelastungen sowie ethischen Verantwortungen und gesundheitlilichen Risiken durch jahrelange Hormongaben wäre eine Sterilisation die einfachste und beste Lösung für alle Beteiligten.Meiner Tochter würde die Situation der Geburt,die Pflegschaft ihres Kindes in einer fremden Familie,und viele weitere Situationen erspart.Sie könnte eine auch sexuel erfüllte Partnerschaft haben ohne gesundheitliche Risiken,die bei allen anderen Methoden der Verhütung viele Jahre da sind…………..ich komme mir immer vor,ich wäre mit meinen Gedanken nationalsozialistisch…………………. was für für eine verkehrte Welt…..

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