Biopolitik

Biopolitik

Dieses Blog ist geschlossen. Es ist als Archiv über die biopolitische Debatte 2008 bis 2012 hier weiter einzusehen. Aktuelle Entwicklungen zum Thema

Auch Palliativmediziner mögens manchmal paternalistisch

| 5 Lesermeinungen

Dass auch für ärztliche Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin das Selbstbestimmungsrecht ihrer Patientinnen und Patienten gelegentlich...

Dass auch für ärztliche Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin das Selbstbestimmungsrecht ihrer Patientinnen und Patienten gelegentlich wenig zählt ist ein wenig erfreuliches Ergebnis der Studie „End-of-life practices in palliative care: a cross sectional survey of physician members of the German Society for Palliative Medicine“, die von Medizinethikern der Univesität Bochum durchgeführt und jetzt in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. 780 Todesfälle wurden in die Untersuchung einbezogen, in 47 Fällen, so gaben die behandelnden Ärzte an, haben sie die Patienten nicht darüber aufgeklärt, dass die Behandlung ihr Leben möglicherweise verkürzen könnte, obwohl diese 47 Patienten als „einwilligungsfähig“ eingestuft worden waren. Die Ärzte behaupteten, das sei im „besten Interesse“ des Patienten gewesen, eine zumindest aus medizinethischer Sicht antiquierte Sicht des Arzt-Patient-Verhältnisses, die im übrigen auch in rechtlicher Hinsicht nicht akzeptabel  ist: Wenn über wesentliche mögliche Folgen einer Behandlung nicht aufgeklärt wird, ist die Einwilligung in diese Behandlung unwirksam ist, die Behandlung selbst damit rechtswidrig.

Auch dass neun der befragten Ärzte angaben, den Tod „gezielt durch Substanzen herbeigeführt“ zu haben ist bemerkenswert, handelt es sich hier doch strafrechtlich gesehen wohl um die verbotene „Tötung auf Verlangen“, da der eine Fall, in dem der Patient selbst gezielt durch Substanzen seinen tod herbeigeführt hat, extra aufgelistet wurde.

Weniger überraschend ist, dass Angaben der Ärzte zufolge, in 69% der Fälle medizinische Maßnahmen begrenzt wurden, wodurch sich die Lebenszeit möglicherweise verkürzt hat. Solange es hier eine entsprechende Einwilligung in das Unterlassen bzw.in die Begrenzung der Behandlung gibt, ist dagegen nichts einzuwenden. Fragen wirft dagegen auf, dass nach den Angaben der Ärzte in 78 Prozent der 780 ausgewerteten Fälle an, Symptomlinderung mit einer möglicherweise resultierenden Verkürzung des Lebens durchgeführt wurden. Das dürften Fälle der sogenannten „indirekten Sterbehilfe“ sein, eine Konstellation, die auch in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes auftaucht und in der Schweizer Schwarzenegger-Studie. Nach Auffassung mancher Palliativmediziner gibt es diese Fallgruppe aber gar nicht,weil eine kunstgerechte Symptomkontrolle nicht lebensverkürzend wirken soll. Da würden wir uns über fachliche Klärung freuen, es muss ja nicht unbedingt in diesem Blog selbst sein.

Offenbar gibt es auch Unterschiede im Denken und Handeln von Mitgliedern der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, die selbst über eine Zusatzbezeichnung als Palliativmediziner verfügen und solchen, die eine solche Zusatzbezeichnung nicht führen.

Da die Untersuchung aus Bochum mit dem EURELD-Fragebogen (European End-of-Life-Decisions) durchgeführt wurde, der standardisiert ist,können die Ergebnisse auch mit denen aus anderen europäischen Staaten verglichen werden.

Die Deutsche Hospizstiftung hat rasch auf die Pressemitteilung zur Studie reagiert und vor allem kritisiert, wie der  Patientenwillen bisweilen ignoriert wird:“ Die am heutigen Montag vorgestellte Studie der Ruhr-Universität Bochum ist in höchstem Maße alarmierend. Es besteht die Gefahr, dass ein solches Handeln der Ärzte ohne Zustimmung der Patienten die Argumentation so genannter Todesengel rechtfertigt. Diese begründen ihre Taten in der Regel damit, das Leiden der Schwerstkranken eigentlich nur verkürzen zu wollen.“

Die Autoren der Studie ziehen, mit Blick auf Positionen der Bundesärztekammer, eine anders akzentuierte Bilanz: „Die offiziellen Verlautbarungen zum ärztlichen Standesethos stimmen offenbar nicht mit den moralischen Bewertungen und Handlungen zahlreicher Ärztinnen und Ärzte in Deutschland überein.Die neuen empirischen Forschungsergebnisse sollten als Grundlage für eine ehrliche Debatte über zeitgemäße ethische Richtlinien zum ärztlichen Handeln am Lebensende genutzt werden“.

Das wiederum scheint ziemlich fragwürdig: Es klingt zwar schön,eine „ehrliche Debatte“ einzufordern, wer möchte auch schon eine „verlogene Debatte“ haben, aber das was viele oder auch nur manche tun,ist doch deswegen weder moralisch geboten, noch ethisch zeitgemäß.Wenn Recht gebrochen wird, sollte in der Regel nicht das Recht geändert werden,sondern nachgedacht werden, wie seine Einhaltung – gerade in grundlegenden Bereichen wie Körperverletzung und Tötung – verbessert werden kann.

 

Sie können dieses Blog gerne kommentieren. Sie müssen sich dafür nicht anmelden. 

 

 


5 Lesermeinungen

  1. Lutz Barth sagt:

    In der Tat kann die neuerliche...
    In der Tat kann die neuerliche Umfrage insbesondere vor dem Hintergrund der von der BÄK unlängst veröffentlichten Umfrage zur ärztlichen Suizidassistenz nur als Anstoß dafür gewertet werden, nunmehr eine offene und ehrliche Debatte zu führen.
    „Die offiziellen Verlautbarungen zum ärztlichen Standesethos stimmen offenbar nicht mit den moralischen Bewertungen und Handlungen zahlreicher Ärztinnen und Ärzte in Deutschland überein“, sagt Prof. Vollmann. „Die neuen empirischen Forschungsergebnisse sollten als Grundlage für eine ehrliche Debatte über zeitgemäße ethische Richtlinien zum ärztlichen Handeln am Lebensende genutzt werden“.
    Dem Statement kann nur beigetreten werden und in diesem Sinne bleibt freilich auch die Patientenschutzorganisation Deutsche Hospiz Stiftung aufgerufen, ihren partiellen ethischen Widerstand gegen einer Liberalisierung der Suizidbeihilfe aufzugeben. Die Legalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe liegt zuvörderst auch im Interesse schwersterkrankter Patienten und von daher ist es nicht nachvollziehbar, weshalb diesbezüglich die Deutsche Hospiz Stiftung eine ablehnende Haltung einnimmt.
    Auf Dauer stellt sich hierdurch die Stiftung ins „Abseits“ und muss sich die Frage gefallen lassen, wie ernst es ihr mit dem Selbstbestimmungsrecht ist, dass im Übrigen nicht zur Fremdbestimmung über die Ärzteschaft führt. Wohlwollende Sonntagsreden ersetzen beileibe nicht ein unvoreingenommenes Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht.
    In der Sache selbst ist in der ärztlichen Suizidassistenz auch durch Palliativmediziner eine ethische Handlungsoption zu erblicken, die in sich keinen Widerspruch verbirgt. Der Berliner Arzt Michael de Ridder liegt mit dieser These gar nicht so falsch, neigt doch immerhin auch ein Teil der Palliativmediziner dazu, diese Option in Erwägung zu ziehen. Dass hierbei das Selbstbestimmungsrecht des Patienten zu wahren ist, bedarf keiner nennenswerten Erläuterung, so dass den „Willen“ des Schwersterkrankten ersetzende Alleinentscheidungen der Palliativmediziner schwerlich akzeptabel sind. Völlig daneben liegt allerdings der Hinweis von Eugen Brysch, wonach ein Handeln der Ärzte ohne Zustimmung die Argumentation von „Todesengel“ rechtfertigen würde. Mit Verlaub – hier wird ein ein Vergleich bemüht, der unerträglich ist. Wer bitte schön ist denn nun ein Todesengel? Etwa all diejenigen, die für eine Legalisierung der ärztlichen Suizidbeihilfe eintreten? Ein derartiger Hinweis ist lediglich stigmatisierend und wird der Bedeutung der ethischen Debatte nicht gerecht. Vielleicht macht es Sinn, nicht in „jedes vor den Mund gehaltenes Mikrofon zu sprechen“ und gelegentlich vorher nachzudenken, bevor solche unsägliche Behauptungen gestreut werden. Auch „rasches Reagieren“ erfordert ein Nachdenken.

  2. frischfrei sagt:

    Aufklärung, wie juristisch...
    Aufklärung, wie juristisch gefordert, ist in der Nähe des Sterbens oft unmöglich. Die Verstandeskraft ist krankheitsbedingt eingeschränkt, die Gefühle der Angehörigen sind aufgewühlt, der Konflikt zwischen Ratio und unbedingtem Lebenswillen ist schwer.

  3. SGS sagt:

    Die Studie deckt zwei...
    Die Studie deckt zwei Problemfelder bei der Betreuung am Lebensende auf. Zum einen scheint es bei einer großen Mehrheit der befragten Ärzte noch Wissenslücken bezüglich der Palliativmedizin und der dort eingesetzen Medikamente zu geben, welche ja in fast allen Fällen nicht lebensverkürzend wirken. Zum anderen – und dies ist der erschreckende Punkt – zeigt sie, dass es eine Minderheit von Ärzten gibt, welche sich über das Recht hinwegsetzen. Sei es, dass sie den Patienenwillen ignorieren oder das sie die zu recht verbotene Sterbehilfe betreiben. Hier muss das Rechtsbewußtsein noch deutlich geschärft werden, bei Überzeugungstätern hilft wohl nur der Staatsanwalt.
    Warum man aus dieser Studie den Wunsch nach einer Freigabe der Suizidbeihilfe für Ärzte oder gar der aktiven Sterbehilfe ableiten kann, bleibt mir verschlossen. Schließlich leitete man aus den Verstößen einer Minderheit der Bevölkerung gegen die Straßenverkehrordnung auch keine Aufhebung der Verkehrsregeln ab. Wenn Regelverstöße vorliegen, dann muss dem Recht Geltung verschafft werden, aber das Recht muss nicht den Straftaten angepaßt werden.

  4. Lutz Barth sagt:

    @SGS: In der Tat sollte das...
    @SGS: In der Tat sollte das Rechtsbewusstsein – mehr als bisher – geschärft werden, auch wenn ich persönlich nicht davon ausgehe, dass dann in der Folge sich die individuelle Gewissensentscheidung führender Ethiker ändern wird – ja eigentlich gar nicht ändern kann, streben diese doch auch nach kognitiver Stabilität und vermeiden es deshalb regelmäßig, als kognitiv empfundene dissonante Bewusstseinsinhalte überhaupt zuzulassen.
    Der Vergleich mit dem Straßenverkehrsrecht ist weniger beeindruckend und zwar insbesondere in Kenntnis des Umstandes, dass es mit Blick auf die ärztliche Suizidassistenz vordergründig darum geht, dass weniger die Landesärztekammern als vielmehr die Bundesärztekammer ihren arzethischen Widerstand aufgeben sollten, um so die verfasste Ärzteschaft in die wohlverstandene Freiheit auch ihrer persönlichen Gewissensentscheidung entlassen zu können. Es erscheint mir höchst unerträglich, über ein Arztethos die zu respektierende Gewissensentscheidung der einzelnen Ärzte aushebeln zu wollen und insofern ist hier eine deutlich liberalere Haltung der Funktionäre anzumahnen. Funktionäre sind weder die „besseren Ärzte“ noch eilt ihnen der Ruf voraus, besonders „ethisch integer“ zu sein. Und in der Tat: bei Überzeugungstätern hilft dann „nur“ noch die Rechtsaufsicht, die die Kammern zur Disziplin anhalten, wenn und soweit es darum geht, Regelungen zu favorisieren, die einen engen Grundrechtsbezug aufweisen und von daher dem Gesetzgeber die Aufgabe obliegt, hier den Spagat zwischen „Fürsorgepflichten“, Selbstbestimmung und freier Gewissensentscheidung zu vollziehen.
    Ob es den Kammern gelingen wird, dass Berufs- und Standesrecht ein zeitgemässes Gewande zu geben, wird einstweilen mit großer Skepsis verfolgt, mehren sich doch die Stimmen, die einem ethischen Zwangspaternalismus das Wort reden und sich nicht davor scheuen, dass Selbstbestimmungsrecht (und auch die Gewissensfreiheit) mit „moralischen Pflichten“ zu überziehen, aus denen es dann kein Entrinnen mehr geben kann. Keine gute Aussichten, wie ich meine und da erscheint es allemal angebracht, deutlicher als bisher Position zu beziehen. Die ärztliche Suizidassistenz kann im Einzelfall geboten sein und zwar auch in Form „aktiver“ Sterbehilfe, sofern die Tathandlung nicht eigens vom Patienten vollzogen werden kann.

  5. Dass auch für ärztliche...
    Dass auch für ärztliche Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin das Selbstbestimmungsrecht ihrer Patientinnen und Patienten gelegentlich wenig zählt ist ein wenig erfreuliches Ergebnis der Studie „End-of-life practices in palliative care: a cross sectional survey of physician members of the German Society for Palliative Medicine“, die von Medizinethikern der Univesität Bochum durchgeführt und jetzt in einer Fachzeitschrift veröffentlicht wurde. 780 Todesfälle wurden in die Untersuchung einbezogen, in 47 Fällen, so gaben die behandelnden Ärzte an, haben sie die Patienten nicht darüber aufgeklärt, dass die Behandlung ihr Leben möglicherweise verkürzen könnte, obwohl diese 47 Patienten als „einwilligungsfähig“ eingestuft worden waren. Die Ärzte behaupteten, das sei im „besten Interesse“ des Patienten gewesen, eine zumindest aus medizinethischer Sicht antiquierte Sicht des Arzt-Patient-Verhältnisses, die im übrigen auch in rechtlicher Hinsicht nicht akzeptabel ist: Wenn über wesentliche mögliche Folgen einer Behandlung nicht aufgeklärt wird, ist die Einwilligung in diese Behandlung unwirksam ist, die Behandlung selbst damit rechtswidrig.
    Da stimme ich dir ganz zu

Kommentare sind deaktiviert.