Innerhalb weniger Wochen wird nach dem aktuellen Sterbehilfeverfahren das zweite aus biopolitischen Gründen relevante Verfahren vor einem Strafsenats des Bundesgerichtshofes verhandelt werden. Am 6. Juli 2010 befasst sich der 5. Strafsenat mit der Frage, ob die Revision der Staatsanwaltschaft Berlin gegen einen Berliner Reproduktionsmediziner Erfolg hat, der vom Landgericht Berlin von der Anklage wegen Verstoßes gegen das Embryonenschutzgesetz freigesprochen worden ist. Es geht in dem Verfahren, das einen recht komplizierten juristischen Verlauf hat, um die Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik, die nach bislang herrschender Auffassung in Deutschland durch das Embryonenschutzgesetz verboten ist. Allerdings hat die Generalbundesanwaltschaft im Vorfeld der Verhandlung bereits angekündigt, das Verurteilungsbegehren der Berliner Staatsanwaltschaft nicht mittragen und stattdessen auf Freispruch plädieren zu wollen.
Das ist die Geschichte,die dem Verfahren zugrunde liegt:
Ein Berliner Gynäkologe, Arzt in einem auf In-Vitro-Fertilisation spezialisierten „Kinderwunsch“-Zentrum, hatte “ bei drei Paaren außerhalb des Mutterleibs befruchtete Eizellen in die Embryokultur übernommen. In allen drei Fällen beansichtigte er diese im so genannten Blastozystenstadium zwecks Aufdeckung möglicher genetischer Auffälligkeiten präimplantationsdiagnostisch zu untersuchen. In allen drei Fällen entdeckte er auch genetische Besonderheiten bei einzelnen Embryonen und ließ diese daraufhin, wie es die potenziellen Eltern gewünscht hatten, ohne eine Schwangerschaft herbeizuführen, absterben.
Der Gynäkologe hatte auch von vornherein vor einen Präzedenzfall zu inszenieren und zeigte sich wegen Verstoßes gegen das Embryonenschutzgesetz selbst an. Was dann folgte ist ein Beispiel für die Ratlosigkeit der Justiz im Umgang mit biopolitisch motivierten Gesetzesverstößen. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren, kaum dass sie es eröffnet hatte, zuerst selber wieder ein. Nach Auffassung der zuständigen Juristin handelte der Gynäkologe im unvermeidbaren Verbotsirrtum, da er sich nämlich vor seiner Aktion ein Rechtsgutachten hatte erstellen lassen, das die Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnose begründete. Wieso der Arzt, wenn er denn von der Erlaubtheit seines Handelns so restlos überzeugt war, Selbstanzeige gestellt hatte, blieb dabei eher ungeklärt. Nach einem Dezernentenwechsel in der Anklagebehörde wurde die Angelegenheit überprüft. Von Verbotsirrtum war jetzt keine Rede mehr, stattdessen erhob der neue Staatsanwalt Anklage, das Landgericht Berlin weigerte sich aber die Hauptverhandlung zu eröffnen, weil es im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft keinen Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz zu erkennen vermochte. Daraufhin legten die Ankläger Beschwerde beim Kammergericht Berlin ein, das ihnen recht gab und in einer ausführlich begründeten Entscheidung Verstöße gegen das Embryonenschutzgesetz annahm. Das Verfahren wurde sodann vor einer anderen großen Strafkammer des Landgerichts angeklagt und verhandelt – bis zu dem Freispruch, der jetzt die Gemüter und demnächst den Bundesgerichtshof beschäftigt.
Dass dieses Urteil eine neue Grundsatzdebatte über den Beginn des Lebens und den Umgang mit Embryonen auslösen wird, und damit eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes in Gang setzt, erscheint zumindest gut möglich.
Die streitige Vorschriften lauten:
Gesetz zum Schutz von Embryonen- Embryonenschutzgesetz
§ 1 Mißbräuchliche Anwendung von Fortpflanzungstechniken
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer
1. auf eine Frau eine fremde unbefruchtete Eizelle überträgt,
2. es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt,
3. es unternimmt, innerhalb eines Zyklus mehr als drei Embryonen auf eine Frau zu übertragen,
4. es unternimmt, durch intratubaren Gametentransfer innerhalb eines Zyklus mehr als drei Eizellen zu befruchten,
5. es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen,
6. einer Frau einen Embryo vor Abschluß seiner Einnistung in der Gebärmutter entnimmt, um diesen auf eine andere Frau zu übertragen oder ihn für einen nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck zu verwenden, oder
7. es unternimmt, bei einer Frau, welche bereit ist, ihr Kind nach der Geburt Dritten auf Dauer zu überlassen (Ersatzmutter), eine künstliche Befruchtung durchzuführen oder auf sie einen menschlichen Embryo zu übertragen.
(2) Ebenso wird bestraft, wer
1. künstlich bewirkt, daß eine menschliche Samenzelle in eine menschliche Eizelle eindringt, oder
2. eine menschliche Samenzelle in eine menschliche Eizelle künstlich verbringt, ohne eine Schwangerschaft der Frau herbeiführen zu wollen, von der die Eizelle stammt.
(3) Nicht bestraft werden
1. in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1, 2 und 6 die Frau, von der die Eizelle oder der Embryo stammt, sowie die Frau, auf die die Eizelle übertragen wird oder der Embryo übertragen werden soll, und
2. in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 7 die Ersatzmutter sowie die Person, die das Kind auf Dauer bei sich aufnehmen will.
(4) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 6 und des Absatzes 2 ist der Versuch strafbar.
§ 2 Mißbräuchliche Verwendung menschlicher Embryonen
(1) Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer Frau vor Abschluß seiner Einnistung in der Gebärmutter entnommenen menschlichen Embryo veräußert oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung einer Schwangerschaft bewirkt, daß sich ein menschlicher Embryo extrakorporal weiterentwickelt.
(3) Der Versuch ist strafbar.
Sie können diese s Blog gerne kommentieren, allerdings wird es etwas dauern, bis ich die Kommentare freischalten kann, weil auch der Blogger mal Urlaub macht: bis zum 9. Juli auf einem hohen Berg ganz ohne Internet….
Ist die Selektion und...
Ist die Selektion und Vernichtung von Embryonen außerhalb eines Mutterleibes , nachdem bei einer PID gravierende Erbschäden angenommen werden, nicht „nur“ eine verfrühte Abtreibung, die einer werdenden Mutter vie Leid ersparen würde?
1. Ein Verbot der...
1. Ein Verbot der Implantationsdiagnose zwingt eine Mutter mit einem Erbleiden, das sie nicht an ihr Kind weitergeben will, zu einer Schwangerschaft auf Probe -ggfl. bis zur Abtreibung im 3.-4. Schwangerschaftsmonat.
2. Eine befruchtete Eizelle lässt sich mit der gleichen rechtlichen Begründung verwerfen, mit der ein betroffener Foet verworfen wird: die Mutter würde durch das behinderte Kind Schaden nehmen.
3. Behinderte werden nicht dadurch diskriminiert, dass Eltern eine Behinderung ihrer Kinder verhüten. HIV, Diabetes, amyotrophe Lateralsklerose und Krebs sind schwere Krankheiten und niemand fühlt sich durch Maßnahmen diskriminiert, mit denen sie vermieden werden.
4 Unsägliche Schachtelsätze -siehe 2. Abschnitt, 1. Satz- machen Herrn Tolkiens lesenswerten Beitrag kaum lesbar.
@K. Döring: Ja, so sehe ich...
@K. Döring: Ja, so sehe ich das auch! Offenbar sind manche Menschen nicht in der Lage oder Willens die ganze Situation zu überblicken, d.h. auch die Interessen der Mutter zu berücksichtigen.
@ J. Spranger: Sie bringen es auf den Punkt und zwar von Punkt 1-4! … Herr Tolkien 😉
Sehr begrüßenswert ist das BGH-Urteil zur PID! Zur Klarstellung:
1. PID hat nichts mit der „Schönen Neuen Welt“ und Design- oder Wunschbabys zu tun. (Wird immer wieder von PID-Gegnern als Schreckensszenario angeführt). Wer richtig oder ausreichend informiert ist, weiß das!
2. Ebensowenig werden durch die Zulassung der PID Behinderte diskriminiert. Der Wunsch nach einem gesunden Kind enthält keinerlei Aussagen über Menschen mit Behinderungen, auch nicht mittelbar!