Eine knappe Woche nachdem die FDP sich für eine weitgehende Freigabe der Präimplantationsdiagnostik ausgesprochen hat, setzte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel am Wochenende in einer Rede auf dem Deutschlandtag der „Jungen Union“ dafür ein, dieses Verfahren zur Embryonenauswahl nach vorgegebenen genetischen Kriterien ausdrücklich zu verbieten. Die beiden Koalitionsparteien stehen in dieser Frage also eindeutig und fest positioniert in entgegengesetzten Lagern. Die Kanzlerin hat das Grundsatzprogramm ihrer Partei im Kopf, das die PID ablehnt und möchte offensichtlich an dieser Frage keinen Streit mit dem wertkonservativen Lager in der CDU führen. Ihr Argument, dass sich kein überzeugender Katalog von Behinderungen entwerfen lasse, der die PID rechtfertigen könnte, ist zudem stark. Die politische Lage ist dennoch nicht sonderlich bequem, denn die Koalition kann nicht beliebig viele Konfliktfelder verkraften. In der Auseinandersetzung um PID muss die CDU zudem befürchten, dass die FDP erfolgreich gegen sie punkten kann, denn in bioethischen Kontroversen stehen zumindest in Umfragen die Befürworter von Liberalisierung, Entkriminalisierung und einem, wenn auch eher formalen Begriff von Selbstbestimmungsrecht, oft besser da, als die Anhänger wertkonservativer Positionen (auch mal eine interessante, aber hier nicht zu klärende Frage, warum in Sachen Bioethik konservative Positionen weniger Zulauf haben, als zum Beispiel in der Debatte um Ausländerpolitik – möglicherweise hängt das damit zusammen, dass die konservativen biopolitischen Positionen zugleich auch diskriminierungsfeindlich und pluralismusfördernd sind…).
In der Fachzeitung „Genethischer Informationsdienst“ sind in der kommenden Ausgabe auch Politiker aller fünf im Bundestag vertretener Parteien mit Stellungnahmen präsent – auch dort zeigt sich das gleiche Bild: Die Union konsequent gegen PID, die FDP ohne Wenn und Aber dafür, dazwischen ein PID-kritischer, aber nicht fest entschlossener Rene Röspel (SPD), eine zu Aufweichungen in geringem Umfang bereite Grünen-Politikerin (Priska Hinz) und eine zwischen Selbstbestimmungsfreundlichkeit und Antidiskriminierungskurs schwankende Petra Sitte von Die Linke, die auf Einzelfall-Lösungen setzen will.
Die Debatte, die mit der Entscheidung des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofes, PID für keinen strafbaren Verstoß gegen das Embryonenschutzgesetz zu halten, angestoßen wurde, ist nun also im parlamentarischen Raum angekommen. Ob sie dort tatsächlich ein Gesetzgebungsverfahren nach sich ziehen wird, erscheint derzeit noch unklar: Präimplantationsdiagnostik ist an sich kein Thema, mit dem sich in großem Umfang Stimmungen mobilisieren lassen – anders als Sterbehilfe, Abtreibungen oder auch Organtransplantationen geht es um ein schon wissenschaftlich eher komplexes Thema, mit dem zudem die meisten Menschen direkt nie etwas zu tun haben werden. Andererseits ist die damit eng verbundene Frage der Selektion (mit der Möglichkeit zur positiven Selektion), ethisch besonders brisant. Und das Thema „unerfüllter Kinderwunsch“ ist ebenfalls recht heikel politisch zu debattieren.
In der Schweiz, um mal wieder einen Blick in ein Land zu werfen, das biopolitisch oftmals etwas aktiver ist, als die Bundesrepublik, ist die Präimplantationsdiagnostik gegenwärtig durch Artikel 5 des Fortpflanzungsmedizingesetzes verboten. Seit 2005 sind parlamentarische Gremien und die Exekutive aber bemüht, das Verbot abzuschaffen und haben dafür eine sogenannte Vernehmlassung durchgeführt, deren Ergebnisse im Mai 2010 veröffentlicht wurden und aus denen ersichtlich ist, dass die Bundesverfassung geändert werden muss,um die PID in gewünschtem Umfang legalisieren zu können (was Anfang 2011 eine weitere Vernehmlassung erfordert). Das Schweizer Beispiel lehrt, wie langwierig die Debatte ist, aber auch, dass der Plan ein kleines bisschen PID zu erlauben schnell zu einer großen Erlaubnislösung führen kann.
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Schade - aber der Kollege...
Schade – aber der Kollege Tolmein geht leider nicht der zentralen Frage nach, warum konservative Botschaften im ethischen Diskurs nicht die erforderliche Resonanz erfahren und auch wenn dies wohl nicht im vorliegenden Thread abgeklärt werden soll, so ist es mir nicht erklärlich, warum die „konservativen biopolitischen Positionen zugleich auch diskriminierungsfeindlich und pluralismusfördernd“ seien.
Hier ist doch eher das Gegenteil anzunehmen und so gesehen entspricht es voll und ganz dem konservativen Werteverständnis namentlich der Parteien, die das „C“ in ihrem Parteinamen führen, dass sie sich dem Schutz des „Lebens“ besonders verpflichtet fühlen. Ob nun PID, aktive Sterbehilfe, ärztliche Suzidassistenz – das Strickmuster bleibt stets unverändert und das dem so ist, wird insbesondere auch bei der „Jugend“ der christlichen Union deutlich, die im Übrigen in bioethischen Diskursen offensichtlich noch eine deutlichere und geradezu beängstigende konservativere (Wert-)Haltung einnehmen, als man/frau zu befürchten wagte. Wenn dies die künftigen politischen Entscheidungsträger sind, dann können wir gegenwärtig die bioethischen Diskurse beenden und es steht auch im Hinblick auf die PID keine „große Erlaubnislösung“ an – die ja – selbst wenn sie kommen sollte – künftig jederzeit wieder abgeschafft werden kann.
Beruhigend muss allerdings der „Befund“ erscheinen, dass das Selbstbestimmungsrecht mehr in den Fokus der Betrachtungen rückt und so gesehen durchaus in der Lage ist, einem konservativen und fundamentalistischen Werteverständnis die Grenzen aufzuzeigen und zwar in allen bioethischen Debatten.
Werter Kommentator Lutz Barth:...
Werter Kommentator Lutz Barth:
Wessen „Selbstbestimmungsrecht“ sollte „mehr in den Fokus der Betrachtungen“ rücken??
Mit nachdenklichem Gruß, krd1
@Krd1:
Nun – Ihr...
@Krd1:
Nun – Ihr „nachdenklicher“ Gruß ist insofern berechtigt, weil diesbezüglich keine einfachen Antworten möglich erscheinen und die Frage des Selbstbestimmungsrechts m.E. in den verschiedenen bioethischen Diskursen differenzierte Antworten verlangen. Ich möchte hier nicht den Thread sprengen, aber entscheidend dürfte wohl ungeachtet der Frage, ob dem Embryo „Würde“ zukommt (dies würde ich bejahen wollen), sein, dass hier auf höchster Abstraktionsebene ein Selbstbestimmungsrecht des Embryos angenommen wird und dieses zugleich einstweilen – sozusagen bis zur „Grundrechtsmündigkeit“ – treuhänderisch (im Wohle des Embryos/Kindes) einschließlich einer „Verpflichtung“ (?) zum Lebensschutz von den Eltern wahrgenommen wird. Dass eine solche Sichtweise Konflikte vorprogrammiert, ist nur allzu verständlich, dürfte uns aber nicht daran hindern, sich diesem Grundrechts-(und zugleich Werte-)Konflikt zu stellen, wie es ja auch in einem gewissen Umfang durch Enquete-Kommissionen geschehen ist (vgl. dazu statt vieler: Enquete-Kommission – „Recht und Ethik der modernen Medizin“, BT- Drucksache 14/9020 mit umfangreichen Literaturnachweisen).
Die Entscheidung des 5. Strafsenats beim BGH zum Embryonenschutzgesetz überzeugt zunächst vom Ergebnis als auch von der Begründung her, wenngleich doch auch in ihr unübersehbar der „Wunsch“ geäußert wird, dass hier im Zweifel der Gesetzgeber sich zu einer deutlicherer Regelung durchringen sollte. Diesbezüglich wird dem Gesetzgeber – wie so oft – sicherlich ein „großer“ Beurteilungs- und Ermessensspielraum einzuräumen sein und es fragt sich, ob der derzeitige Koalitionsstreit zielführend ist, zumal schon jetzt der „Fraktionszwang“ angesprochen und vielmehr darauf gesetzt wird, das Problem der PID zur Gewissensentscheidung der Abgeordneten zu deklarieren. Nun ist es aber so eine „Sache mit der Gewissensentscheidung“: Es geht bei dieser Frage der PID – wie im Übrigen in allen bioethischen Diskursen – nicht (!) um die individuelle Gewissensentscheidung des Abgeordneten, die letztlich aus verschiedenen und prinzipiell zu akzeptierenden „Quelle“ gespeist werden kann. Nehmen wir das „C“ im Parteinamen ernst, dann präjudiziert ein nachhaltiges Bekenntnis zum „C“ gleichsam mit all seinen Konsequenzen die individuelle Gewissensentscheidung der Abgeordneten und eine „moderate Lösung“ scheint jedenfalls mit Blick auf ein Gesetzgebungsverfahren nicht möglich zu sein, zumal andere Abgeordnete sich auf ihr Gewissen berufen.
Ich hingegen habe es da ein stückweit „leichter“, versuche ich doch zumindest aus der Innenperspektive der unmittelbar Betroffenen die Grundrechtskonflikte zu lösen und insofern ist hierfür die individuelle Gewissensentscheidung der Abgeordneten jedenfalls mit Blick auf eine Gesetzesregelung von untergeordneter Bedeutung, da auch die Abgeordneten zur ethischen und moralischen Toleranz und damit zur Neutralität aufgerufen sind und zwar vornehmlich in den Fällen, wenn ein Wertekonflikt aus der Verfassung heraus zu entscheiden ist.
Insofern möchte ich vielleicht abschließend darauf hinweisen, dass ich als Verfechter des Selbstbestimmungsrechts nicht nur der Eltern, der schwersterkrankten oder sterbenden Patienten und freilich auch der Behinderten selbstverständlich Schutzpflichten des Gesetzgebers annehme und in der konkreten Frage noch unentschieden bin; dies hängt allerdings weniger mit der Frage des Selbstbestimmungsrecht zusammen, sondern vielmehr mit der „Würdeklausel“ des Grundgesetzes mit all seinen Implikationen, die nicht nur verfassungsrechtlicher Natur zu sein scheinen – zumindest ergibt sich ein solches aus den gegenwärtigen (bio)ethischen Debatten.
Wieder ein Griff in die...
Wieder ein Griff in die Klamottenkiste der Konservativen. Merkel eiert derzeit herum. Kein Wunder, denn ihre Partei geht mit Stuttgrat21 ihrem Waterloo entgegen. Aus Poltikwissenschaftlicher Sicht ist die Aussage kaum nachvollziehbar, denn die CDU verfügt bekanntlich über ein konservatives Stammwählerpotenziel von ca. 10 %. Nur das wird mit einem solchen Vorstoß angesprochen. Bedenkt man, wie wenig Wähler sich zu recht für diese Frage interessieren und dass mit einem solchen Vorstoß nur klerikale und ultrakonservativeKreise angesprochen werden, dann ist der Betrachter dieses Schauspiels verdutzt. Beruhigend zu lesen, dass die FDP ein solch wohl auch verfassungswidriges Verbot nicht mittragen wird. Aber es besteht kein Anlass zur Entwarnung, auch in der SPD und bei den Grünen gibt es Gutmenschen, die es mit der Selbstbestimmung nicht so sehr haben.
Die grundsätzliche...
Die grundsätzliche Problematik ist ganz einfach: Ein Kind ist ein Geschenk und kein Produkt, das zielgerichtet hergestellt werden dürfte. Praktischerweise war der werdende Mensch bis vor wenigen Jahren die ersten 9 Monate seines Lebens vor jedem qualifizierenden Blick geschützt und mit der Geburt ist er selbstverständlich durch das Tötungstabu geschützt. Wenn also eine Schwangerschaft durch eine Abtreibung abgebrochen wurde, war das Dilemma genug, aber es gab zumindest keinen Grund in den Eigenschaften des Kindes, sondern nur den Lebensumständen der Mutter bzw. der Eltern.
Mit dieser sinnvollen „natürlichen“ Ordnung wurde durch medizinische Fruchtwasseranalye gebrochen, verschärft durch die PID.
An diese Ordung wieder anzuschließen ginge auf zweierlei Wegen:
a) gesetzlich ein entweder oder zu schaffen: entweder Fruchtwasseranalyse, PID etc., dann darf nicht mehr abgetrieben werden, oder eine Abtreibung ist nur dann zwar rechtswidrig aber zulässig, wie sie jetzt geregelt ist, solange keine dieser Untersuchungen vorgenommen wurde. (Mit der Untersuchung/Qualifizierung eines Menschen wird er sozusagen geboren und für ihn gilt das Tötungstabu). Großer Nachteil, wie soll das verifiziert werden? Mit viel Bürokratie?
b) mit dem Ende der Zwangselternschaft und Adoption als definitorischem Regelfall von Elternschaft – das emanzipatorische Zukunftsmodell, ausbuchstabiert hier nachzulesen: https://www.phantasten.de/inhalt.htm
rene talbot