Wenn der Postmann zweimal klingelt ist ein Film, an dessen Titel ich mich öfters erinnere, dessen Inhalt mir aber nicht sonderlich präsent ist. Mit dem Bundesgesundheitsministerium ist es genau umgekehrt… Oder etwas anders akzentuiert: Es geht um zwei Mitteilungen, die mich,wenngleich ohne Klingeln, fast gleichzeitig per Post erreicht haben: Am Montag lag in meinem Postfach in der Kanzlei ein Widerspruchsbescheid des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte: Der Selbstanbau von Cannabis wird meinem schwerkranken Mandanten, einem Schmerzpatienten, dem Medikamente nicht helfen, dadurch auch weiterhin verwehrt. Aus den Akten weiß ich: die Direktive für die harte Haltung der Behörde kommt aus dem Bundesgesundheitsministerium, das in unserem Verfahren einen Musterprozess sieht und offenbar auf keinen Fall den Selbstanbau von Cannabis genehmigen möchte. Sie werden sich dahder vorstellen können, wie sehr mich die Pressemitteilung der FDP Politikerin Ulrike Flach begeistert hat, die tags darauf, am Dienstag, in meinem E-Mail-Postfach lag und aus der in schönem Einklang „Bild“und „taz“ die Erkenntnis gewonnen haben, dass künftig „Kiffen auf Rezept“erlaubt (und von den Krankenkassen bezahlt) werden könnte.
„Zur geplanten Änderung des Betäubungsmittelrechts erklärte die Stellv. Fraktionsvorsitzende und gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Ulrike Flach: Die Koalitionsfraktionen haben über eine Änderung des Betäubungsmittelrechts beraten. Um cannabishaltige Fertigarzneimittel zulassen und für Patienten verschreiben zu können, soll nach einer Vorlage des Bundesgesundheitsministeriums eine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes erfolgen. Diese soll dafür Sorge tragen, dass in Deutschland cannabishaltige Arzneimittel hergestellt und als Therapieoption verschrieben werden können. Die Änderungen bringen auch eine bessere Versorgung schwerstkranker Menschen in ihrer letzten Lebensphase mit Schmerzmitteln. Zukünftig sollen Heime, Hospize und Palliativ-Care-Teams Notfallvorräte für nicht mehr benötigte, patientenindividuell verschriebene Betäubungsmittel anlegen dürfen. Damit stehen schwerstkranken Menschen jederzeit schmerzlindernde Mittel zur Verfügung. Die Änderung ermöglicht auch eine freiere Entscheidung zwischen einer Pflege zu Hause, in einem Hospiz oder einer stationären Versorgung im Krankenhaus.“
Daran ist insbesondere eines richtig: Wenn überhaupt profitieren von den geplanten Änderungen Schmerzpatienten in der letzten Lebensphase, denen mit cannbinoid-haltigen Medikamenten geholfen werden kann.Diese Gruppe von Patienten hat allerdings schon heute zumindest passable Chancen, sich die Verschreibung und Kostenerstattung für entsprechende Medikamente auf Basis der sogenannten „Nikolaus“-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6.Dezember 2005 zu erstreiten (allerdings müssen diese Patienten auch oftdarum streiten -und Menschen, die bald sterben werden, haben oft nur wenig Energie auch noch gerichtlich gegen Krankenkassen vorzugehen).
Für die Schmerzpatienten, die noch eine lange Lebensphase vor sich haben, deren Erkrankung zwar schwer ist und das Leben erheblich beeinträchtigt, die aber nicht akut lebensbedrohlich ist, sieht das voraussichtlich anders aus. Das gilt vorallem für die auch nicht so kleine Gruppe von Patienten, bei denen auch Medikamente mit Auszügen der Cannabis-Pflanze deutlich schlechter helfen, als diePflanze selbst, bei denen also tatsächlich „Kiffen auf Rezept“geboten ist und nicht die Einnahme von Tropfen, die aus der Hanfpflanze gewonnen werden.
Dass Cannabis als Medizin zudem erheblich preisgünstiger ist, als die entsprechenden Medikamente, könnte in der sonst stets um Kostenfragen kreisenden gesundheitspolitischen Debatte auch eine gewisse Rolle spielen. Tut es aber nicht. Stattdessen argumentiert das Bundesamt für Arzneimittel gegen den Selbstanbau von Cannabis durch schwerkranke Patienten mit Sicherheitsbedenken und mit Verweis auf internationale Verträge, die entsprechende Genehmigungen unmöglich machten, zumindest so lange es keine für die Kontrolle dieses Anbaus zuständige Bundes-Cannabis-Agentur gibt. Nun streiten sich die Gelehrten,ob das wirklich erforderlich ist, aber selbst wenn: Iim Bundesamt für Arzneimittel gibt es bereits eine Bundesopiumstelle, warum sollte also nicht zur Not auch eine Cannabis-Agentur eingerichtet werden können, die hier in Deutschland ähnlich liberale und fürPatienten hilfreiche Arbeit leistet, wie entsprechende Stellen zumBeispiel in Kanada.
Die wissenschaftlich orientierte Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin hat übrigens auch Kritik an der Erklärung der Bundesregierung:
Die Mitteilung der FDP ist irreführend, denn für Patienten, die von einer Therapie mit Cannabisprodukten profitieren ändert sich zunächst nichts. Das Bundeskabinett will keine Änderung des Betäubungsmittelgesetzes, sondern hat lediglich beschlossen, dass Medikamente auf Cannabisbasis arzneimittelrechtlich zugelassen werden dürfen, wenn ein pharmazeutischer Unternehmer einen solchen Antrag stellt. Die Schaffung einer solchen Möglichkeit sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit für die Zulassungsbehörden sein. Ein Zulassungsantrag wurde nach Angaben des britischen Unternehmens GW Pharmaceuticals für seinen Cannabisextrakt Sativex in verschiedenen europäischen Ländern für die Behandlung der Spastik bei multipler Sklerose gestellt. Das Unternehmen rechnet mit einer Zulassung für diese Indikation in Deutschland im Jahr 2011. Patienten mit anderen Erkrankungen, wie chronische Schmerzen oder Appetitlosigkeit und Übelkeit bei Krebs haben auch dann keinen Zugang zu entsprechenden Medikamenten.
So, die Post ist abgearbeitet. Über weitere Klingeltönedann bei Gelegenheit mehr in diesem Blog.
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Bevormundung von erwachsenen,...
Bevormundung von erwachsenen, leidenden Menschen in Deutschland aus idiologischen Gründen ist der einzige Grund für das Verbot. Man hat schon solange Lügen über Cannabis verbreitet, daß alle das Gefühl haben, durch Anerkennung der Tatsachen ihr Gesicht zu verlieren. Es ist wie mit dem Homosexuellenrecht und den Religionsprivilegien. Der zweite Grund ist natürlich Geschäftemacherei um jeden Preis. Ärzte, Patienten und Polizisten haben nur Last damit. Manche Gesetze kann man verbessern. Das Cannabisverbot aber bräuchte einfach nur gestrichen zu werden. Keiner käme zu Schaden. Das Verbot hat keine Vorteile für irgendwelche Normalbürger. Nur für Pharmaindustrie und Drogenhändler. Dabei ist es von Natur aus preiswert und wirksam. Künstliche Verteuerung und Verknappung dient niemandem. Es ist auch ein Problem der Erwachsenenbevormundung. 50-jährige werden behandelt wie 12-jährige.
Es ist ohnehin höchste Zeit,...
Es ist ohnehin höchste Zeit, dass sich in Sachen Cannabis-Politik etwas tut. Es ist himmelschreiendes Unrecht, dass diese wertvolle und seit Jahrtausenden von Menschen genutzte Kulturpflanze in einer angeblich aufgeklärten Gesellschaft so mit Füßen getreten wird. Und es wäre ein erster, längst überfälliger Schritt in die richtige Richtung, wenn man wenigstens Kranken den Zugang zur heilsamen Wirkung dieses Krautes nicht verwehrt. Pro Cannabis!
Ich wünsche den...
Ich wünsche den Verantwortlichen genau die Schmerzen, die sie mit ihrer Blockadehaltung bei den Betroffenen verursachen.
Ein guter Freund, dem unfallbedingt ein Bein amputiert wurde, leidet in ganz unregelmäßigen Abständen an Phantomschmerzen. Mit morphinhaltigen Medikamenten und anderen Therapien hat er es gut im Griff, aber eben nicht immer. Und dann hilft ihm nur der Joint. Er hilft praktisch in Minuten und der Schmerz ist wie „weggeblasen“. Allerdings mit den cannabistypischen Nebenwirkungen. Aber in der Stunde der Not das kleinere Übel.
Sein großes Problem ist die Illegalität und die Strafverfolgungsbehörde, nicht das fehlende Rezept vom Arzt oder der finanzielle Aspekt, denn Cannabis gibts für kleines Geld.
Aber der Ansatz, Cannabis vom Arzt verschrieben zu bekommen, ist richtig. Nicht jeder ist in der Lage alles selber zu organisieren und dem Missbrauch wäre ein Riegel vorgeschoben.
Bei Sterbenskranken besteht wohl kaum noch Suchtgefahr. Diesen Menschen cannabishaltige Medikamente oder aber einen Joint vorzuenthalten halte ich für unmenschlich.
Es ist eine Farce, wie die...
Es ist eine Farce, wie die deutsche Politik sich Jahrzehnte an diesem Randthema abarbeitet.
Auch Medikamente aus Cannabis...
Auch Medikamente aus Cannabis müssen nicht teuer sein und sind in jedem Fall einem unkontrollierten Eigenbau vorzuziehen. Darüber herrscht auch bei allen ernsthaften medizinischen Fachkreisen Einigkeit. Solange aber die Politik die extrem langwierige und kostenintensive Zulassung verlangt, die dann auch auf die jeweilige Indikation eingeschränkt ist, gibt es für kostengünstige Cannabismedikamente keine Chance. Notwendig wäre eine unbürokratische Kostenübernahme der schon zur Verfügung stehenden Rezepturen mit Cannabisextrakt oder mit Dronabinol, damit nicht wieder Jahre verloren gehen und ein tatsächlicher Markt entsteht, der tatsächlich Preissenkungen möglich macht.
Herr Tomlein, irgendwie habe...
Herr Tomlein, irgendwie habe ich das Gefühl, wir haben uns schon einmal verständigt.
Ist Weißbier, ist Alkohol eine Droge wie auch Cannabis?
Ist eine Zigarre, eine Zigarette eine Droge wie auch Cannabis?
Als Jurist kennen Sie die Fädenzieher in der Politik. Ich kenne die Bedenkenträger und „uninformierten bzw. nicht geschulten“ (weil uninteressierten) Angsthasen in der Medizin.
Aber ich hoffe auf die Neurobiologen im Max-Planck-Institut!
Nachtrag
Sehr geehrter Herr...
Nachtrag
Sehr geehrter Herr Dr. Tomlein
im Übrigen wird gerade in den USA eine Schmerztherapie betrieben, die von Konsiliarärzten abgestimmt (wo gibt es das in Deutschland) besprochen, dann vom behandelnden Arzt eingeleitet und auch „ausgeschlichen“ wird. So, daß die Patienten nach der Therapie, sei es Morphium, Cannabis oder anderes nicht süchtig sind oder zurückfallen in eine Sucht. Genau so wurde es mir von mehreren Patienten beschrieben.
Ich habe einiges von Ihnen gelesen, Herr Dr. Tomlein und ich denke, Sie sehen sehr viel vom „rechtlichen“ Standpunkt aus. Daß da auch viel menschliches dabei ist, spricht für Sie.
Aber kommen Sie nicht auch manchmal ins Grübeln, was ist Recht, was ist menschlich gnädig?
Hat in Ihren Armen schon mal ein ein ebenfalls prom. Freund aus der Medizin geweint, weil es so einfach gewesen wäre, seiner final krebskranken Frau die unendlich litt, zu helfen, er genau dieses aber bis zum bitteren Ende nicht durfte. Ich muß Ihnen sagen, ich möchte mich nicht in der Lage befinden müssen.
Und hätte die Barmherzigkeit über den hippokratischen Eid gesiegt, ich möchte hier auch nicht Richter oder Anwalt sein.
Aber fordern Sie doch in Ihrer Vereinigung (oder was auch immer), daß jeder Arzt verpflichtet wird, eine Fortbildung in Schmerztherapie durchzuziehen, die nur zertifiziert wird, wenn er Manns oder Frau genug ist, diese gezielt durchzuführen und falls er dies nicht ist, daß er gezwungen wird, sich bei einem Spezialisten Unterstützung zu holen, damit dem Patienten gezielt geholfen wird. Ansonsten wird der Arzt haftbar gemacht. Das wäre mein Wunschdenken.
Ich als Altenpflegerin, die...
Ich als Altenpflegerin, die auch eine Station MS Kranke mit bereut, bin der Ansicht, das keine Möglichkeit ausgelassen werden darf, schwerstkranken Menschen das Leid zu erleichtern! Auch den oft völlig versteiften und verkrampften alten Menschen sollte man das restliche Leben so gut wie möglich gestalten!
Wenn Cannabis hilft, dann würde ich diese Therapie begrüßen!
Was ich nicht will, ist ein unkontrollierter Vorrat an BTM und Cannabis! Ohne Rezept und Verordnungsempfehlung vom behandelten Arzt lehne ich jede Gabe ab,
auch wenn es legal wird und ein seriöser Heimbetreiber/ Pflegedienst wird dies auch tun!
Hallo Herr Tomlein! Schöne...
Hallo Herr Tomlein! Schöne Analyse. Das sieht der Deutsche Hanf Verband genauso:
Bundesregierung „legalisiert“ Cannabis als Medizin – Wahrheit und Dichtung
Meldung des DHV vom 31.08.2010
https://hanfverband.de/index.php/nachrichten/aktuelles/1322-bundesregierung-qlegalisiertq-cannabis-als-medizin-wahrheit-und-dichtung
Es gibt aktuell eine Petition...
Es gibt aktuell eine Petition des Deutschen Hanfverbands zur Entkriminalisierung von Cannabiskonsumenten: https://epetitionen.bundestag.de/index.php?action=petition;sa=details;petition=14613
Es fehlen allerdings noch viele Mitzeichnungen, noch ist nicht viel davon zu merken, dass sich angeblich Millionen Konsumenten durch die Strafverfolgung diskriminiert fühlen.