Die neue NRW-Sozialministerin Barbara Steffens (Bündnis 90/Grüne) fordert, berichten die Medien, nach „Vorfällen“ in Altenheimen eine Eingreiftruppe für Pflegeheime. Es mag an meiner politischen Sozialisation in den frühen Siebziger Jahren liegen, dass ich bei Eingreiftruppe immer an die GSG 9 denke, an schnelle Autos, Abseilen aus Hubschraubern und den Einsatz von Blendschockgranaten. Eingreiftruppen handeln schnell, ihre Chefs denken in Notstandskategorien, wägen Risiken gegen Nutzen ab und schlagen dann möglichst effizient zu. Am Ende ist (bestenfalls) die akute Krise bewältigt und die Öffentlichkeit freut sich über die Leistungsstärke der Eingreiftruppe oder beklagt deren schlechte Ausstattung, Ausbildung oder Auftragslage. Skandal besiegt, sonst nichts verändert. Ja, mag sein, dass es nicht anders geht (vielleicht aber schon) und Nein, ich bin trotzdem kein Freund der Eingreiftruppen. Für die Bekämpfung von Mängeln in der Pflege erscheint mir ein, wie es serienfreundlich mittlerweile so schön heißt, Task Force Konzept aber besonders ungeeignet: Wenn in Pflegeheimen schlecht qualifiziertes Personal arbeitet, manchmal so schlecht, wie es zu erwarten ist und manchmal so gut es kann, bisweilen vielleicht sogar besser, dann sind Mängel in der Pflege zu erwarten. Angesichts der dort lebenden Menschen, die einen hohen Hilfebedarf haben, die oft krank sind und selten vor Gesundheit strotzen, hat eine schlechte Versorgung absehbar schlimme Konsequenzen: Menschen werden kränker, hilfebedürftiger, sie leiden, sie sterben schnell oder jedenfalls früher als wenn sie gut versorgt werden würden. In einem Land, das sich eine Pflegeversicherung leistet, die die Kosten der notwendigen Pflege nicht decken kann und soll, in dem Pflege miserabel bezahlt wird und ein schlechtes Image hat, in dem seit Jahren über den Pflegenotstand geredet wird und am Ende als engagierteste Maßnahme Internetseiten geschaffen werden,auf denen die Heime nach seltsamen Kritierien mit Noten bewertet werden, ist die Idee mit einer Eingreiftruppe etwas ändern zu können nicht einmal originell.
Origineller wäre schon die Frage, warum es eigentlich überhaupt Altenpflegeheime geben muss (und auch noch so viele)? Für eine Ministerin, die auch das schöne Wort Emanzipation als Ressortbezeichnung trägt, wäre es angemessen, wenn sie politische Konzepte entwickelte, wie zumindest mittelfristig die klassich fürsorglich orientierte Pflege im Alltag durch persönliche Assistenz (fragen Sie bei der Behindertenbewegung nach) ersetzt werden könnte. Man stelle sich einmal vor, ein Großteil der Neugeborenen würde nach der Geburt in Säuglingspflegeheime verlegt werden, weil angeblich nur dort die erforderliche aufwändige Pflege zu leisten wäre, und regelmäßig würden schlecht versorgte Babies in den nahegelegenen Krankenhäuser wegen Druckstellen, schlechter Ernährung etc. pp.behandelt werden müssen. Vermutlich würde kaum jemand auf die Idee kommen, eine Eingreiftruppe für Säuglingspflegeheime zu schaffen um auf die schlimmsten Missstände dort aktuell reagieren zu können – naja, vermutlich käme dann doch jemand auf die Idee, aber irgendjemand würde vielleicht auch anregen ein Elterngeld zu bezahlen und ein Umdenken in der Gesellschaft anzuregen, die Säuglinge doch zu Hause zu versorgen, was, ich weiß, für alte pflegebedürftige alte Menschen nicht die Patentlösung ist, sie sind ja auch keine Säuglinge mit Zukunft, sondern Menschen mit Geschichte, was aber nicht gerade ein guter Grund dafür ist, sie der Art von Pflege auszusetzen, der sie ausgesetzt werden….
Das ändert natürlich nichts daran, dass solange alles so ist, wie es ist, wenigstens die schlimmsten Auswüchse verhindert werden müssen – und auch eingedenk aller strukturellen Mängel gibt es ja heute Pflegeheime, in denen die Menschen passabel versorgt werden und es gibt Einrichtungen in denen das nicht gelingt. Auch beklagt die Deutsche Hospizstiftung zu Recht, dass Falschparken konsequenter geahndet wird, als Körperverletzung in der Pflege – auch das gehört zum erforderlichen Umdenken: Das Bewußtsein der Betroffenen und Ihrer Angehörigen, dass schlechte Versorgung nicht als Schicksal hinzunehmen ist und das Wissen darum, dass man dagegen auch vorgehen kann. Das ist und bleibt aber allenfalls ein Akt individueller Notwehr, die politischen Konzepte müssen weiter reichen und grundsätzlicher ansetzen.
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"Eingreiftruppe" - das ist...
„Eingreiftruppe“ – das ist militärische Begrifflichkeit. Hat sich Frau Steffens, die als Grüne doch eher friedliebend und eher kein GSG-9-Fan sein sollte, da schlicht und einfach ungeschickt ausgedrückt? Oder steckt dahinter jene militärische Mentalität, die – Kompromiss-, Koexistenz-, Abrüstungs- und anderen Verhandlungslösungen abhold – unseren Kampf gegen Sterben und Tod bestimmt? Militärischer Sprachgebrauch ist mir auch in Schirrmachers Bestseller „Das Methusalem-Komplott“ aufgefallen, wo der Leser schon zu Beginn so eingestimmt wird:
„Sie wissen es zwar noch nicht, aber Sie gehören dazu. Da Sie imstande sind, dieses Buch zu lesen, zählen Sie zu denjenigen, denen der Einberufungsbescheid sicher ist. Die große Mobilmachung hat begonnen. Im Krieg der Generationen sind sie dabei.“
Und später: „Unsere Mission ist es, alt zu werden. Wir haben keine andere. Es ist die Aufgabe unseres Lebens. Sie müssen lernen … 70, 80 oder auch 90 Jahre alt zu werden … Es wird viele geben, die Ihnen Fahnenflucht und Desertion, zum Beispiel den Freitod, anbieten werden …“
„Militaristen“ wie Schirrmacher oder Steffens möchte ich aus der Sicht des Historikers Folgendes zu bedenken geben: Auf Teufel komm raus die Front gegen den Feind (den Tod) halten zu wollen ist oft kontraproduktiv, schwächt die eigene Position und stärkt die des Feindes. Heilsam dagegen ist oft eine Frontverkürzung durch taktischen Teilrückzug, wenn man die so eingesparten oder geschonten Kräfte (Krankenschwestern als Soldaten, Ärzte als Offiziere, hochgerüstete Apparatemedizin als Waffen/Gerät) an anderen Stellen der Front einsetzt. Solch eine Frontverkürzung könnte die Zulassung der Sterbehilfe sein, wenn der Moribunde sie bei klarem Verstand über einen längeren Zeitraum verlangt.
Es gibt ja, was die Altenheime...
Es gibt ja, was die Altenheime betrifft, eine Heimaufsicht, meist beim Landratsamt angesiedelt, die im Idealfall durchaus umgehend reagiert und einer Beschwerde von Angehörigen nachgeht. Aber ein bißchen mehr als auf die Pflegebedürftigen achten die Heime auf die Vollständigkeit der zur Vorschrift geworden Pflegeprotokolle. Also wird die Heimaufsicht fast immer nur konstatieren können, daß alles in Ordnung ist. – Die Androhung und Erstattung von Strafanzeigen wegen Körperverletzung haben wir noch nicht ausprobiert. Der behandelnde Arzt als Zeuge wird sich wahrscheinlich auch winden…
Nach meiner Wahrnehmung ist Ihre Feststellung durchaus zutreffend, daß die Pflegemißstände vor allem unzureichendem Personalstand und mangelnder Qualifikation anzulasten sind. Und die häufigen Fälle von Dehydrierung alter Menschen lassen sich auf die Logik des Personals zurückführen „Wer viel trinkt, muß öfter mal und das macht wieder Arbeit. Ausserdem ist zu viel trinken nicht gut fürs Herz“. Wir haben die Erfahrung gemacht, daß häufige unangemeldete Kurzbesuche und konkrete Nachfragen hilfreich sein können, aber sie sind leider auch deprimierend, weil man dann oft erst das volle Ausmaß der Pflegemisere wahrnimmt…
Menschen sind individuell,...
Menschen sind individuell, sehr geehrter Herr Tolmein!
Sie bringen die Sache zur Sprache, die, wenn Sie Einblick ins System haben, immer schon hätten beobachten können.
Als junges Mädchen machte ich mein Praktikum in einer renommierten Uniklinik – auf der Säuglingsstation. Um Konstantin Wecker zu zitieren: “ Die Ärzte waren freundlich, die Pfleger gepflegt und sie lächelten, sie lächelten unaufhörlich“! Damals gabs nur weibliches Pflegepersonal, auch Hebammen und das war – zumindest auf der Kinderstation einfach nur professionell in der zu verrichtenden Versorgung. Man unterhielt sich über die Kinder hinweg über private Belange, über den Film, den man tags zuvor sah etc. Ich habe nicht bemerkt, daß ein Kind mal über längere Zeit im Arm gehalten, gestreichelt, auf das Kind eingegangen wurde. Der Begriff „Hospitalismus“ ist Ihnen sicher bekannt. Im Übrigen, damals gabs noch keinen Pflegenotstand!
Auf der Privatstation gabs wenigstens eine offene Veranda, auf die die Kinder im Bett gebracht werden konnten, um die Häschen im Park zu sehen.
Ich sah es damals auch als „Notwehr“, meinetwegen sagen Sie auch „Bestechung“ der betroffenen Eltern an, dem Pflegepersonal reichlich Trinkgelder zuzustecken, damit sie ihr Kind gut versorgt zu wissen glaubten.
Ich denke, dasselbe findet heute in den Alten-und Pflegeheimen ( in Krankenhäusern ohnehin) statt. Was ich von Freunden höre, bestätigt meine Auffassung und – schlechte Meinung!
Politische Konzepte, die weiter reichen Herr Tolmein? In einer Gesellschaft, die sich über 3 Jahrzehnte nur selbst verwirklicht hat? Entweder verfügen Sie über Empathie oder nicht. Zwangsverordnen können Sie die nicht. Einklagen? Ich weiß nicht, dies verteuert nur wieder das System. Vorbildliche Menschen in Leitungsfunktionen – das könnte schon eher Signalwirkung ausüben!
In jedem Fall zeigt die...
In jedem Fall zeigt die Erfahrung, daß Rechte sich nicht von selbst verwirklichen. Dies trifft umso mehr auf die Schwächsten der Gesellschaft zu. Folge: was überall sonst als Hausfriedensbruch, Körperverletzung oder unterlassene Hilfeleistung geahndet würde, wird in Pflegeeinrichtungen als „Pflegenotstand“ verharmlost. Wer schon einmal die Erfahrung gemacht hat, wie wenig Unterstützung für einen alten oder behinderten Menschen zur Durchsetzung seiner Bürgerrechte in „Einrichtungen“ bereit steht, mag sich allerdings ein Instrumentarium zur Rechtsverwirklichung wünschen.
„Eingreiftruppe“ ist sicher ein schlecht gewählter Begriff. Entgegen der ansonsten folgenlos langatmigen Diskussionen um „Pflegenotstand“ impliziert er immerhin zeitnahe Reaktion. Um letztere muß es gehen.
Es ist die Ursache auf einen...
Es ist die Ursache auf einen sehr einfachen Nenner zu bringen: Die Zerstörung der Familie (mehr oder weniger schleichend) in den letzten 200 Jahren und die Säkularisation der Klöster, die einen enormen Beitrag für damaligen Gesellschaften leisteten um Bedürftige aufzufangen. Hierüber gibt es sehr interessante sozio-geschichtliche Arbeiten, spez. über die Auswirkungen der S. in den Rheinlanden.
Ihren wohlambitionierten...
Ihren wohlambitionierten Artikel in seinem guten Willen zu schätzen, fällt leicht. Die Benennung des Schicksals als Begründung für unzureichende Betreuung und Pflege, auch in Bezug auf den Beitrag von A. Munthe in der Säuglingsstation winkt mit dem sogenannten Zaunpfahl gen Himmel. Von dort wird aber keine Hilfe kommen! Ob GOTT tot ist oder er gar nicht existiert dürfte als rein rhetorische Frage verstanden werden, um Verantwortung und Menschenwürde auf eine Metha- Ebene zu rücken und sich den ebenso ausgehöhlten Menschenrechten um Würde und Anerkennung nicht stellen zu müssen.
Als Pflegerin arbeitete ich in diversesten Institutionen, fand mich 2fach vor dem Arbeitsgericht wieder, weil ich mich bemühr hatte, die katastrophalen Zustande in manchen Orten zu verändern, wo die hilflosen Leute in dunklen „Nasszellen“ zur Strafe eingesperrt wurden, weil sie inkontinent waren. In ihren Pflegebetten „landeten“ sie mit aktiviertem „Sicherheitsgitter“, wenn omnipotente Schwestern dies für geeignete, „erzieherische“ Maßnahmen hielten. Die Zustände in diesem Heim konnten wir im Team erfolgreich beheben, indem die Aufsichtsbehörde unangemeldet eintraf und keine Abmilderungen der Mißstände mehr eingeleitet werden konnten.
Woanders wurden Zweitzimmer zwangsweise eingeführt, weil es effizienter war.
Nie werde ich die Hilflosigkeit und Desorientierung wegen dem Geschehen in den lieben, verwelkten Gesichern vergessen, die den Verlust ihrer Intimsphäre nicht mehr verkraften konnten. Es ist das „gebrochene“Herz, was zum Velust der Freude und des letzten Lebenswillens führt, der VERTRAUENSBRUCH.
Aussagkräftige Ursachen sind gut wahrgenommen: generell viel zu wenige Mitarbeiter/innen mit häufig unzureichenden Ausbildungen oder Motivation, sich real mit den alten Menschen als Lebenssituation zu verbinden, was durch die Deklassierung des Berufsbildes einhergeht. Die Gründe dafür sind hausgemacht im Kapitalismus beinhaltet. Die Selbst- Entfremdung des Menschen dient dem Markt, nicht den Lebens- Prozessen in ihrer existentialistischen Ontologie.
Humanitäre Skandale medial beschreibbar zu gestalten und als Sensation zu verkaufen, härtet menschliche Herzen, die dadurch fühllos werden. WIE kann fremdes Leid uns so noch wirklich berühren?
Ich habe das Empfinden Das die...
Ich habe das Empfinden Das die Altenpflege in erster Linie zu einem guten Geschäft geworden ist. Kontrollen durch die Heimaufsicht sind schon ein Fortschritt, habe aber auch das Gefühl das in erster Linie die Dokumentation steht ,stimmt die Doku, ist alles Andere ,sogut wie gegessen. Es wird immer von fehlenden Fachkräften gesprochen aber nie davon ,wie die Ausbildung heute aussieht.Da sollten die einzelnen Häuser mal geprüft werden. Ich kann aus eigener Erfahrung sagen das ein Auszubildender in den meisten Fällen eine billige Arbeitskraft ist ,meistens alleine Arbeiten verrichten muß und dem Fachpersonal die nötige Zeit zur regelmäßigen Kontrolle und Begleitung fehlt.
Gerade die jungen Leute die heute in der Ausbildung sind sollten unterstützt, motiewiert eben gut ausgebildet werden, dann wären diese Eingreifgruppen von vornherein überflüssig.
Der Berufsverband Pflegeberufe...
Der Berufsverband Pflegeberufe hat inzwischen speziell dazu eine Stellungnahme geschrieben, und die Äußerungen der Ministerin in den Zusammenhan der pflegepolitischen Debatte gestellt:
https://www.good-care.de/?p=529#more-529